Das Warten auf den Schulterschluss

Autor: Jens | ZDDK | MIMIKAMA

MIMIKAMA

So sitze ich hier am Kopfende meines Tisches und kann nicht anders, die ersten Hitzewellen des Sommers sind überstanden, mein Garten ist eine erbauliche Wildnis, kürzlich wurde sogar eine junge Ringelnatter entdeckt, die in einem ehemaligen Beet, welches jetzt eher an ein verwunschenes Unterholz erinnert, entschwand. Was noch fehlt ist eine kleine Ruine, nichts übergroßes nur so ein paar Steine angehäuft zu etwas das an ein Stück eines alten Bauwerkes erinnert, heutzutage sinnfrei aber optisch ein echter Reiz.

Reizpunkte bietet auch die deutsche Soziallandschaft und was wir dort in den letzten Tagen miterleben müssen, jagt mir einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken. Wir kennen die Bilder nicht nur aus der länger vergangenen Geschichte, die manch einer aus der rechtsradikalen Ecke gerne mal als Fliegenschiss bezeichnen möchte. Ein Fliegenschiss der Millionen Menschen getötet, Millionen Frauen zu Witwen, Millionen Kinder zu Waisen und Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht hat, ein Fliegenschiss beinahe so tödlich wie der Meteoriteneinschlag der die Dinosaurier aus dem Weltgeschehen verbannt hat.

Ich erinnere mich an eine Aktion des DGB Mitte der 80er Jahren „Mach meinen Kumpel nicht an“, ganz ohne Grund wurde die Aktion damals nicht ins Leben gerufen. Sie war damals eine Reaktion auf den zunehmenden Fremden- und Rassenhass in Deutschland (damals noch Deutschland West).

Kurze Zeit später, rund 4 Jahre, fiel die Mauer inklusive der Wiedervereinigung, natürlich mit Vorbehalten und Gerüchten hüben wie drüben, wovon nur ein Bruchteil sich als wahr herausgestellt hat, allerdings gab es eben auch dabei nennen wir sie der Einfachheit halber mal schwarze Schafe, ebenfalls hüben wie drüben, die dann von hüben nach drüben und von drüben nach hüben wechselten und die die Grundlage bildeten für weitere Vorbehalte gegen geldgeile Wessis und faule Ossis. Diese wenigen sorgten dafür, dass für einen Teil der Bevölkerung Gesamtdeutschlands sehr schnell der Hype um die gelungene, friedliche Wiedervereinigung abebbte und eine neue Mauer wurde errichtet, diesmal in den Köpfen der Menschen.

Dann fing es wieder an

Es dauerte aber nicht lange und ein neues, altes Hassobjekt wurde gefunden – Asylanten. Hoyerswerda, Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen, gerade mal rund 25 Jahre ist all das her, wir sahen sie deutlich vor uns die hässliche Fratze des Rassismus. Menschen bildeten Lichterketten und die Politik leitete endlich lange überfällige Reformen ein – der Geist des Hasses schien gebannt, bis die Nazis die Hasskeule bewegt durch den neuerlichen Flüchtlingsstrom, an dem die Industrienationen nicht ganz unschuldig sind, die alte Hasskeule erneut hervorkramten und in den verzweifelten, ängstlichen und unzufriedenen Menschen eifrige Zuhörer und willfährige Mitläufer fanden.

Fremdenhass ist in der Welt ständig zumindest latent vorhanden, meist ausgelöst durch die Angst vor dem Unbekannten, nicht dem Unbekannten als Person, sondern vielmehr seine Kultur, die er mit sich bringt. Das geschieht und geschah nicht nur bei uns, Europa, USA, Russland egal wo man hinschaut die Nazis und einen anderen Ausdruck für rassenhassende, faschistische, antidemokratische Personen gibt es in Kurzform nicht, brechen derzeit aus dem Boden wie Pilze. Woran das liegt mag man sich fragen, an der ungefilterten, was grundsätzlich eine tolle Sache ist, Struktur der sozialen Netzwerke.

kurze These

Jetzt ist das Internet also wieder schuld, nein, nicht direkt eher nur indirekt. Unmittelbar Schuld ist der Mensch und seine mentale Beschaffenheit, nein damit sage ich nicht, dass alle Menschen, die auf diese Ideologien reinfallen dumm sind und alle anderen die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Nein, dumme Menschen, sofern man sie als dumm bezeichnen will gibt es ebenfalls überall und mit jeder Ideologie.

Fast alle Menschen egal welcher Religion oder politischen Ideologie sie sich angehörig fühlen, haben ein gemeinsames, grundlegendes Problem wir sind der Informationsfülle nicht gewachsen, wir sind schlichtweg geistig überfordert mit dem was da im Netz an Nachrichten täglich auf uns einprasselt. Warum nur fast alle Menschen? Weil es durchaus Menschen geben mag, die intelligent genug sind und mit einer derartigen Auffassungsgabe gesegnet, oder vielleicht auf verflucht sind, dass sie alles aufnehmen, differenzieren, verarbeiten und reflektieren können, der Rest muss notgedrungen aussortieren. Leider denken aber sehr viele von sich sie würden zu dem „gesegneten Teil“ der Menschheit gehören und gehören nicht dazu.

