Butscha: Das russische Märchen der lebendigen Leichen
Ein Video soll an zwei Stellen zeigen, wie vermeintlich tote Menschen in Butscha sich bewegen. Doch eine bessere Version des Videos zeigt das Gegenteil.
Lieber Leser, liebe Leserin, Mimikama ist dein Kompass in der Informationsflut. Aber um den Kurs zu halten, brauchen wir dich. Jeder Beitrag, ob groß oder klein, bringt uns näher an eine Welt der verlässlichen Informationen. Stell dir vor, du könntest einen Unterschied machen, und das kannst du! Unterstütze uns jetzt via PayPal, Banküberweisung, Steady oder Patreon. Deine Hilfe lässt uns weiterhin Fakten liefern, auf die du zählen kannst. Mach mit uns den ersten Schritt in eine vertrauenswürdigere Informationszukunft. ❤️ Dank dir kann es sein.
Die Behauptung
Ein Video soll an zwei Stellen zeigen, wie vermeintlich tote Menschen in Butscha sich bewegen. Ein Körper scheint die Hand zum Winken zu heben, als das Auto gerade vorbeifahren will, ein anderer Körper richtet sich im Rückspiegel zu sehen angeblich auf.
Unser Fazit
Nein, die angebliche Leiche, die den Arm in Butscha hebt, ist ein Wassertropfen auf der Windschutzscheibe, die sich aufrichtende Leiche ist eine Verzerrung im Rückspiegel.
Ein Auto fährt durch Butscha in der Ukraine, von der Beifahrerseite aus wird die Straße gefilmt. Wo der Blick auch hinfällt, sind achtlos auf der Straße liegende Leichen zu sehen. Das Video von unzählige Male in sozialen Meiden geteilt. Doch angeblich soll in dem Video auch zu sehen sein, dass dort gar keine echten Leichen liegen: Ein Körper scheint die Hand zum Winken zu heben, als das Auto gerade vorbeifahren will, ein anderer Körper richtet sich im Rückspiegel zu sehen angeblich auf. Doch in einer Version des Videos mit besserer Auflösung ist gut erkennbar, dass die Behauptungen falsch sind.
Das Video
Das Video wird unter anderem von der ukrainischen Politikerin Kira Rudik auf Twitter geteilt:
Die Behauptungen
Erstmals tauchten die Behauptungen auf einem Telegram-Kanal namens „Война с фейками“ (auf Deutsch: Der Krieg gegen Fälschungen) am 3. April auf:
Dort wird behauptet, dass das Bildmaterial in mehreren ausländischen Publikationen gleichzeitig erschien und es sich um eine geplante Medienkampagne sei. Bei Sekunde 12 soll sich der Arm einer Leiche bewegen, bei Sekunde 30 sähe man im Rückspiegel, wie sich eine Leiche aufsetzt. Die Leichen seien zudem extra so auf der Straße angeordnet, um die Szenerie dramatischer erscheinen zu lassen.
In dem Telegram-Beitrag ist zudem ein 21 Sekunden langes Video zu sehen, welches die entsprechenden Ausschnitte in Zeitlupe zeigt, um die Behauptungen zu untermauern. Auch das russische Verteidigungsministerium teilte die Behauptungen auf Telegram. Hier Screenshots der betreffenden Stellen:
Der Faktencheck
Zwei Stunden, bevor das Zeitlupenvideo mit den Behauptungen auf Telegram verbreitet wurde, erschien es auch in einer längeren und vor allem besseren Fassung auf dem Telegram-Kanal von TSN.ua. Schauen wir uns also die betreffenden Szenen noch einmal mit deutlicheren Bildern an.
Ab Sekunde 9 sieht man den Mann deutlicher, wie er auf der Straße liegt. Er hat keinen Arm auf dem Boden liegen, auf der nassen Straße ist die Spiegelung des Körpers zu erkennen:
Der Körper bleibt unbeweglich liegen, aber was zu sehen ist: Ein weißer Punkt, der von unten nach oben wandert.
Die Straße ist regennass, auf der Windschutzscheibe befinden sich mehrere Regentropfen. Was also im unscharfen Video wie eine Hand aussieht, die sich hebt, ist tatsächlich nur ein Regentropfen auf der Windschutzscheibe. Der Mann hat den Arm gar nicht auf dem Boden liegen, kann sie demzufolge auch nicht heben.
