Mythos Orang-Utan-Bordelle – Die Geschichte von „Pony“

Für ganze Bordelle gibt es keinerlei Nachweis, jedoch werden Orang-Utans tatsächlich als Showobjekte vorgeführt – und leider bekommen Bilder davon auch noch Likes in sozialen Medien.

Autor: Ralf Nowotny

„Och, wie süß, ein Orang-Utan in Babykleidung, das muss ich gleich mal liken und teilen“ – was in sozialen Medien nahezu unbemerkt von der öffentlichen Wahrnehmung dargestellt wird, ist weder süß noch teilenswert, sondern eine tatsächlich stattfindende Ausbeutung und Quälerei der gutmütigen Primaten, damit Touristen lustige Fotos machen können.
Zwar gibt es nur einen einzigen belegten Fall, in dem ein Orang-Utan anscheinend prostituiert wurde, doch mindert dies nicht das Leid, das die Tiere ansonsten noch erfahren müssen.

Mythos Orang-Utan-Bordelle

Seit 2007 kursiert die Behauptung, dass es ganze Orang-Utan-Bordelle gäbe, als Michelle Desilets, ehemalige Leiterin der Borneo Orangutan Survival Foundation UK, in einem Interview mit Vice von „Pony“ erzählte, einem Orang-Utan Weibchen, die in einem Prostituierten-Dorf in Borneo gefunden wurde.

Doch seitdem wurde die Geschichte aufgebläht: Aus dem Prostituierten-Dorf wurde irgendwann ein komplettes Orang-Utan-Bordell, wobei immer wieder die gleichen Fotos von „Pony“ zur Illustration genutzt wurden. So wird auf Facebook beispielsweise sehr reißerisch von „zoophilistischen Horror-Freudenhäusern“ erzählt, in denen „Unzucht, Perversität und Sodomie“ herrschen.

Die Schilderungen sind jedoch in ihrer Detailliertheit eher der Fantasie der Bewegung entsprungen, die den Mythos auf Facebook erneut verbreitet, beruhend auf einem einzigen, dokumentierten Fall aus dem Jahr 2002.

Wir wollten nun aber genauer wissen, was es mit den angeblichen Bordellen und dem Fall „Pony“ auf sich hat und kontaktierten deshalb den Verein BOS Deutschland (BOS = Borneo Orangutan Survival), Betreiber der Seite orangutan.de, der uns freundlicherweise sehr ausführlich darüber berichtete.

Im Folgenden könnt ihr nun die Geschichte von „Pony“ lesen, wie sie uns von BOS Deutschland e.V. geschildert wurde: Wie sie gefunden wurde, wie es ihr heute geht, und welches Leid die Primaten tatsächlich heute immer noch für „lustige“ Fotos und Videos erfahren müssen.

Wie wurde Pony gefunden?

Im Jahr 2002 erhielten die Naturschutzbehörde BKSDA und die BOS Foundation in Zentral-Kalimantan Berichte über einen Orang-Utan, der im Dorf Kereng Pangi in Zentral-Kalimantan als Prostituierte missbraucht wurde. Als das Rettungsteam eintraf, um das Tier abzuholen, weigerte sich der Besitzer es herauszugeben. Auch die umliegende Gemeinde lehnte die Ankunft des Teams lautstark ab. Nach einer langen Planungs- und Koordinierungsphase gelang es dem gemeinsamen Team von BKSDA und BOS Foundation am 13. Februar 2003 Pony in Begleitung der örtlichen Polizei zu beschlagnahmen. Pony wurde sofort in das BOS-Rettungszentrum Nyaru Menteng gebracht.

In dem Bericht hieß es zunächst, dass Pony von dem Besitzer des Hauses, in dem sie lebte, als Prostituierte verkauft worden war. Nach der Rettung wurden Anstrengungen unternommen, um die Geschichte bei den beteiligten Personen und Beamten zu bestätigen, einschließlich der Mitarbeiter der BKSDA, die an der Beschlagnahmung von Pony in Kereng Pangi beteiligt waren, aber wir waren nie in der Lage, den ursprünglichen Bericht zu verifizieren.

