Analyse zu “Gleichberechtigung mit Asylanten”

Autor: Andre Wolf

Viele Quellangaben bedeutet nicht automatisch eine Richtigkeit: die bedeutungsträchtige Frage “Warum bekommen Asylanten-Kinder das 5-fache des deutschen Kindergeldes?” wird derzeit oft diskutiert.

Und der dazu gehörige Artikel birgt einen Haufen alter Bekannte in seiner Überzeugungsführung. Wir umreißen kurz den Inhalt, empfehlen jedoch, den Artikel an sich auf Gleichberechtigung.eu zu lesen (hier).

Der Autor des Artikels “Warum bekommen Asylanten-Kinder das 5-fache des deutschen Kindergeldes?” stellt hier die zentrale Forderung der Erhöhung des Kindergeldes von 190,- Euro auf 1.000,- Euro. Als Begründung wird die Gleichberechtigung mit Asylbewerbern angeführt. Der Tenor des Artikels besagt, dass deutschen Politikern Wohlergehen der Kinder von Asylbewerbern mit über 1.000,- Euro pro Monat mehr wert sei, als die lediglich 190,- Euro Kindergeld für deutsche Eltern

Über 1000 €?

Die Summe von über 1000 € wird in dem Artikel nun aus diversen Quellen abgeleitet, welche entweder selbst bereits streitbar sind oder missinterpretiert wurden.

Als erstes Argument in Beweisführung wird die erste Seite eines Leistungsbescheides der Ludwigshafener Verwaltung angeführt [2]. Auf diesem erkennt man dann auch nur die Personen sowie einen Gesamtbetrag. Nicht erkennbar ist jedoch, dass bei erwähnten Betrag die Unterkunfts- sowie Energiekosten bereits enthalten sind, da die Folgeseiten fehlen. Diese Beträge werden DIREKT an den Vermieter und Energieversorger ausbezahlt.

Man erkennt, dass es sich hierbei um 7 Personen handelt. Geht man nach den Geburtsjahren, dann dürfte es sich um eine Familie mit 2 Erwachsenen und 5 Kindern handeln. Der Bescheid selbst wurde im Juni 2015 ausgestellt. Was man auch nicht erkennen kann ist, ob der Betrag in BAR ausbezahlt wurde. Es fehlt in diesem Schreiben die Transparenz, wie die erwähnten 3.612,00 EUR zustande kommen bzw. zusammengesetzt sind. Auf diesen Bescheid veröffentlichte die Zeitung RHEINPFALZ im Januar 2016 eine Klarstellung [3]:

Mit einer neuen Masche wird derzeit in sozialen Netzwerken gegen Flüchtlinge gehetzt. In verschiedenen Foren kursieren individuelle Asylleistungsbescheide, wie die Ludwigshafener Verwaltung auf Anfrage bestätigt hat. Auch der RHEINPFALZ liegen solche Schreiben samt den Namen der Empfänger, einem monatlichen Leistungsbetrag von mehreren Tausend Euro für eine Großfamilie und den Kontaktdaten eines Sachbearbeiters vor. Die Frage, wie diese streng vertraulichen Dokumente an die Öffentlichkeit gelangen konnten, lässt die Verwaltung unbeantwortet. Allerdings seien die allgemeinen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz öffentlich zugänglich im Internet. http://www.gesetze-im-internet.de/asylblg/

An dieser Stelle liegt dann auch die erste große Missinterpretation, da der Artikel auf Gleichberechtigung.eu von einer anderen Annahme ausgeht. Hier wird der Betrag schlichtweg verdoppelt, die Miete, Strom und sonstige Kosten werden ein zweites Mal berechnet:

Wenn die Miete mit Nebenkosten für 7 Personen mit 1600,- Euro angenommen wird, Arztkosten mit 1500,- Euro monatlich, Sonstiges500 Euro, kommen 3512 + 1600 + 1500 + 500 = gehörige 7.112,- Euro zusammen.

Das ist schlichtweg Unsinn und wiederspricht allen gültigen Angaben. Da sich der Satz für anerkannte  Flüchtlinge an dem Niveau der Sozialhilfe orientiert, kann man hier als Referenzmaterial die Beispielrechnung der Arbeitsagentur heranziehen [4]:

image
(Quelle: Arbeitsagentur.de)

Der Bedarf ist inkludiert und Anteilmäßig auf die Haushaltsgemeinschaft aufgeteilt. Daher ist es schlichtweg falsch, die Zahlen zu dem Gesamtbedarf ein weiteres Mal zu addieren. Ferner muss man bei 1500 € Arztkosten jeden Monat durchaus von chronisch kranken Familienmitgliedern ausgehen.

