„Spanische Studie“ schürt Angst vor Verzehr von Insekten

Ein Artikel über generelle Risiken von Insekten als Nahrungsmitteln wird aus Zusammenhang gerissen, um Stimmung gegen die Novel-Food-Verordnung zu machen.

Autor: Walter Feichtinger

Die Behauptung

Eine Studie der Veterinärmedizinischen Universität Léon in Spanien soll vor schweren Schäden durch Verzehr von Insekten warnen.

Unser Fazit

Der zitierte Text ist keine wissenschaftliche Studie, sondern stammt von einer populärwissenschaftlichen Website. Er fasst zusammen, welche Risiken bei Insekten als Nahrungsquelle generell beachtet werden sollten. Bei den Hinweisen auf konkrete Giftstoffe werden die Namen der jeweiligen Insekten teilweise bewusst weggelassen. Es geht hier nämlich nicht um jene Insekten, die als „Neuartige Lebensmittel“ in der EU zugelassen wurden. Ohne diesen Kontext sind die Postings irreführend.

Spanische Medien veröffentlichen Recherchen zu schweren Schäden durch den Verzehr von Insekten „Eine ULe-Studie kommt zu…

Gepostet von He Li am Montag, 30. Januar 2023

„Insekten-Studie“: Postings auf Telegram, Twitter und Facebook zitieren und verlinken einen Text von der regionalen, spanischen Agrar-Website agrodiario.com. Dieser behandelt einen populärwissenschaftlichen Artikel vom Mai 2022, der auf der Seite theconversation.com erschienen ist. Es handelt sich beim Text nicht um eine Studie, sondern um ein Paper, das den damaligen Kenntnisstand zu potenziellen Gesundheitsrisiken beim Verzehr von Insekten wiedergibt und diskutiert. Die Postings reißen diese Informationen aus dem Zusammenhang und schüren damit Ängste.

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Die spanische „Studie“, die keine ist

Die Autoren, vier Forscher der Fakultät für Veterinärmedizin der Universität León sprechen in ihrem Artikel generelle Probleme und Gefahren an, die bei der Verwendung von Insekten als Lebensmitteln beachtet werden sollten. Hierbei geht es allerdings nicht konkret um jene Arten, die von der EU als Novel Food zugelassen wurden. Knapp zusammengefasst werden im ersten Abschnitt giftige Stoffe angesprochen und auch solche, die Probleme bei der Verdauung und Aufnahme von Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen verursachen können.

Eben weil es Insektenarten gibt, in denen problematische, chemische Verbindungen vorkommen können, muss bei einer möglichen Zulassung als Novel Food darauf geachtet werden. Es steht kein Wort davon im Text, dass diese Gifte z.B. in den Heimchen oder Mehlwürmern vorkommen. Chitin wird als „antrinutritive Substanz“ bezeichnet: als ein Stoff, der die Aufnahme von bestimmten Nährstoffen verhindern oder behindern kann. Solche „Antinährstoffe“ kommen allerdings in vielen Nahrungsmitteln vor und sind besonders oft „sekundäre Pflanzenstoffe“.

Azalea pontica
Antrinutritive Substanzen sind häufig sekundäre Pflanzenstoffe

Im Text der Forscher wird auch noch über Bakterien, Parasiten und Giftstoffen aufgrund chemischer Verunreinigungen gesprochen. Auch das Risiko für allergische Reaktionen wird kurz angerissen. Alles Probleme, die ebenso herkömmliche Nahrungsmittel betreffen können. Die Überlegungen sind also bei (rohem) Huhn, Kartoffeln oder Erdnüssen nicht viel anders. Was es braucht, sind einerseits Kontrollmechanismen und andererseits Verwendungs- und Zubereitungsempfehlungen.

Die Autoren von der Universität León empfehlen weitere Forschungen. Das betrifft aber nicht nur die Risiken:

Insekten könnten helfen, Probleme bei der Nahrungsversorgung zu lindern. Im Allgemeinen haben diese Produkte eine gute Ernährungsqualität und in einigen Fällen interessante technologische Eigenschaften. Darüber hinaus ist die geringe Umweltbelastung durch seine Produktion ein Aspekt, der für seinen Verbrauch spricht, der bereits von einigen internationalen Organisationen wie der FAO empfohlen wurde.

