Warum der Specht keine Gehirnerschütterung bekommt

Der Kopf eines Spechts wirkt wie ein Hammer statt als Stoßdämpfer: Weit verbreitete Hypothese endgültig widerlegt.

Autor: Susanne Breuer

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Neueste Studien eines internationalen Forscherteams zeigen, dass die bisherige Annahme, der Schädel eines Spechtes fungiere als Stoßdämpfer, falsch ist. Im Gegenteil: Specht-Schädel sind evolutionär auf die Funktion als energiesparender Hammer optimiert, ohne dass dies zu schweren Hirnverletzungen führt. Diese neuen Forschungsergebnisse dürften neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn auch Konsequenzen für Werkstoffforscher und Produktentwickler in aller Welt haben (HIER)

Spechte leisten Schwerstarbeit

Jeder, der Spechte in Aktion erlebt, wird sich dieselbe Frage stellen. Wie schaffen sie es, in dieser extrem hohen Frequenz mit ihrem Schnabel auf einen Baum einzuhämmern, ohne sich schwerste Kopfverletzungen zuzuziehen oder zumindest Kopfschmerzen zu entwickeln?

Die blanken Zahlen sind höchst eindrucksvoll: Um Nisthöhlen zu bauen, Nahrung zu finden, ihr Revier zu markieren oder einen Partner anzulocken, schlagen die kleinen Vögel mit einer Geschwindigkeit von 25 km/h vor den Baum, ungefähr zwanzigmal pro Sekunde und ca. 12.000 Mal am Tag. (HIER)
Und bei jedem einzelnen Schlag wird der Kopf mit dem Tausendfachen der Erdbeschleunigung abgebremst. (HIER)

Soweit die Zahlen. Aber wie funktioniert dies ohne gravierende negative Folgen für den Vogel?

Kopf soll wie Stoßdämpfer wirken

Seit vielen Jahren war die Forschung sich einig, dass der Schädel eines Spechtes wie ein Stoßdämpfer wirkt, und die Strukturen im Schädel des Spechtes die Stöße absorbieren. Auf diese Weise soll die schädliche Abbremsung des Gehirns des Spechtes beim Aufprall auf Bäume minimiert werden.

So hatten zuletzt koreanische Forscher 2011 (HIER) Belege für die bis dato gültige Hypothese geliefert, dass sich im Schädel an strategischen Stellen schwammige Strukturen, sogenannte Spongiosa, finden, welche den Aufprall abfedern. Die Spongiosa stellt im Knochen ein Stützgerüst in Leichtbauweise dar, das stabil gegenüber Druckbelastungen ist. Diese Erklärung hat weltweit die Entwicklung schockabsorbierender Materialien und Produkte beeinflusst.

Bestärkt wurde diese Erklärung durch eine Studie chinesischer Forscher aus 2020, wonach das Zungenbein des Spechtes, ein Knochen zwischen Schnabel und Schädel. Eine ähnliche Wirkung haben soll, da er einen Teil der Energie aufnehme. (HIER)

Diese Erklärung des Schädels als schockabsorbierenden Stoßdämpfers ist weltweit auf Schautafeln in Zoos oder in Schulbüchern zu finden und galt als wissenschaftlich hinreichend belegt. Bis jetzt!

Neue Studie: Specht-Kopf ist kein Schockabsorber

Mitte Juli 2022 veröffentlichte ein multinationales Team rund um den Biologen Sam van Wassenbergh von der Universität Antwerpen eine Studie, die die bisherige Denkweise auf den Kopf stellt. Die Forschergruppe kommt zu dem Schluss, dass die Hypothese des Stoßdämpfers sogar paradox sei, da dieser Wirkmechanismus „wahrscheinlich die Schlagleistung des Vogels beeinträchtigen würde“. Kurz gesagt, wenn die kinetische Energie absorbiert würde, könnte der Specht gar nicht vorne derartig kräftig auf den Baumstamm einpicken.