Wie war Ponys Zustand bei der Ankunft in Nyaru Menteng?

Pony kam am 13. Februar 2003 in Nyaru Menteng in einem schlechten Zustand an. Sie wog 42 kg und wurde vom medizinischen Team als fettleibig eingestuft, da sie zu diesem Zeitpunkt erst 6 Jahre alt war. Ihr Haar war komplett rasiert und ihre Haut war mit Mückenstichen übersät und durch ihr eigenes Kratzen deutlich gereizt.

Medizinische Untersuchungen zeigten, dass Ponys Vagina etwas größer als normal war, aber das medizinische Team konnte keine Spuren von Gewalt finden.

Wurde der Besitzer von Pony verurteilt?

Wir haben nie Informationen darüber erhalten, dass die Strafverfolgungsbehörden gegen Ponys früheren Besitzer vorgegangen sind.

Wie geht es Pony heute?

Pony lebt derzeit im Nyaru Menteng Sozialisierungskomplex. Ihr Gewicht bei der letzten Wiegung betrug 60 kg. Sie hat auch einen guten Appetit.

Wie alt ist sie?

Sie ist jetzt etwa 26 Jahre alt. Als sie gerettet wurde, war sie etwa 6 Jahre alt.

Kann Pony wieder ausgewildert werden?

Wir haben bereits zweimal versucht, Pony auf einer Vorauswilderungsinsel unterzubringen, zuerst in Bangamat und dann in Kaja. Bei beiden Versuchen zeigte Pony keine ausreichende Fähigkeit, nach natürlicher Nahrung zu suchen und Kontakte zu anderen Orang-Utans zu knüpfen. Wir haben festgestellt, dass Pony nicht über die notwendigen Überlebensfähigkeiten und das Sozialverhalten verfügt, um in einem natürlichen Lebensraum zu überleben, selbst mit zusätzlicher Unterstützung durch unsere Mitarbeiter.

Die Situation von Orang-Utans in Indonesien und Thailand

Auch wenn es sich also bei Pony um den einzig bekannten Fall von wahrscheinlicher Prostitution handelt, bedeutet das nicht, dass es den Primaten ansonsten ganz gut geht. Deshalb hier nun einige Fakten:

  • Uns sind keine weiteren Fälle von Orang-Utan-Prostitution bekannt.
  • Lebensraumverlust, Vertreibung, Mensch-Tier-Konflikte, illegale Haustierhaltung sind die Gründe, weshalb Orang-Utans in den vergangenen Jahren in den BOS-Rettungszentren aufgenommen werden mussten.
  • Der Orang-Utan steht in Indonesien unter Schutz. Die Haltung als Haustier, Tötung und selbstverständlich jegliche Form von Missbrauch stehen unter Strafe. Wir vergleichen die Situation der Orang-Utans gern mit der von Wölfen oder Bären hier bei uns in Europa. Reißen Wölfe Schafe oder nähern sich unseren Häusern, greifen auch hier die Betroffenen schnell zur Waffe oder rufen nach Abschussquoten.
  • Die ländliche Bevölkerung in Indonesien ist arm, sie ist von den Erträgen ihrer kleinen landwirtschaftlichen Flächen oder vom Einkommen auf Ölpalmenplantagen abhängig. Bedient sich ein Orang-Utan – dessen Lebensraum Regenwald immer kleiner wird – an der eigenen, fürs Überleben wichtigen Ernte oder sucht Nahrung auf den Plantagen, wird er als Bedrohung wahrgenommen. (Und anders als in Europa gibt es in Indonesien keine finanziellen Entschädigungen.)
  • Dank intensiver Aufklärungsarbeit, alternativen Einkommensquellen und langfristiger Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung konnten wir in den zurückliegenden Jahren den Schutz der Orang-Utans deutlich verbessern. So werden wir, ebenso wie die lokalen Naturschutzbehörden und die Polizei, zu Hilfe gerufen, wenn ein Orang-Utan in einem Dorf auftaucht oder ein Baby gefunden wird.
  • Übrigens: Orang-Utans ab einem Alter von rund acht Jahren sind, egal wie ihr Leben / ihre Haltung bis dahin aussahen, nie absolut ungefährlich. Sie sind und bleiben Wildtiere, die im erwachsenen Alter in etwa sieben Mal so stark wie Menschen sind.
  • Zum Thema Go-Go-Girls: Auch davon sind uns in Indonesien keine Fälle bekannt. Allerdings gibt es gerade in Thailand Zoos und Vergnügungsparks wie Safari World Bangkok, in denen Orang-Utans in z. B. in Boxshows (inkl Nummerngirls) gequält, gedemütigt, misshandelt und vorgeführt werden. Auch europäische Touristen besuchen solche Shows. BOS hat schon fast 50 Orang-Utans aus thailändischen Vergnügungsparks befreit. Einige von ihnen konnten inzwischen sogar ausgewildert werden.

