Faktencheck: Impfstoff-Forscherin musste ins Gefängnis?

Autor: Ralf Nowotny

Artikelbild: Shutterstock / Von Iren Moroz
Artikelbild: Shutterstock / Von Iren Moroz

Eine Forscherin soll eine Gefängnisstrafe erhalten haben, da sie den Nachweis erbrachte, dass Rotaviren durch Impfstoffe übertragen werden.

So wird zumindest in einem Artikel behauptet, zu dem wir eine Anfrage in unserer Facebook-Community bekamen:

Screenshot: mimikama.org
Screenshot: mimikama.org

So soll die Molekularbiologin Dr. Judy A. Mikovits Beweise gefunden haben, dass „tödliche Retroviren durch Impfstoffe auf 25 Millionen Amerikaner übertragen wurden“.

Die Behauptung

Die Vorgeschichte

Laut dem Artikel forschte Mikovitz im Jahre 2009 an neurologischen Erkrankungen und entdeckte dabei einen bestimmten Retrovirus, der das Immunsystem stört.
Am 8. Oktober 2009 wurde ihre Arbeit darüber in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht.

2011 schrieb dann „ein anderer AIDS-Forscher“ ein Papier, welche im Grunde genommen sage, dass jene Viren, die Mikovits entdeckt habe, durch Impfstoffe verbreitet werden.

Der „Deep State“ greift ein?

Nun soll der sogenannte „Deep State“ (in den USA ein Begriff, um Vetternwirtschaft innerhalb eines politischen Systems zu beschreiben) die Bedrohung für die Impfindustrie erkannt haben und daraufhin Judy Mikovits ohne Anhörung und Haftbefehl für fünf Tage ins Gefängnis gesperrt haben.

Warum nun allerdings Mikovitz ins Gefängnis kam, jedoch nicht der unbekannte Aids-Forscher, der doch den „Link“ zu Impfungen beschrieb, ist uns selbst nicht klar.
Jedenfalls sollte Mikovitz behaupten, sie habe alles erfunden, den Virus gäbe es gar nicht.
Nachdem sie sich weigerte, bekam sie eine Haftstrafe von 4 Jahren ohne Kaution und ohne Bewährungsmöglichkeit. Ihre Stelle verlor sie selbstverständlich ebenfalls.

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Der Faktencheck

Das Forschungspapier

Tatsächlich veröffentlichte Judy Mikovitz im Jahre 2009 eine Studie mit dem Namen „Detection of an Infectious Retrovirus, XMRV, in Blood Cells of Patients with Chronic Fatigue Syndrome“ („Nachweis eines infektiösen Retrovirus, XMRV, in Blutzellen von Patienten mit chronischem Müdigkeitssyndrom“).

Jener Artikel fand viel Beachtung, wurde jedoch wieder von „Science“ im Oktober 2011 zuerst teilweise, zwei Monat später komplett zurückgezogen, da erhebliche Zweifel an den Forschungsergebnissen auftauchten. Bereits im Juli 2011 tauchten erste Zweifel an der Integrität der Studie auf.
So konnte kein anderes Labor bei Patienten mit chronischem Müdigkeitssyndrom jene sogenannten Mäuseleukämieviren (XMRV oder MLV) zuverlässig nachweisen. Die Mitautoren der Studie räumten gegenüber „Science“ selbst ein, dass wichtige Informationen in der Studie fehlten oder falsch interpretiert wurden.

Die Kündigung

Am 29. September 2011, also noch bevor „Science“ das Papier endgültig zurückzog, wurde Judy Mikovitz bereits von ihrem Arbeitgeber, dem „Whittemore Peterson Institute for Neuro-Immune Disease“ entlassen, nachdem sie mit der Institutspräsidentin und Mitbegründerin des Instituts, Annette Whittemore, in einen Streit geriet.

Es stellte sich nämlich heraus, dass Mikovitz in ihrer Studie eine andere Forschungsarbeit kopierte und anders interpretierte, wie das Wissenschaftsjournal „Nature“ berichtete. Beispielsweise habe sie Grafiken aus einer anderen Studie entnommen und mit anderen Patientendaten versehen.