Die zweite fehlinterpretierte Quelle

An dieser Stelle läuft dem Autor die Interpretation des Leistungsbescheides völlig aus dem Ruder: es wird ein Leistungsbescheid aus dem Jahre 2014 angeführt, welcher im Main-Taunus-Kreis ausgestellt wurde [5]. Ja, dieser Bescheid ist auch echt, jedoch handelt es sich hierbei um den berühmten “Eingliederungshilfe” Bescheid! In diesem Bescheid tauchen 2262,50 € “Eingliederungshilfe” auf. Wir erteilen an dieser Stelle gerne ein wenig Nachhilfe, was eine Eingliederungshilfe ist:

Man könnte jetzt tatsächlich der Suggestion des Wortklanges verfallen und denken, dass es sich um eine finanzielle Hilfe handelt, um sich als Asylbewerber in die Gesellschaft zu integrieren. Dem ist aber nicht so! Die sogenannte Eingliederungshilfe bezieht man in Deutschland nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch unter nachweislich folgenden Umständen:

§ 1 Körperlich wesentlich behinderte Menschen

Durch körperliche Gebrechen wesentlich in ihrer Teilhabefähigkeit eingeschränkt im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sind

[…]

§ 2 Geistig wesentlich behinderte Menschen

Geistig wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sind Personen, die infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfange in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sind.§ 3 Seelisch wesentlich behinderte Menschen

Seelische Störungen, die eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zur Folge haben können, sind

[…]

Mit dieser Angabe sollte nun deutlich feststehen, dass (laut Schreiben) in dieser Familie einer der 4 Leistungsbezieher eine Person mit wesentlicher Behinderung ist. Dies wird jedoch völlig missachtet und in dem Artikel als selbstverständliche Zahlung hingenommen, denn dort lautet es:

Eine Asyl-Familie mit zwei Kindern. Hier wird ein Bedarf von 4.300,- pro Monat berechnet, also wieder gut 1.000.- Euro pro Person und Monat.

NEIN, bei einer Familie ohne Eingliederungshilfe müssen an dieser Stelle die 2262,50 € abgezogen werden. Damit liegt man bei weniger als die Hälfte.

2 Fauxpas – was kommt noch?

Ja, es gibt noch ein drittes Argument in der Beweisführung. Und auch dieses Argument kennen wir bereits:

Der Finanzwirt Hubert Königstein hat anlässlich eines syrischen Geschäftsmannes, der seine 4 Frauen und 23 Kinder nach Deutschland brachte und Asyl beantragte, einmal nachgerechnet, was das den deutschen Steuerzahler kostet

Exakt diese Berechnung hinkt daran, dass die Summe durch falsche Pauschalbeiträge berechnet wurde und zudem fehlerhaft den Status der Familie darstellt. Unsere Berechnung anhand der Leistungsbeträge für Flüchtlinge, die sich IMMER NOCH an den ALG II Beträgen orientieren und sogar leicht (unwesentlich) darunter liegen, kann man in unserem Artikel 4 Frauen und 23 Kinder–RELOADED transparent anhand der Beispielrechnung der Arbeitsagentur (siehe auch oben) [4] nachlesen und nachvollziehen.

Dann war da am Ende noch Prof. Bernd Raffelhüschen

Als letztes Argument wird schließlich noch Prof. Bernd Raffelhüschen zitiert und mit den Worten widergegeben, dass Integrationskosten von mindestens 450.000,- Euro je Flüchtling aufkommen werden. Dies ist inhaltlich so weit korrekt, bezieht sich auf diverse Angaben des Finanzwissenschaftlers [6][7][8]. Problematisch jedoch in dieser Beweisführung: diese Zahlen haben rein gar nichts mit Geldern für Kinder zu tun, jedoch darin spiegelt sich die Grundaussage des Artikels “Warum bekommen Asylanten-Kinder das 5-fache des deutschen Kindergeldes?” wider.

Was also soll das Ganze?

Nicht allein die Argumente hinken, sondern vor allem die Vergleichsbasis generell: was Kinder in Bedarfsgemeinschaften an Leistungen erhalten, kann nicht mit Kindergeld verglichen werden. Diese Jugendlichen bekommen dieses Geld ja nicht auf die Hand, sondern es wird für ihre Unterbringung und Betreuung ausgegeben. Deutsche Kinder beispielweise, die vom Jugendamt betreut werden oder in Haushaltsgemeinschaft leben, die das ALG II empfangen, bekommen ebenso diese Leistungen.

Kindergeld kann man nur mit Kindergeld vergleichen und das bekommen Asylbewerber nicht. Insofern ist sie Basis für den Vergleich nicht gegeben. Was die üblichen Asylbewerberleistungen angeht, liegen diese wie bereits öfter erwähnt auf dem Niveau des ALG II Satzes (sog. Hartz IV). Deutsche Familien mit der gleichen Menge an Kindern erhalten dementsprechend selbiges Leistungsniveau.

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