Auszug aus dem veröffentlichten Text auf theconversation.com

Insekten als Neuartige Lebensmittel

Novel Food sind neue Lebensmittel, die vor 1997 in der EU nicht in nennenswerter Menge verzehrt wurden. Diese Lebensmittel weisen aufgrund ihrer Zusammensetzung, Herkunft oder Herstellungsmethode neue Eigenschaften auf. Vor ihrer Verkaufszulassung müssen diese Lebensmittel einer gründlichen Sicherheitsbewertung unterzogen werden, um sicherzustellen, dass sie für den Verzehr sicher sind und keine Ernährungsmängel oder andere Probleme verursachen.

2013 hatte die Welternährungsorganisation FAO eine öffentliche Diskussion in Gang gesetzt: Insektenprotein könnte zur globalen Ernährungssicherheit beitragen. Hinzu kommen Ballaststoffe und viele Mikronährstoffe. Weltweit gibt es etwa 2000 essbare Arten, für 2 Milliarden Menschen – besonders in Asien, Afrika und Lateinamerika – sind sie schon jetzt Teil ihrer Ernährung. Auch für Klima uns Umwelt haben sie Vorteile: sie benötigen weniger Futter und Wasser als herkömmliche Nutztiere.

Essbare Insekten
Bild: Freepik

Die Novel Food-Verordnung regelt Neuartige Lebensmittel in der EU, sie ist seit Januar 2018 in Kraft. Die Novel Food-Verordnung definiert neue Lebensmittel und legt das Verfahren für ihre Zulassung fest. Dabei gibt es ein normalen sowie ein vereinfachtes Verfahren für traditionelle Lebensmittel aus Drittländern. Einige Arten von Lebensmitteln wie Aromen, Enzyme, Zusatzstoffe, genetisch veränderte Lebensmittel und Extraktionslösungsmittel für Lebensmittel sind von dieser Verordnung ausgenommen und unterliegen eigenen gesetzlichen Regelungen.

Die EU betrachtet Insekten als neuartige Lebensmittel. Im Juni 2021 wurde das erste Insekt, nämlich die getrockneten Larven des Mehlkäfers, von der EU-Kommission als Novel Food zugelassen. Seitdem kamen weitere Arten hinzu: die Wanderheuschrecke, das Heimchen und der Getreideschimmelkäfer. Die Verwendung dieser Insekten ist jedoch zunächst für die ersten fünf Jahre nach der Zulassung auf das Unternehmen beschränkt, das den Zulassungsantrag gestellt hat. Sie können unter bestimmten Bedingungen, wie beispielsweise getrocknet oder pulverisiert, als solche oder zur Verwendung in bestimmte Lebensmittelkategorien in Verkehr gebracht werden.

Fazit: Ja, es gibt ein Paper (keine Studie) von Wissenschaftern der Uni Léon vom Mai 2022. Die Aussagen darin werden allerdings aus dem Zusammenhang gerissen. In den Postings werden bei Hinweisen auf konkrete Giftstoffe die Namen der jeweiligen Insekten teilweise bewusst weggelassen.
Im Text werden potenzielle Gesundheitsrisiken beim Verzehr von Insekten diskutiert: Es gibt Insekten, die Toxine enthalten. Das sind aber andere, als die aktuell in der EU zugelassenen. Weitere Risiken: Allergische Reaktionen ähnlich wie bei Weich/Krustentieren möglich, Insekten können weiters mit Bakterien, Parasiten und gesundheitsschädlichen Chemikalien kontaminiert sein. Die Autoren empfehlen weitere Studien, aber nicht nur wegen der Risiken, sondern auch wegen der Chancen durch insektenhaltige Ernährung.


Quellen: theconversation.com, agrodiario.com, deutsches Bundeszentrum für Ernährung, oesterreich-isst-informiert.at, eur-lex.europa.eu

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