Die Verhaftung

Im November 2011 kam es zu der Verhaftung von Mikovitz.
Tatsächlich wurde Mikovitz ohne Haftbefehl festgenommen, was gemäß dem kalifornischen Strafgesetzbuch „California Penal Code section 1551.1, “Fugitive From Justice.”“ rechtmäßig ist, wenn eine Person von Gerichten in einem anderen Staat (in dem Fall in Nevada) angeklagt wurde.

Tatsächlich war dies der Fall, da das Whittemore Peterson Institute in Nevada Klage gegen Mikovitz eingereicht hatte, sie soll nach ihrer Entlassung zu Unrecht geschützte Daten in Labor-Notizbüchern, Laptops und Flash-Laufwerken gelöscht haben.

Die Klage gegen Mikovitz wurde später fallengelassen, allerdings nicht aus Mangel an Beweisen, sondern aus anderen Gründen: Der Ehemann der Institusgründerin, Harvey Whittemore wurde angeklagt, illegale Wahlkampfspenden an Kongessabgeordnete geleistet zu haben und einen Wahlausschuss veranlasste gegenüber der Bundewahklkommission und dem FBI zu lügen.
Aus diesem Grund konnten Klagen des Institus wegen allgemeiner Zweifel an dem Kläger nicht weiter durchgeführt werden.

Das Buch

2014 veröffentliche Mikovitz ein Buch mit dem Namen „Plague: One Scientist’s Intrepid Search for the Truth about Human Retroviruses and Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS), Autism, and Other Diseases“ („Plage: Die unerschrockene Suche einer Wissenschaftlerin nach der Wahrheit über menschliche Retroviren und das chronische Müdigkeitssyndrom (ME / CFS), Autismus und andere Krankheiten“).

In dem Buch gibt es einige Ungereimtheiten, so schreibt sie beispielsweise im Vorwort, dass sie Dr. Tony Fauci eine E-Mail an Dr. Frank Rusetti, einen langjährigen Mitarbeiter von Mikovitz, verschickt habe, welche beinhaltete, dass Vikovitz an Forschungen teilnehmen könne, die ihre damalige Studie bestätigen sollten, allerdings dürfe sie nicht das Gelände des „National Institute of Health“ betreten, da sie sonst sofort verhaftet werden würde.

Die Kollegen von „Snopes“ haben sich mit Dr. Tony Fauci, dem Director des NHI, in Verbindung gesetzt. Jener erwiderte, er habe nie eine solche Mail verschickt, auch habe er seine IT-Mitarbeiter nach der Existenz einer solchen E-Mail in seinem Postfach suchen lassen.
Zudem würde er nie Formulierungen verwenden, wie jene dass jemand „sofort verhaftet“ werden würde, wenn das Eigentum des NHI betreten werde.

Ein Sprung ins Jahr 2018

Danach war es einige Zeit still um Judy Mikovitz, bis sie schließlich im November 2018 wieder auf diversen „alternativen Nachrichtenseiten“ wie „Collective Evolution“ und „Real Farmacy“ auftauchte.

Auf diesen Seiten steht dann auch auf Englisch exakt jener Artikel, welcher in dem erfragten Artikel auf Deutsch erschien: Judy Mikovitz behauptet selbst, sie sei verhaftet und ins Gefängnis gesperrt worden, weil sie entdeckte, dass Impfungen diese Viren übertragen würden.

Zur Erinnerung: In ihrer Studie von 2009, die auch immer wieder in diesen Artikeln erwähnt wird, wird an keiner Stelle von Impfstoffen geschrieben!

In einem Interview mit „Natural News“ stellte sie dann auch jene Behauptung auf, dass 25 Millionen Amerikaner mit jenen Viren in Impfstoffen infiziert worden wären. Da sie dies aufdeckte, sei sie am 18. November 2011 sowohl entlassen als auch ohne Grund in ihrem Haus verhaftet und in Handschellen abgeführt worden.

