Wenn das Corona-Thema dich so sehr radikalisiert, dass du auf andere schießen würdest …

Autor: Andre Wolf

Schießen? Über die Radikalisierung
Wenn das Corona-Thema dich so sehr radikalisiert, dass du auf andere schießen würdest …
Schießen? Über die Radikalisierung

Das Corona-Thema nervt. Natürlich nervt es, weil wir als Gesellschaft gefühlt nicht vorwärtskommen. Und gleichzeitig radikalisiert das Thema Menschen. Eine gefährliche Radikalisierung.

Einer Presseinformation der Polizei entnehmen wir eine heftige Nachricht: „Nachdem eine Lehrerin einen Vater beim Elternsprechtag nach seinem negativem COVID-Test fragte, drohte er damit seine Pistole zu holen und damit auf Personen schießen zu wollen“. Die Polizei schreibt es in ihrem Bericht noch deutlicher. Darin lautet es:

Am 07.09.2021, gegen 09:30 Uhr wurden Polizisten der Polizeiinspektion Simmeringer Hauptstraße zu einer Schule beordert. Die Anruferin, eine Lehrerin der Schule, gab den Beamten gegenüber an, ein Vater eines Schülers habe gedroht, seine „Puffn“ (Anmerkung: „Knarre“) zu holen und auf Personen schießen zu wollen, nachdem er informiert wurde, dass er für den Elternsprechtag, der am heutigen Tag stattfindet, einen negativen COVID-Test benötigt.

Die Beamten begaben sich umgehend zur Wohnadresse des Beschuldigten, einem 43-jährigen österreichischen Staatsbürger. Der Mann gab an, seinen Unmut über die Coronamaßnahmen geäußert zu haben, bestritt jedoch den Vorwurf. Eine Schusswaffe wurde bei ihm nicht gefunden. Nach polizeilicher Einvernahme wurde der 43-Jährige über Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien auf freiem Fuß angezeigt. Darüber hinaus wurde ein Waffenverbot verhängt.

Schießen wegen eines Tests?

Das klingt beängstigend. Es ist doch „nur“ ein COVID-Test, um den es hier geht. Doch ist es wirklich nur dieser Test? Nein, ich glaube nicht. Ich bin überzeugt davon, dass hier mehr hinter steckt. Es ist die Gesamtsituation, die eine derartige Radikalisierung zulässt. Übrigens eine Gesamtsituation, die absehbar war.

Bereits im April 2020 habe ich für den Digitalen Krisenstab des Bundeskanzleramtes in Österreich das sogenannte Eskalationsstufenmodell entwickelt. Dieses Modell ___STEADY_PAYWALL___ beschreibt eine allgemeine Radikalisierung innerhalb der Corona-Pandemie im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen und auch die Beeinflussung von Desinformation und Falschmeldungen.

Besonders deutlich wird diese Radikalisierung in der vierten Eskalationsstufe. Diese beschreibe ich in meinem Buch „Angriff auf die Demokratie“ noch deutlicher und bemerke, wie die Situation des Vaters, welcher nach Angaben des Polizeiberichts auf Menschen schießen wollte, sehr deutlich mitten in eine finale Phase der vierten Eskalationsstufe passt.

Was besagen diese Eskalationsstufen?

Anfangs waren es noch mehr oder weniger lächerliche Kettenbriefe. Binnen weniger Monate waren es Demonstrationen mit Übergriffen. Anfang August und Ende 2020 fanden in Berlin zwei große Demonstrationen statt, die sich laut ihrer Titulierung gegen die Corona- Maßnahmen der Deutschen Bundesregierung wandten. Diese Demonstrationen, ihre Vorbereitung und ihre Nachschau waren begleitet von intensiven Aktivitäten auf Social Media.

Genau das macht den Charakter der vierten Eskalationsstufe aus. Mythen und Falschmeldungen auf Social Media feuern Menschen an, aktiv in der Realität einzugreifen. Sei es auf Demonstrationen, im Rahmen von zivilem Ungehorsam oder durch reale Gewalt.

Es geht nicht nur um Mythen bei dieser Radikalisierung, sondern auch um ein „satt sein“ zu diesem Thema. Dieses überdrüssige Gefühl wird jedoch unter anderem auch damit erreicht, dass an der Klaviatur der Desinformation, der falsch ausbalancierten Berichterstattung und der (teilweise bewusst) tendenziös geframten Darstellungen in Medien und alternativen Medien, aber auch in der Politik gespielt wird.

Zu dem Zeitpunkt, als ich das Modell aufgestellt habe, habe ich die vierte Eskalationsstufe lediglich als einen Warnhinweis gefasst. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch nicht eingetreten. Als Menschen im frühen Sommer 2020 an verschiedenen Stellen in Europa 5G-Sendemasten angezündet und zerstört haben, ist der Schritt in die vierte Eskalationsstufe erstmals deutlich geworden. Auch wenn das Thema „Schießen“ noch in weiter Ferne war.

