Kein Fake: EU erlaubt Hausgrillen als Lebensmittelzusatz

Viele möchten es nicht glauben, es stimmt aber tatsächlich: Die EU hat teilweise entfettetes Pulver von Acheta domesticus (Heimchen/Hausgrillen) als neuartigen Lebensmittelzusatz in diversen Lebensmitteln zugelassen. Ganz neu sind Insekten als „Novel Food“ allerdings nicht.

Autor: Ralf Nowotny

Die Behauptung

Die EU habe nun ganz neu Hausgrillen als Lebensmittelzusatz erlaubt. Viele befürchten deshalb, dass sehr viele Lebensmittel bald nicht mehr wirklich vegan sind.

Unser Fazit

Insekten sind im Prinzip seit 2017 als „Novel Food“ erlaubt, seit 2021 gibt es auch Zulassungen. Da aber noch Studien zu der Allergenität der Insekten ausstehen, scheuen sich die Hersteller aus Angst vor Klagewellen bisher, die Produkte auch großflächig in Umlauf zu bringen. Es wird also noch eine Weile dauern, bis tatsächlich Hausgrillenpulver in Lebensmitteln verwendet wird.

Schlechte Nachrichten für Allergiker und Tierfreunde: Gefrorene, getrocknete und pulverförmige Formen von Acheta domesticus (Heimchen, auch bekannt als Hausgrillen) werden in die Unionsliste der zugelassenen neuartigen Lebensmittel (novel food) aufgenommen, und dies, obwohl die Allergenität von Acheta domesticus noch nicht komplett erforscht wurde.
Doch so ganz neu ist dies nicht, denn bereits seit 2017 erlaubt die EU bestimmten Unternehmen die Herstellung von sogenannten Novel Foods.

Die Aufregung

Sehr viele Anfragen erreichen uns zu der Thematik, hier nur exemplarisch einige wenige:

Viele Anfragen zu dem Thema
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Dazu auch viele Links, die zu manchmal mehr, manchmal weniger seriösen Artikeln führen. Auch die Behauptungen verselbstständigen sich immer mehr: Angeblich werden beispielsweise die Insekten heimlich beigemischt, um die Bevölkerung zu vergiften, was zu dem großen Plan gehöre, die Weltbevölkerung zu reduzieren.

Die EU-Zulassung für sogenanntes Novel Food gibt es allerdings bereits seit 2017. Es hat nur aktuell ein viertes Unternehmen die Genehmigung erhalten, Insekten zu Novel Food zu verarbeiten, und Lebensmittel mit diesen Zusätzen müssen dann auch dementsprechend gekennzeichnet werden – wenn sie irgendwann mal auf dem Markt erscheinen.

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Die EU-Zulassung von 2017

Eigentlich könnten wir theoretisch bereits seit knapp über 5 Jahren Heuschreckenburger und Hausgrillenpizza essen, denn am 20. Dezember 2017 wurde die Durchführungsverordnung zur Erstellung der Unionsliste der neuartigen Lebensmittel (Dokument 32017R2470) veröffentlicht.

In der ausführlichen deutschen Version (siehe HIER) findet sich eine ellenlange Liste von Lebensmitteln, die künftig in der EU zugelassen sind, z.B. Peptide aus dem Fisch Sardinops sagax, Proteinextrakt aus der Schweineniere und Hahnenkammextrakt, aber sehr viel mehr chemische und pflanzliche Zusätze wie Vitamin K, Algenöl aus der Mikroalge Ulkenia sp., Basilikumsamen und fermentiertes Extrakt aus schwarzen Bohnen.

Hausgrillen & Co. standen damals noch nicht auf der Liste der zugelassenen Lebensmittel, doch durch Inkrafttreten der Novel-Food-Verordnung innerhalb der EU (definitionsgemäß bislang nicht verbreitete Lebensmittel aus anderen Kulturkreisen) wurde 2017 bereits über Insekten als Lebensmittel diskutiert (z.B. HIER und HIER).

2021 – Die ersten Zulassungen von Insekten

Im Jahr 2021 wurden bereits die ersten Insekten als Lebensmittel zugelassen:

2022 – Die Hausgrille wird zugelassen

Überraschung: Bereits 2022 wurde die Hausgrille als Lebensmittel zugelassen. Es ist also nicht wirklich etwas Neues von der EU zugelassen worden, nur die Darreichungsform änderte sich:

2023 – Nochmal die Hausgrille und ein Getreideschimmelkäfer

Was aktuell zugelassen wurde, ist nichts anderes als nochmals die Hausgrille als Lebensmittel, nur diesmal von einem anderen Antragssteller und in einer anderen Darreichungsform. Und ein Käfer kommt auch noch dazu:

Zulassung: Ja – Aber mögliche Allergien sind ein großes Hindernis!

Werfen wir mal einen Blick in die verbreitete Zulassung der Hausgrille als teilweise entfettetes Pulver, denn darüber wird ja aktuell diskutiert und teilweise falsch informiert.

Laut der Genehmigung dürften die Hausgrillen in Pulverform in folgenden Lebensmitteln verwendet werden: Mehrkornbrot und -brötchen, Crackern und Brotstangen, Getreideriegeln, trockenen Vormischungen für Backwaren, Keksen, trockenen gefüllten und ungefüllten Erzeugnissen aus Teigwaren, Soßen, verarbeiteten Kartoffelerzeugnissen, Gerichten auf Basis von Leguminosen und Gemüse, Pizza, Erzeugnissen aus Teigwaren, Molkenpulver, Fleischanalogen, Suppen und Suppenkonzentraten oder -pulver, Snacks auf Maismehlbasis, bierähnlichen Getränken, Schokoladenerzeugnissen, Nüssen und Ölsaaten, Snacks außer Chips sowie Fleischzubereitungen.

