Hexereianklagen in Afrika

Autor: Jens | ZDDK | MIMIKAMA

Normaler Weise wäre dieser Artikel einer von vielen über „Clickbaiting“ und der dazu gehörenden Hintergrundgeschichte verbunden mit dem Hinweis, dass Facebook eben nicht für jedes Amen einen fiktiv festgelegten Geldbetrag auf irgendein Konto überweist.

Aber diesmal ist es irgendwie anders und doch gleich, deshalb vorweg einfach noch mal in aller Deutlichkeit der Hinweis, wenn auf irgendeinem Bild „Type Amen“ oder „Schreib Amen“ oder irgendetwas anderes in Verbindung mit der Aufforderung „Amen“ zu schreiben und zu teilen darauf steht, sei versichert liebe Leserin, lieber Leser es ist „Clickbaiting“.

Steht neben, oder unter dem Bild noch eine Preisliste wieviel Facebook angeblich pro „Amen“, „Like“, „Share“ auf ein Spendenkonto überweist, dann liest sich das vielleicht toll, ist aber dennoch liebe Leserin, lieber Leser nichts weiter als „Clickbaiting“, denn Facebook hat gar nicht das Personal jedem dieser Bilder zu folgen und die Kosten würden ins unermessliche steigen.

Ja klar aus unserer Sicht als Otto Normalverbraucher ist Zuckerberg unermesslich reich, aber selbst sein Geld wäre binnen kurzer Zeit aufgebraucht. Also wenn Facebook spendet, dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht, weil irgendein Vogel dies neben ein gepostetes Bild schreibt.

Alle „Clickbaiting“ „Amen“ Posts haben eines gemeinsam, die Ersteller arbeiten mit ergreifenden Bildern, Bildern bei denen unsere inneren Instinkte angesprochen werden, in erster Linie unser Mitgefühl.

Was also macht diesen Fall so speziell?

Wir haben es uns ja zur Aufgabe gemacht diese Posts zu hinterfragen, die wahre Hintergrundgeschichte zu dem Bild zu finden, meist sind es erschütternde Einzelschicksale, die auf perfide Weise vom Ersteller ausgenutzt werden, um dessen verkümmertes Ego durch eine möglichst hohe Zugriffszahl für ein paar Minuten auf Teppichniveau zu heben.

Auch in dem Fall des kleinen Jungen, der nackt und fast verhungert aus einer Wasserflasche trinkt, die ihm eine Frau hinhält, scheint im ersten Moment eines dieser traurigen Einzelschicksale zu sein.

Die Landschaft ist staubig, es könnte sich um ein Katastrophengebiet oder Kriegsgebiet handeln.

Seine Eltern könnten entweder bei der Katastrophe oder im Krieg verstorben sein und er könnte ohne Verwandte durch das verarmte Krisengebiet wandern, stets den eigenen Tod vor Augen.

Zwar gäbe es mit Sicherheit in dem Krisengebiet noch weitere Waisen, aber es wäre, im Verhältnis zu einem Kontinent, immer noch ein kleines begrenztes Gebiet.

Doch die Wahrheit geht ganz weit an einem Einzelschicksal vorbei und wirft uns weit in unseren Geschichtsunterricht und in die Historie Europas zurück. In die Zeit der Hexenverfolgung durch die ach so christlichen Nachbarn und Feudalherren.

Wie das? Auflösung folgt.

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Das Bild zeigt die dänische Entwicklungshelferin Anja Ringgren Loven und den kleinen Jungen, den sie später Hope nannte.  Hope wurde von seinen Eltern verstoßen, weil sie glaubten er sei „verhext“.

Moment mal „verhext“?

Ja, in Nigeria und anderen afrikanischen Ländern kommt das oft vor, dass, wenn es in einer Familie zu einem unglücklichen Vorfall kommt, ein Priester diese Anschuldigung gegen das Kind vorbringt.

In dem Artikel auf „Welt.de“ steht nur etwas von Priester, das kann genauso gut ein Priester einer Naturgeisterglaubensgemeinschaft sein, dennoch wurde ich neugierig. Ich erinnerte mich an die Verbreitung des Christentums und wie damals die traditionellen Feiertage der „Heiden“ genutzt und für vom Christentum in Beschlag genommen wurden.

Sind es in Afrika wirklich nur naturgeistergläubige Priester?

Kurz und knapp – nein, es sind nicht nur Naturgeistergläubige, die anderen Menschen Hexerei nachsagen.

Aus einem Artikel des „Spiegel“ geht hervor, dass 13 Kirchen aktenkundig sind, darunter auch abtrünnige Splittergruppen internationaler Glaubensgemeinschaften z. B. „Mount Zion Lighthouse“ (Leuchtturm Berg Zion), Teil der einflussreichen Pfingstbewegung Nigerias. Der Ableger einer kalifornischen Kirche gleichen Namens ist nach eigenen Angaben die am schnellsten wachsende Religionsgemeinschaft in dem westafrikanischen Land mit mehr als 30 Millionen Mitgliedern.

Ihre Anhänger nehmen die biblische Ermahnung aus dem Buch Exodus wörtlich:

„Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen.“ Ähnliches Gedankengut beherrscht unter anderem auch die evangelikalen Gemeinden „Born 2 Rule Crusade“ (Kreuzzug der geborenen Herrscher), „Winners’s Chapel“ (Gemeinschaft der Sieger) oder „Embassy of Christ“ (Botschaft Christi).

