„Feind des Wissens“-Zitat ist nicht von Stephen Hawking

Wenn viele seriöse Medien und Tweets ein Zitat oft genug wiederholen, scheint es ja wahr zu sein. Nicht jedoch in diesem Fall: Das verbreitete Zitat über den größten Feind des Wissens, nämlich die Illusion des Wissens, ist nicht von Stephen Hawking.

Autor: Ralf Nowotny

Die Behauptung

Angeblich stammt von Stephen Hawking das Zitat „Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein.“

Unser Fazit

Das Zitat ist relativ eindeutig dem US-Historiker Daniel J. Boorstin zuzuordnen, der es in Variationen seit 1983 verwendet und die Version von 1984 jene ist, die am ehesten wie die „Hawking-Version“ klingt. Es gibt allerdings keinerlei Nachweis, dass Stephen Hawking die Worte in irgendeinem Interview oder Buch verwendete.

Das Zitat wird schon seit zig Jahren immer wieder einmal verwendet, von kleinen Social Media-Accounts bis hin zu großen Medien, doch hinterfragt wurde es eigentlich so gut wie nie. Warum auch? Es ist nicht negativ und würde zu dem vermeintlichen Ursprung, Stephen Hawking, irgendwie passen. Tatsächlich ist das Zitat über die Illusion des Wissens als größter Feind des Wissens schon sehr viel älter und nicht von Hawking.

Das Zitat

Das Zitat kursiert seit 2001 mit Stephen Hawking als angeblichen Urheber, beispielsweise hier nur einige davon auf Twitter:

MIMIKAMA
Das Zitat auf Twitter

„Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein“ – Stephen Hawking

Als Hawking am 14. März 2018 im Alter von 76 Jahren starb, verbreitete sich das Zitat besonders häufig und wurde auch von seriösen Medien wiedergegeben:

Es würde sogar Sinn ergeben, wenn Hawking dies jemals gesagt hätte, da er kurz vor seinem Tod tatsächlich warnte, dass Wissenschaft und Bildung stärker als je zuvor in Gefahr wären und in dem Zusammenhang auf die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte hinwies: die Erderwärmung, das Bevölkerungswachstum, das Artensterben, die Abholzung von Wäldern und die Schädigung der Ozeane.

So schön diese Worte aber auch sind: Sie stammen nicht von Stephen Hawking, sondern wurden fast exakt in dem Wortlaut in einem Interview mit dem Historiker Daniel J. Boorstin im Jahr 1984 verwendet – der sie selbst nur als einen Aphorismus bezeichnet.

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Auf der Suche nach dem Zitat

Das verbreitete Originalzitat lautet: „The greatest enemy of knowledge is not ignorance, it is the illusion of knowledge.“ – und da finden sich in Suchmaschinen weitaus öfter dieses Zitat, gleichzeitig aber auch ganz andere Quellen. Keine davon ist Hawking, die meisten deuten auf Daniel J. Boorstin.

Im Internet findet sich kein Interview oder Vortrag, in dem Hawking die Worte jemals verwendet hat. Auch die Suche in den englischen Originalversionen seiner Bücher erbrachte: Nichts. Es ist absolut keine Quelle zu finden, in der zweifelsfrei belegt ist, dass Hawkings diese Worte jemals sagte.

Ein Zitat von 1984

Am 29. Januar 1984 erschien in der „Washington Post“ ein Artikel über den renommierten US-Historiker Daniel J. Boorstin (siehe HIER). In dem Interview erzählt Boorstin seinen interessanten Werdegang vom Hobbyschreiber und Amateur-Historiker zu einem der bekanntesten Experten.

Er selbst mochte sich aber nie als Experten bezeichnen, sondern als Liebhaber einer Thematik. Er definierte dies so in dem Interview:

„Ein Amateur ist ein Liebhaber eines Themas. Ich bin ein Liebhaber von Fakten. Ein Fakt ist die Rettung, solange man ihn nicht in ein vorgefasstes Schema pressen will. Das größte Hindernis für Entdeckungen ist nicht Unwissenheit – es ist die Illusion von Wissen.

Daniel J. Boorstin

Ein Fakt sollte also niemals als absolutes Dogma gesehen werden, sondern kann sich verändern oder sogar gänzlich verschwinden, wenn neue Fakten auftauchen – was im Prinzip die Definition des wissenschaftlichen Denkens ist.