Was hat dazu geführt? Desinformation, Ablehnung, persönliche Überzeugungen, die auf vielleicht nicht ganz korrekten Darstellungen basierten. Aber auch Ängste und somit der Aufbau von Feindbildern. Überhaupt Feindbilder! Feindbilder sind in Krisenzeiten ein wichtiges Element. Sie vereinen nicht nur Menschen in einer Notsituation oder in einem Kampf, sondern sie kanalisieren auch die Wut und die Ängste. Sie schaffen ein Ziel: Ist das Feindbild zerstört, ist die Krise bewältigt.

Über den Sommer 2020 haben wir auf den verschiedensten Demonstrationen und Protesten die absurdesten Feindbild-Darstellungen vorfinden können. Die Organisatoren kündigten diese Proteste über Social-Media-Kanäle an. Oftmals waren es dieselben Kanäle, auf denen auch heftigste Verschwörungsmythen kursierten. Ein Beispiel dafür ist der Telegram-Kanal des Kochs und Unternehmers Attila Hildmann. Hildmann erlangte einen besonderen Bekanntheitsgrad, weil er auf seinem Kanal Mythen verbreitet und dabei eine recht deutliche Sprache benutzt. Hier ein Beispiel aus seinem Kanal:

Oberste Chefin des zionistischen Besatzer Konstruktes der BRD: eine vom Satanisten Rothschild in Tavistock trainierte Stasi – Satanisten! Pergamon Museum: Thron Satans! Zentrum der globalen Satanisten-Szene und Corona Verbrecher! Hier machen sie nachts ihre Menschenopfer und schänden Kinder! Bodestr. 1 bis 3! 50 Meter davon entfernt am Kupfergraben 6 wohnt Illuminati, Rothschild – Raute, Ex Stasi – Erika der Dämon Merkel

Das lassen wir einfach mal sacken. Wir müssen auch vorsichtig sein, wenn wir die Teilnehmenden dieser Szene versuchen zu charakterisieren. Es wäre ein großer Fehler zu behaupten, alle Teilnehmer dieser Demonstrationen seien Nazis, Rechte, Verschwörungsjünger oder Esoterik-Gläubige. Das wäre Unsinn. Wir haben es in der Tat in vielen Fällen mit Menschen zu tun, die es Leid sind. Aber warum?

Ängste, Sorgen und überzogene Szenarien

Menschen haben Sorgen. Vor allem dann, wenn sie von einer Situation betroffen sind. Und die Coronapandemie ist für uns alle eine allgemeine Betroffenheitslage. Doch nun kommt noch ein zweites Element ins Spiel: Urängste!

Eine dieser Urängste ist die Angst um das eigene Kind. Wir haben immer wieder Geschichten während der Coronapandemie rund um die Kinder gehört. Zunächst waren es die sehr spannenden und kreative Geschichten aus dem QAnon Dunstkreis. Diese Geschichten handeln immer wieder von Kindern, die und unterirdischen Höhlen oder Gefängnissen gehalten werden.

Diese Geschichten handeln von Eliten, die nicht näher beschrieben werden, jedoch ein Kofferwort sind. Ein Kofferwort zumeist für linksliberale oder demokratische Politiker, für Künstler oder eben für Regierungen generell. Diesen Personen wurde immer ein Missbrauch an den Kindern angehängt. Bewiesen wurde das nie, jedoch auf der Metaebene wirken solche Erzählungen natürlich. Sie bewirken, dass im Hinterkopf sich schleichend ein Bild der kinderquälenden Regierungen manifestiert. Diese Menschen würden dementsprechend auch über Leichen gehen. Und eben das wurde dann im letzten Herbst auch genauso kommuniziert.

Im letzten Herbst sind angeblich Kinder gestorben, weil sie Masken tragen mussten. Eine Maskenpflicht, die von der Regierung angeordnet wurde. In diesem Umfang wurde beispielsweise behauptet, „Merkel tötet Kinder„.  Das ist natürlich nicht der Fall, jedoch dieser Meldung ging quer durch Social Media.

Gerade in Bezug auf Masken musste sogar die Polizei klarstellen, dass keine Kinder durch das Tragen von Masken verstorben sind. Doch die Geschichte geht noch weiter. So sind es angeblich Kinder gewesen, die bereits in diesem Frühjahr durch Impfungen verstorben sind. Das Problem: es gab schlichtweg noch keine Impfungen zu diesem Zeitpunkt für Kinder und Jugendliche. Selbst bis heute gibt es keine Impfempfehlungen für Kinder unter 12 Jahren.