Grafisch zeigt das sehr schön ein Video auf Twitter: Durch Farbinvertierung wird aufgezeigt, dass es sich bei dem weißen Punkt nicht um eine Hand, sondern um einen Wassertropfen handelt:
Kommen wir zu der sich aufrichtenden Leiche im Rückspiegel. Das verbreitete Video zeigt die Leiche nur halb, da sie von dem Banner des Nachrichtensenders verdeckt wird, bevor sie im Rückspiegel zu sehen ist:
Im Video von TSN ist der Körper besser zu erkennen:
Dadurch lässt sich auch feststellen, dass es auch Fotos des Körpers gibt. Ein sehr deutliches Foto der Leiche ist auf GettyImages zu sehen (siehe HIER), es wurde am 3. April aufgenommen. In der GettyImages-Aufnahme ist die gelb-blaue Verpackung im obigen Bild nicht mehr zu sehen, der Körper liegt aber noch unverändert da.
Der Fotograf Mikhail Palinchack fotografierte die Leiche ebenfalls aus einer anderen Perspektive und veröffentlichte das Foto auf Instagram (siehe HIER). Er gibt an, die Fotos am 2. April gemacht zu haben, bei seinem liegt die gelb-blaue Verpackung noch daneben. Auch auf seinem Foto liegt die Leiche noch in exakt derselben Haltung.
Was in den Millisekunden im Rückspiegel als Bewegung interpretiert wird, ist schlicht und einfach die typische Verzerrung des Rückspiegels:
Was in dem unscharfen Video als sein Oberkörper identifiziert wurde, sind in Wahrheit die Beine des Mannes. Durch die Verzerrung des Rückspiegels (auch gut erkennbar an dem weiß-roten Haus im Hintergrund) sieht der Körper nur wenige Millisekunden später breiter aus, in der unscharfen Version als Bewegung missinterpretiert.
Fazit
Die Behauptungen der Telegram-Seite „Der Krieg gegen Fälschungen“, die von dem russischen Verteidigungsministerium ebenfalls geteilt wurden, sind falsch. Die angebliche Leiche, die den Arm hebt, ist ein Wassertropfen auf der Windschutzscheibe, die sich aufrichtende Leiche ist eine Verzerrung im Rückspiegel.
Trotz der überwältigenden Menge an Fotos aus Butscha wird das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation nicht müde, weiterhin zu behaupten, dass es sich bei den Fotos und Videos um eine „Provokation des Regimes in Kiew“ handele.
Twitter sieht in dem Tweet einen Verstoß gegen die Twitter-Regeln zu missbräuchlichem Verhalten, lässt ihn jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses sichtbar.
Weitere Quellen: Open, Maldita
Auch interessant:
Tatsächlich zeigte ein Nachrichtensender kein echtes Video mit einem Hubschrauberabschuss, sondern eine Szene aus einem Videospiel.
Kein echtes Video aus der Ukraine, sondern Hubschrauber-Szene aus „Arma 3“
Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell
war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur
Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.
2) Einzelne Beiträge (keine Faktenchecks) entstand durch den Einsatz von maschineller Hilfe und
wurde vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)
Mit deiner Hilfe unterstützt du eine der wichtigsten unabhängigen Informationsquellen zum Thema Fake News und Verbraucherschutz im deutschsprachigen Raum
INSERT_STEADY_CHECKOUT_HERE
Ihnen liegt es am Herzen, das Internet zu einem Ort der Wahrheit und Sicherheit zu machen? Fühlen Sie sich überwältigt von der Flut an Fehlinformationen? Mimikama steht für Vertrauen und Integrität im digitalen Raum. Gemeinsam können wir für ein transparentes und sicheres Netz sorgen. Schließen Sie sich uns an und unterstützen Sie Mimikama!. Werde auch Du ein jetzt ein Botschafter von Mimikama
Mimikama Workshops & Vorträge: Stark gegen Fake News!
Mit unseren Workshops erleben Sie ein Feuerwerk an Impulsen mit echtem Mehrwert in Medienkompetenz, lernen Fake News und deren Manipulation zu erkennen, schützen sich vor Falschmeldungen und deren Auswirkungen und fördern dabei einen informierten, kritischen und transparenten Umgang mit Informationen.