Was geschieht also? Im ersten Schritt denken wir, wir können damit umgehen und saugen alles in uns auf, plötzlich aber wird die Zeit knapp, wir können gar nicht mehr alle Berichte lesen, die uns vorgesetzt werden. Wir könnten natürlich uns auf die für uns interessanten Themen beschränken, aber wozu, Google, Facebook und viele mehr bieten doch ein paar inhaltsbezogene Zeilen des Artikels, das reicht doch vollkommen aus, um sich zu informieren, um mitreden zu können. Letzteres mit Sicherheit, nur leider nicht vollumfänglich informiert, denn wie schon zu Zeiten der reinen Printmedien so wird heute erst recht nur ein „Eyecatcher“ eingesetzt, um des Lesers Interesse zu wecken. Oftmals werden riskante Behauptungen als Frage formuliert aufgeworfen, die dann im eigentlichen Artikel relativiert, differenziert oder gar widerlegt werden. Nur wenn man sich durch die Überschriften und „Inhaltsangaben“ ausreichend informiert fühlt, unterliegt man einem folgenschweren Trugschluss.

Vielleicht bedarf es einer bestimmten geistigen Reife, dass man bestehende, persönliche Probleme nicht sofort auf andere abwälzt, sondern selbstverschuldete Probleme auch mal dort reflektiert wo sie tatsächlich herkommen – bei sich selber.

Aber ich will gar nicht über das wie und warum des Fremdenhasses und seiner hässlichen Fratze philosophieren, das machen in den Tagen nach den Nazitagen von Chemnitz alle.

Was mich vielmehr interessiert ist, warum schaffen wir es nicht eine breite gemeinsame Front gegen diese Antidemokraten zu bilden?

Schauen wir uns einfach mal ein paar gute und gut gemeinte Beispiele an – „Reconquista Internet“ von Jan Böhmermann mit dem Ansatz das Internet sozusagen wieder positiv zu besetzen, nett und freundlich Gegenrede zu bieten, dann wie bereits erwähnt aus den 80ern „Mach meinen Kumpel nicht an“, „#ichbinhier“, „Aufstehen“, hinsetzen, liegenbleiben (ja ich weiss die letzten beiden gibt es nicht, sollen auch nur ein Scherz sein), sowie nahezu in jeder Stadt, jedem Kreis eine Bürgerinitiative. Also ist doch eigentlich ein gute breite Basis da, was fehlt ist eine „Dachorganisation“ die jeden anspricht und da wird es schwierig.

Während die Nazis mit ihren Mitläufern ein Ziel ausleben und dafür notfalls ihre internen Unterschiede sausen lassen, nach dem Motto erstmal die Fremden raus, anschließend hauen wir uns um den Kuchen.

Gelingt es auf der demokratischen Seite nicht diese Unterschiede beiseite zu schieben. Mir drängt sich der Eindruck auf, grundsätzlich wollen alle das Selbe nur eben lieber jeder für sich anstatt über den jeweiligen eigenen Schatten zu springen und eine partei- und religionenübergreifende Bewegung ins Leben zu rufen, die der Mehrheit der Bevölkerung als Anlaufstelle dient und ihnen den Glauben und das Vertrauen in die Demokratie wieder gibt. Es geht hier nicht länger um die Befindlichkeiten des einzelnen sondern vielmehr um eine gemeinsame Verteidigung der Menschlichkeit und Demokratie in Deutschland.

Was im demokratischen Teil unserer politischen Landschaft gerade geschieht zeigt deutliche Parallelen zu den „Thought and prayers“ der US Politiker nach jedem neuen Amoklauf. Das die Nazi Parteien Chemnitz feiern, bislang ohne Konsequenzen sollte uns allen Angst machen.

Die Reaktion der Musikszene darf nur ein Anfang gewesen sein und die Reaktionen derer die als hässliche Fratze der Hetze aus der braunen Ursuppe des Rechtsnationalismus gekrochen kamen, zeigt, dass damit ein Nerv getroffen wurde. Fühlten sie sich doch bislang als Mehrheit, doch weit gefehlt, wir sind mehr und das sogar im mehr als einem Sinn.

Zum einen rein mengenmäßig, aber auch als Nation, als Land, wir sind mehr als ein hasserfüllter, gewaltbereiter Mob und das gilt es der Welt zu zeigen. Außerdem sei nicht vergessen auch Sachsen ist mehr als ein rechter Sumpf, auch dort gibt es viele aufrechte Demokraten, denen die Ereignisse von Chemnitz schwer im Magen liegen.

Allerdings stellt sich Angesichts der zur Schau getragenen politischen Unfähigkeit eine wichtige Frage:

Was muss noch geschehen bis unsere demokratischen Politiker den Schulterschluss gegen Rechts schaffen und nicht nur aufeinander eindreschend Forderungen stellen oder sich gar gegenseitig Vorwürfe machen?

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