Zur Erinnerung: Sie wurde bereits am 29. September 2011 aus anderen Gründen entlassen, verhaftet wurde sie im November 2011 wegen vornehmlicher Zerstörung/Entwendung von vertraulichen Daten des Instituts!

Und diese andere Forschung?

In der Vorgeschichte schrieben wir von einer anderen Forschung von 2011, welche einen „Link“ der Viren zu Impfstoffen herstelle. Dabei handelt es sich um jene Forschung mit dem Namen „Of mice and men: on the origin of XMRV“ („Von Mäusen und Menschen: Über den Ursprung von XMRV“).

Konkret geht es um die Übertragung des XMRV-Virus von Mäuse auf Menschen. Die Ergebnisse jener Studie wurden wenige Monate später von den Autoren selbst revidiert, da auch XMRV-Viren entdeckt wurden, die von Mensch zu Mensch übertragen werden, es sich somit nicht um einen reinen Mäusevirus handelt, durch den Menschen sich infizieren.

Die Erwähnung von Impfstoffen

Zum damaligen Zeitpunkt war noch unklar, wie sich denn nun der XMRV-Virus auf Menschen überträgt. In dem obigen Papier werden verschiedene Möglichkeiten genannt, unter anderem auch die Möglichkeit, dass der Virus durch kontaminierte Impfstoffe verbreitet wird.
Es wurde also nicht die Behauptung aufgestellt, dass es so sei, sondern nur die Frage aufgeworfen, damit diese Möglichkeit in künftigen Forschungen in Betracht gezogen wird.

Der Ursprung: Eine verunreinigte Zelllinie

2006 wurde der XMRV-Virus erstmals bei einigen Männern mit Prostatakrebs entdeckt, ebenfalls fanden sich diese Viren auch bei Menschen mit chronischem Müdigkeitssyndrom.
Aufgrund jener Entdeckungen begann dann auch Judy Mikovitz mit ihren Forschungen, welche sich als falsch herausstellten.

Im Jahre 2016 wurde dann endgültig festgestellt, warum es so viele widersprüchliche Forschungsergebnisse gab:
Etwa 1993 wurden einer Maus, welche mit dem Virus infiziert war, Zellproben entnommen. Diese Zellen wurden kultiviert und an verschiedene andere Labore versandt. Durch gut kontrollierte Experimente wurde herausgefunden, dass die widersprüchlichen Ergebnisse dadurch entstanden, da einige der Zellproben kontaminiert waren und somit falsche Ergebnisse hervorbrachten, eben dass z.B. Menschen mit chronischem Müdigkeitssyndrom auch XMRV-Viren im Körper haben.

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Zusammenfassung

  • Mikovitz forschte an dem Zusammenhang von XMRV-Viren mit dem chronischem Müdigkeitssyndrom.
  • Sie wurde entlassen, da die Forschungsergebnisse gefälscht waren, sie konnte keine XMRV-Viren nachweisen.
  • Sie wurde verhaftet, da sie angeblich Daten des früheren Arbeitgebers entwendete und/oder zerstörte.
  • In ihren Forschungen wurde kein einziges Mal ein Zusammenhang mit Impfstoffen erwähnt.
  • Eine andere Forschung zwei Jahre später erwähnt Impfungen nur als möglichen Übertragunsweg des XMRV-Virus.

Jahre später behauptet Mikovitz auf diversen einschlägigen Seiten, sie sei wegen ihren Forschungen entlassen und verhaftet worden, zudem baute sie eine Verschwörungstheorie rund um „Deep State“ und „Big Pharma“ auf, um ihrer Geschichte den gewissen Pfiff zu geben.

Wie „Snopes“ es so schön formulierte:
Obwohl Mikovitz möglicherweise die Unterstützung der wissenschaftlichen Gemeinschaft verloren hat, scheint sie in der pseudowissenschaftlichen Verschwörungswelt eine neue Heimat gefunden zu haben.

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