Und nun betrachten wir uns die Realität:
Seit 2021 sind diverse Insekten als Zusätze in den verschiedensten Lebensmitteln erlaubt, doch bisher muss man mit der Lupe danach im Lebensmittelhandel suchen, nur einige Online-Versandhändler bieten bereits Hausgrillen als Nahrung an. Woran liegt das?

Das Problem sind mögliche Allergien, und darauf wird auch in der Genehmigung hingewiesen:

„In ihrem Gutachten stellte die Behörde zudem fest, dass der Verzehr von teilweise entfettetem Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) allergische Reaktionen bei Personen auslösen kann, die gegen Krebstiere, Weichtiere und Hausstaubmilben allergisch sind. Ferner befand die Behörde, dass weitere Allergene in das neuartige Lebensmittel gelangen können, wenn diese Allergene in dem Substrat enthalten sind, das an die Insekten verfüttert wird.“

Darauffolgend ein Satz, dem in den Behauptungen oft widersprochen wird: Solche Lebensmittel müssen sehr wohl dann deutlich gekennzeichnet sein!

„Daher ist es angezeigt, dass Lebensmittel, die teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) enthalten, gemäß Artikel 9 der Verordnung (EU) 2015/2283 entsprechend gekennzeichnet werden.“

Wichtig für die Antragssteller: Der eigentumsrechtliche Schutz

Die EU lässt also zu, dass die jeweiligen Antragssteller die Hausgrille & Co. als Lebensmittel(zusätze) verkaufen dürfen. Diese tun dies jedoch augenscheinlich bisher nur im sehr kleinen Rahmen, denn die Gefahr, dass sie durch bisher unbekannte allergische Reaktionen verklagt werden, ist sehr hoch.

Auch in der Genehmigung wird darauf hingewiesen, dass weitere Gutachten nötig sein werden:

„Die Behörde empfahl, die Allergenität von Acheta domesticus weiter zu erforschen. Um der Empfehlung der Behörde nachzukommen, prüft die Kommission derzeit die Möglichkeiten, die nötigen Forschungsarbeiten zur Allergenität von Acheta domesticus durchzuführen.“

Deshalb wird man auch so schnell keine pulverisierten Hausgrillen im Pizzateig finden: Die Antragssteller werden sich hüten, vorschnell ihre Produkte anzubieten und dann vielleicht mit einer Klagewelle überrollt zu werden. Was aber wichtig ist: Der eigentumsrechtliche Schutz!

Mit den jeweiligen Genehmigungen bekamen die Antragssteller nämlich gleichzeitig bestätigt, dass sie den alleinigen eigentumsrechtlichen Schutz innehaben:

„Am 24. Juli 2019 beantragte der Antragsteller ferner bei der Kommission den Schutz eigentumsrechtlich geschützter wissenschaftlicher Studien und Daten, die zur Stützung des Antrags vorgelegt wurden; im Einzelnen handelt es sich dabei um eine detaillierte Beschreibung des Herstellungsprozesses (3), Ergebnisse von Immediatanalysen (4), Analysedaten zu Kontaminanten (5), Ergebnisse der Stabilitätsstudien (6), Analysedaten zu mikrobiologischen Parametern (7) und Ergebnisse der Studien zur Proteinverdaulichkeit.“

Sprich: sämtliche Studien, Herstellungsprozesse und Analysen im Zusammenhang mit dem Produkt verbleiben eigentumsrechtlich beim Antragssteller, dürfen also nicht quasi an Konkurrenten weitergegeben werden, die dann ein ähnliches Produkt entwickeln. Damit sichert sich der Antragssteller den Markt, trägt aber auch die alleinige Verantwortung.

Fassen wir mal zusammen

  • Insekten sind im Prinzip seit 2017 als „Novel Food“ erlaubt, seit 2021 gibt es auch Zulassungen
  • Trotzdem wird der Markt noch nicht mit Hausgrillenpulver und getrockneten Mehlkäfern überschwemmt
  • Die EU gab einzelnen Antragsstellern die Zulassungen, empfahl aber auch, noch Studien zu Allergien durchzuführen
  • Exakt deshalb wird sich dies auch noch verzögern, da die Antragssteller einer möglichen Klagewelle wegen unentdeckter Allergien entgehen möchten
  • Für die Antragssteller ist aber die Zulassung jetzt bereits wichtig, da sie dadurch auch ihre Produkte und alle Studien und Analysen dazu eigentumsrechtlich schützen

Wir werden also in Zukunft wahrscheinlich Hausgrillenpulver und ähnliche Produkte als proteinreiche Zusätze in Lebensmitteln finden. Doch diese werden dann auch entsprechend gekennzeichnet werden. Zudem scheuen sich derzeit noch die Antragssteller vor der großflächigen Verbreitung, da unentdeckte Allergien und darauffolgende Klagen das Ende der Unternehmen bedeuten kann.

Artikelbild: Pixabay

Weitere Quellen:

Insektenwirtschaft, Greek Reporter, Lebensmittelverband Deutschland, Business Leaders, Research Gate, Food Compliance, European Food Safety Authority, IPIFF, Verbraucherzentrale
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