Nicht ganz unschuldig an der Angst um die Kinder sind auch Medienberichte. Erst vor wenigen Wochen tauchte eine dpa Meldung mit dem Titel „Herzkrankheit nach Impfung bei Jugendlichen in Deutschland“ auf. Diese Mitteilung wurde in diversen Medien verbreitet. Wenn ich jetzt nur den Titel konsumiere, laufe ich natürlich in Gefahr, sehr einseitig und tendenziös informiert zu werden. Ich möchte dem Artikel jetzt auch keine Falschmeldung unterstellen, denn der Artikel, der zu dieser Schlagzeile gehört, ist komplett richtig. Das Problem ist jedoch, dass die Überschrift sehr stark fokussiert ist. Denn wenn wir dann den dazugehörigen Text lesen, erfahren wir Folgendes:

Das Nutzen-Risiko-Verhältnis der mRNA-Impfstoffe wie dem von Biontech/Pfizer bewertet das PEI unter anderem wegen der Seltenheit der Berichte dennoch weiter positiv. Insgesamt seien Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 17 in dem Zeitraum mehr als 1,3 Millionen Impfdosen gespritzt worden.

Wir sprechen hier also von 24 Fällen aus über 1,3 Millionen Impfdosen. Zudem noch ist keiner dieser Fälle tödlich verlaufen. Der dazugehörige offizielle Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts beschreibt die Situation wie folgt:

So wurden bis zum 31.07.2021 aus Deutschland 22 Fälle einer Myo-/Perikarditis bei
männlichen Jugendlichen und zwei Fälle bei weiblichen Jugendlichen berichtet.
Die Daten weisen darauf hin, dass mehr Fälle einer Myo-/Perikarditis bei
Jugendlichen im Monat nach der Impfung mit Comirnaty (n=24 bei mehr als 1,3
Millionen Impfdosen) berichtet wurden, als statistisch zufällig in der geimpften
Kohorte der Jugendlichen zu erwarten waren (n=10). Unter Berücksichtigung der
Seltenheit der Berichte und dem offenbar zumeist blanden Verlauf ist das NutzenRisiko-Verhältnis der mRNA-Impfstoffe weiterhin positiv.

Doch, sind wir uns gegenüber mal ehrlich, wird die dazugehörige Grundlage vom Paul-Ehrlich-Institut keine guten Leserzahlen kreieren. Nein, Aufmerksamkeit bekommen wir, wenn bewusst fokussiert wird und ein Bedeutungsrahmen aufgebaut wird. Ein Bedeutungsrahmen, der die Situation dramatisiert und eine punktuelle Aussage in den Vordergrund stellt.

Und das passiert eben bei so einer Berichterstattung. Ich verstehe das, jeder möchte so viele Besucherinnen und Besucher, so viele Leser wie möglich auf seiner Webseite haben. Doch im Fahrwasser dieser Berichterstattung entstehen dann halt die Probleme, dass eben durch den reinen Überschriftenkonsum eine Art Fehl- oder Tendenzinformationen hängen bleibt.

Doch zurück zum Vater: Schießen als Lösung?

Wir kennen also viele Faktoren, die zu einer Radikalisierung führen können. Eine Radikalisierung, die die finale Phase der vierten Eskalationsstufe darstellt. Ich kann nicht in den Kopf des Vaters schauen. Ich kann nur seine nach außen gedrungene Radikalisierung erkennen. Ob er wirklich schießen würde? Ich weiß es auch nicht. Aus dem Polizeibericht geht am Ende auch keine wirkliche Schussbereitschaft hervor.

Die Frage ist, wohin wird eine Radikalisierung grundsätzlich führen? Bisher haben wir es mit vermeidbaren Einzelfällen zu tun. Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut, angezündete 5G-Masten, „Sturm“ auf das Reichstagsgebäude. Aber auch immer häufiger Auseinandersetzungen. Der Sommer war recht ruhig, für den Herbst sehe ich jedoch Sturm (und das nicht nur metereologisch). Und für den Winter? Probleme!

Denn wenn ich überlege, dass die Sommerferien vielerorts gerade erst geendet haben, sehe ich aktuell neue Probleme auf uns zukommen. Neue Probleme, mit denen vor allem Lehrerinnen und Lehrer konfrontiert werden. So wie in diesem Fall mit der Androhung des Schießens laut Angaben des Presseberichts.

Aber was ist, wenn über die Kinder in die Schulklassen hinein auch noch eine Verweigerungsmentalität getragen wird? Wenn sie von zu Hause mit auf den Weg bekommen, sich zu weigern? Zu weigern eine Maske zu tragen, zu weigern einen Test zu machen? was ist, wenn die Inzidenzwerte durch den Schulbeginn nun explodieren werden?

Hier sehe ich große Probleme, das Lehrerinnen und Lehrer sich dann allein gelassen fühlen. Wie sollen sie handeln? Einem Mann, der damit droht zu schießen, da können wir die Polizei alarmieren. Das ist überhaupt kein Problem. Ich habe häufig das Gefühl, wir stehen nicht kurz vor dem Ende der Pandemie. Wir sehen auch nicht wirklich ein Licht am Ende des Tunnels. Sondern wir befinden uns mitten in den gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, an denen wir noch jahrelang zu knabbern haben werden. Winter is coming.

 


Hinweis: Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell
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