    Inzwischen sollen die meisten Tiere in diesen Parks Nachzuchten sein.
    Die Babys müssen in niedlicher Babykleidung mit Touristen kuscheln und vor der Kamera posieren.
    Die größeren Tiere werden oftmals mit Gewalt dressiert für die Shows.


    Wir bemühen uns um ein Ende dieser Shows und um die Befreiung der Orang-Utans, u. a. mit dieser Petition, aber auch auf anderen Wegen: https://www.orangutan.de/petitionen/sofortiger-stopp-der-orang-utan-shows-in-thailand-und-kambodscha/

Jede:r einzelne kann etwas tun, um dieses Leid zu beenden

  • Nie solche Shows besuchen (die es nicht nur in Asien gibt)!
  • Keine Fotos mit Wildtieren machen!
  • Keine Fotos in den Sozialen Medien teilen, liken, positiv kommentieren, auf denen Wildtiere wie z. B. Orang-Utans zu vermenschlichten Kuscheltieren gemacht werden! Wildtiere sind keine Haustiere oder Kuschelobjekte, ganz egal wie niedlich sie sind oder wie gern man sie auf den Arm nehmen würde. Für die Tiere bedeutet es IMMER Qual, auch wenn es nicht so aussieht.
  • Orang-Utans tragen keine Kleidung, sie baden nicht in Badewannen oder Planschbecken, sie fahren keine Golfkarts, usw… all das ist antrainiertes, nicht natürliches Verhalten und Quälerei.

Fazit

Es gibt nur einen einzigen, bekannten Fall von wahrscheinlicher Orang-Utan-Prostitution aus den Jahren 2002/03.
Go-Go-Girls, Orang-Utans in Babykleidung, Orang-Utans als Kuscheltiere oder Showobjekte – die gibt es, und das nicht nur in Asien. Und in den Sozialen Medien vergeben tausende von NutzerInnen Herzchen und Likes für solche Bilder und Geschichten oder statten beim nächsten Thailand-Urlaub solchen Shows einen Besuch ab.

Wenn euch also mal in sozialen Medien solche Bilder begegnen: Nicht liken, nicht teilen, nicht mit „Ach wie süß“ und Herzchen kommentieren, sondern freundlich, aber bestimmt darauf hinweisen, dass dies alles andere als niedlich ist, sondern kommerzielle Tierquälerei auf Kosten der Tiere.

Wir danken vielmals dem BOS Deutschland e.V. für die zur Verfügung gestellten Informationen!

Weitere Informationen, Fotos und Interviewpartner:

BOS Deutschland e.V.

Impact Hub Berlin, Rollbergstraße 28a, 12053 Berlin, Tel.: 030 890 60 76 – 0, www.orangutan.de

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