Variationen des Zitats

Der BlogQuote Investigator“ grub noch tiefer und fand in alten Literaturquellen noch mehr Variationen des Zitats, welche sinngemäß aber gleich sind. Dabei stammen diese zum größten Teil aus Werken von Boorstin, einmal werden die Worte einem deutschen Philosophen zugeordnet, einmal nennt Boorstin selbst es einen Aphorismus.

1994, Cleopatra’s Nose: Essays on the Unexpected by Daniel J. Boorstin: „Die Geschichte der westlichen Wissenschaft bestätigt den Aphorismus, dass die große Bedrohung für den Fortschritt nicht die Unwissenheit, sondern die Illusion des Wissens ist.“

1987, Providence Journal über eine Rede eines Vorstandsmitglieds des National Council of Senior Citizens: „‚Das größte Hindernis für die Entdeckung der Form der Erde ist nicht die Unwissenheit, sondern die Illusion des Wissens‚, zitierte er einen deutschen Philosophen.

1987, Hidden History by Daniel J. Boorstin: „Für Gibbon ist die menschliche Natur zwar alles andere als unverständlich, doch bleibt sie nur teilweise erklärbar. Für ihn war die Bedrohung des Verstehens nicht so sehr die Unwissenheit als vielmehr die Illusion des Wissens. Seine Erklärungen von Aufstieg und Fall, von Wohlstand und Niedergang sind immer Listen. Was er erzählt, ist „der Triumph der Barbarei und der Religion“.

1983, The Discoverers by Daniel J. Boorstin, A Personal Note to the Reader: „Die Hindernisse auf dem Weg zur Entdeckung – die Illusionen des Wissens – sind ebenfalls Teil unserer Geschichte. Nur vor dem vergessenen Hintergrund des gesunden Menschenverstands und der Mythen ihrer Zeit können wir den Mut, die Unerschrockenheit, die heroischen und phantasievollen Vorstöße der großen Entdecker erahnen.

1983, The Discoverers by Daniel J. Boorstin: „Das große Hindernis für die Entdeckung der Form der Erde, der Kontinente und des Ozeans war nicht Unwissenheit, sondern die Illusion von Wissen. Die Vorstellungskraft zog kühne Linien und bediente sofort Hoffnungen und Befürchtungen, während das Wissen mit langsamen Schritten und widersprüchlichen Zeugen voranschritt.

1861, History of Civilization in England by Henry Thomas Buckle: „Denn der große Feind des Wissens ist nicht der Irrtum, sondern die Trägheit. Alles, was wir wollen, ist die Diskussion, und dann sind wir sicher, dass wir gut abschneiden, egal wie viele Fehler wir machen. Ein Irrtum kämpft mit dem anderen, jeder vernichtet seinen Gegner, und die Wahrheit entwickelt sich.

2001: Erstmalige Nennung von Stephen Hawking

Wie oben sehr gut ersichtlich ist, wurde das Zitat und Variationen immer wieder von Boorstin verwendet. Doch im Jahr 2001 wurde erstmals behauptet, dass die Worte von Hawking stammen. Am 6. August 2001 veröffentlichte eine Zeitung in Ardmore, Oklahoma, eine Rubrik mit dem Titel „Daily Almanac“, die verschiedene Zitate enthielt:

„Der größte Feind des Wissens ist nicht die Unwissenheit, sondern die Illusion des Wissens.“ Stephen Hawking

The Daily Ardmoreite, Section: Living, Daily Almanac

Fazit

Zumindest vom Gebrauch her ist das Zitat relativ eindeutig dem US-Historiker Daniel J. Boorstin zuzuordnen, der es in Variationen seit 1983 verwendet und die Version von 1984 jene ist, die am ehesten wie die „Hawking-Version“ klingt. Es gibt allerdings keinerlei Nachweis, dass Stephen Hawking die Worte in irgendeinem Interview oder Buch verwendete.

Zumindest eine kleine Brücke lässt sich jedoch zu Hawking schlagen: Im Laufe seines Lebens und gut sichtbar im Inhalt seiner Bücher hat er immer wieder auch seinen vorangegangenen Theorien widersprochen und neue Theorien aufgestellt.

Insofern mag Hawking diese Worte zwar nie gesagt haben – Er lebte sie jedoch!

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