In einem Bericht auf der Seite „strassenkinderreport.de“ lesen wir:

Impulsgeber und Nutznießer des Hexenkinderwahns in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara sind vor allem die aus dem Boden schießenden evangelikalen Kirchen. Sie pflegen den Glauben an böse Geister und dämonische Besessenheit und halten die Mittel – insbesondere Beschwörungen, Segnungen, exorzistische Rituale – bereit, um Abhilfe zu schaffen. Fast alle Strömungen des afrikanischen Christentums sind fundamentalistisch, das heißt, dass sie von der Realität des Teufels, der Dämonen und Geister überzeugt sind. In Nigeria sind es vor allem Geistliche der fundamentalistischen Glaubensgemeinschaften, die Kinder als Hexen bezichtigen. Wie zur Zeit der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen in Mitteleuropa, so halten sich die afrikanischen Theologen heute noch an 3. Mose 20,6: „Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen.“ Selbst von katholischen Geistlichen hört man, dass sie ihren Pfarrkindern geweihte Kerzen und Pulver verkaufen, mit denen sie die sie bedrohenden Hexen und Dämonen vertreiben sollen.

Der gesamte Bericht liest sich fast wie ein neuverfasster Bericht über die europäische Inquisition des Mittelalters (ich weiß eine sehr grobe Zeitangabe, da die Inquisition bis in die frühe Neuzeit aktiv genutzt wurde), ist es aber leider nicht, in Afrika werden schwere Menschenrechtsverletzungen im Namen der christlichen Gemeinschaft verübt.

Speziell für Nigeria (2009), aber auch für Kenia (2014) erschien auf dem Blog der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ jeweils ein Bericht zum Thema Hexenverfolgung.

Die meisten Anklagen gehen gegen die Schwachen einer Gemeinschaft, Kinder, Alte, Behinderte, Kranke. Wie in Europa, während der Zeit der Missionierung, machen sich auch in Afrika christliche Priester den Urglauben ihrer Mitmenschen zu Nutze und verkaufen Amulette, Tinkturen und Pülverchen gegen allerlei Zipperlein. Es ist dann auch nicht weiter verwunderlich, wenn sie manches Unglück auf Hexerei zurückführen, nur sind die angeblichen und angeklagten Hexer nicht die Wurzel des Übels, sondern die fundamentalistisch ausgerichtete christliche Glaubensgemeinschaft.

Nur Fundamentalisten?

Es sind also nur Fundamentalisten während der Rest der Christen ja doch eher mehr oder weniger friedlich mit ihren Nachbarn zusammenleben. Das könnte uns ja durchaus beruhigen, wenn da nicht ein kleines „aber“ mit im Raum schwingen würde, oder ist es doch eher ein „warum“?

Aber, wenn wir beim Christentum bereit sind zu akzeptieren, dass es sich „nur“ um fundamentalistische Splittergruppen handelt, die die Bibel zu spitzfindig auslegen und so dem wahren Christentum entgegenhandeln, warum sind wir dann auf der anderen Seite nicht bereit beim islamistischen Terror den gleichen Maßstab anzulegen und dort ebenfalls das Zugeständnis der „fundamentalistischen Splittergruppen“ gelten zu lassen?

In dem Blog der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ finden wir auch folgende Textstelle:

Im Kontext von Hexerei werden Neid-, Konkurrenz- und Konfliktmotive besonders betont. Dem UNHCR-Bericht zufolge müssen besonders Mädchen und Frauen als „Sündenböcke“ herhalten. Andere Risikogruppen sind ältere Frauen, Menschen mit Albinismus, AIDS-Kranke, psychisch Kranke, Flüchtlinge, die in Camps leben, aber auch besonders schöne und erfolgreiche Frauen und Männer.

Wohlgemerkt es geht immer noch um Hexerei, aber die Parallelen zur europäischen Flüchtlingsdebatte sind nicht wirklich von der Hand zu weisen. Wir alle sollten aufpassen, dass Europa nicht wieder im Mittelalter versinkt.

Um jetzt wieder auf das „Clickbaiting“ „Amen“ Post zurück zu kommen, ja es ist widerliches Clickbaiting, allerdings sollten wir vielleicht in diesem Moment innehalten, nein, kein „Amen“ drunter schreiben und nein Facebook spendet auch nichts, aber im Augenblick des Innehaltens könnten wir erkennen, dass jede Religion ihre Fundamentalisten hat, dass wann immer eine gesamte Gemeinschaft als „Sündenbock“ herhalten soll von den Wortführern sehr viele Neid-, Konkurrenz- und Konfliktmotive in die Diskussion geworfen werden, um eben jene Angefeindeten in Misskredit zu bringen.

Ich persönlich empfinde so etwas wie Dankbarkeit für dieses „Clickbait“ Posting, denn die Recherche zu den Hintergründen hat mir die Augen für die Welt ein Stück weiter geöffnet meinen Horizont deutlich erweitert, auch wenn es mir, ehrlich gesagt, lieber wäre, wenn dieser Teil meines Horizontes niemals existieren würde, wenn alle aus dem europäischen Mittelalter gelernt hätten und die Inquisition nunmehr lediglich ein trauriger Teil der Vergangenheit wäre und nicht weltweit immer noch aktuell, ja vielleicht gar aktueller denn je.

Von wem geht eigentlich der wahre Schrecken bei derlei Taten aus, von den fundamentalistischen Tätern, oder der schweigenden, duldenden Masse, die tatenlos zusieht?

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Quellen:

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