In der aktuellen Studie wurde das Hämmern von drei verschiedenen Specht-Arten quantitativ untersucht. Durch Highspeed-Aufnahmen, bei denen entscheidende Stellen am Kopf des Spechts mit Markierungen versehen wurden, konnte belegt werden, dass der Bereich zwischen Schnabel und Schädel steif bleibt und damit keine dämpfende Wirkung zum Tragen kommt. Würde jedoch eine Struktur im Kopf des Spechtes die kinetische Energie absorbieren, so müsste der Kopf des Spechtes beim Aufprall langsamer abbremsen als der Schnabel und sich alles ineinander schieben. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie die Videoaufnahmen eindrucksvoll zeigen. (Quelle: Universität von Antwerpen)

Im Gegenteil, wirkt die Konstruktion des Kopfes eines Spechtes wie ein steifer Hammer, um die maximale Energie auf den Baumstamm zu übertragen. Lt. Prof. Wassenbergh wäre die schockabsorbierende Wirkung reine Energieverschwendung und warum sollte die Evolution eine derart ineffiziente Lösung hervorbringen?

„The biomechanical model showed that a build-in shock absorber is just a waste of precious energy for the bird.“

Sam van Wassenbergh (HIER)

Mechanismus Hammer

Modellierungen der Auswirkungen von Größe und Form des Schädelgehäuses auf den Hirndruck zeigen, dass die Gehirne der Spechte beim Hämmern auf einen Baumstamm immer noch deutlich unterhalb der für Primatengehirne bekannten Schwelle von Gehirnerschütterungen sicher sind (HIER). In biomechanischen Simulationen konnte das Forscherteam zeigen, dass das System aus Kopf und Schnabel wie ein steifer Hammer funktioniert. Und obwohl die Vögel in enormer Frequenz und Ausdauer auf den Baumstamm einpicken, sind die Stöße, die ihr Hirn dabei aushalten muss, ungefährlich.

Wie schützt sich der Specht?

Wenn aber die Hypothese des schockabsorbierenden Mechanismus im Specht-Schädel nun widerlegt ist, bleibt die Frage, wie schützt sich der Vogel dann?

Hier setzen nun schnöde Mathematik und Physik ein. Die Forscher erstellten ein Rechenmodell und trugen alle ihnen bekannten Daten zu Pickbewegung, Schädelform- und Größe etc. ein. Das Ergebnis überraschte. Entgegen der aus unserer menschlichen Sichtweise geprägten Erwartung fanden sie heraus, dass der auf den Schädel ausgeübte Druck, der beim Hämmern erzeugt wird, weit unterhalb dessen liegt, was bei einem Menschen oder einem anderen Primaten bereits eine Gehirnerschütterung hervorrufen würde.

Wunderwerk Gehirn

Der Grund liegt im Gehirn selbst begründet. Es ist äußerst klein und leicht und prallt daher bei einem Aufschlag mit deutlich weniger Kraft gegen den Schädelknochen als es z.B. bei einem Primaten wie dem Menschen der Fall wäre. Die Simulationen zeigten, dass das Gehirn aufgrund seiner geringen Masse nur mit 39 bis 60 Prozent der Kraft gegen die Schädelinnenseite schlägt, wie es in einer vergleichbaren Situation beim Menschen der Fall wäre.

So müssten die Vögel doppelt so schnell hämmern oder die Oberfläche des Baumes viermal so hart sein, damit sie eine Gehirnerschütterung erlitten. Das aber hat die Evolution klugerweise verhindert, denn es gibt keine Spechte mit einem größeren Köpf oder einer stärkeren Nackenmuskulatur. So sind Spechte anatomisch überhaupt nicht dazu in der Lage, sich derart zu verausgaben, dass sie sich selbst eine Gehirnerschütterung zufügen.

„Wir vergessen, dass Spechte erheblich kleiner sind als Menschen. Kleinere Tiere können höheren Verzögerungen standhalten. Denken Sie an eine Fliege, die ein Fenster trifft und dann einfach wieder zurückfliegt.“

Sam van Wassenbergh (HIER)

Und was heißt das nun für die Ingenieure?

Die neuen Erkenntnisse zeigen klar, dass der Specht nicht als Vorbild taugt, um Ingenieure oder Produkentwickler bei der Entwicklung schockabsorbierender Werkstoffe, Materialien oder Ausrüstungsgegenstände wie Fahrrad-Helme zu inspirieren. Der Schädel eines Fahrradfahrers lässt sich eben nicht kurzfristig anpassen. Hier ist nun Kreativität gefragt, andere Beispiele in unserer großartigen Flora und Fauna zu finden, aus denen wichtige Lehren zu ziehen sind, die sich auf die Anwendungsforschung umsetzen lassen.

Quelle: National Geographic, Germanic News, cell.com, cell.com, Taylor&Francis online, IOP Science,

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