So lautet der lesbare Text eines abfotografierten Zeitungsartikels. In den sozialen Medien kursiert seit längerem diese unglaubliche Geschichte in Form eines Memes. Auf den ersten Blick ebenso amüsant wie absurd: Der Architekt des neuen Prestige-Hochhauses Residencial „In Tempo“ im spanischen Benidorm soll angeblich den Liftschacht vergessen haben. Das Ergebnis: Ab dem 20. Stockwerk müssten Bewohner und Besucher die restlichen Etagen des 188 Meter hohen Gebäudes zu Fuß erklimmen – so zumindest behauptet ein vermeintlicher Zeitungsartikel, der mittlerweile tausendfach geteilt und kommentiert wurde.Es handelt sich um den folgenden, aktuell immer noch kursierenden Screenshot, der in diesem Artikel thematisiert wird:
Die Geschichte klingt so skurril, dass sie durchaus wahr sein könnte, was die hohe Zahl an Reaktionen und die breite Verbreitung in den sozialen Netzwerken erklärt. Nutzer lachen über den vermeintlichen Fehler und machen sich über die „Dummheit“ lustig, die sie den Beteiligten unterstellen. Besonders pikant: Die Geschichte scheint auch deshalb so glaubhaft, weil sie geschickt mit gängigen Stereotypen spielt, die Südeuropäern oft zugeschrieben werden.
Stereotype, Vorurteile und der Confirmation Bias!
Menschen neigen dazu, Geschichten wie den „Hoax von Benidorm“ zu glauben, weil sie oft von Stereotypen und Vorurteilen beeinflusst werden, die tief verankert sind. Stereotypen sind vereinfachte und verallgemeinernde Vorstellungen über eine Gruppe von Menschen, die bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen auf alle Mitglieder dieser Gruppe übertragen. Bei Südeuropäern, insbesondere Spaniern, greifen diese Stereotypen häufig auf Klischees zurück, die sie als sorglos, ineffizient oder chaotisch darstellen.
Siesta und Fiesta – Südeuropäer, insbesondere Spanier, sehen sich häufig mit einer Reihe von negativen Vorurteilen konfrontiert, die ihre Arbeitsmoral und Disziplin betreffen. Das schlägt bei dem „Hoax von Benidorm“ voll zu Buche. Diese Stereotypen sind so tief in der Kultur verankert, dass selbst absurdeste Aussagen geglaubt werden.
Klischees der langen Siestas und Fiestas, ein entspannter Lebensstil, mangelnde Pünktlichkeit und Genauigkeit gepaart mit Ineffizienz und Chaos. Das sind Vorurteile, denen sich Menschen in Spanien ausgesetzt sehen. Diese Vorurteile sind natürlich stark verallgemeinernd und verzerren das Bild der spanischen Arbeitswelt. Sie basieren auf veralteten und verzerrten Wahrnehmungen, die oft durch Geschichten, Medienberichterstattung oder sogar persönliche Erfahrungen geprägt wurden.
Wenn nun also eine Geschichte, wie die des „vergessenen Liftschachts“, auf diese Stereotypen trifft, wirkt sie für viele Menschen sofort glaubwürdig. Sie passt in das vorgefasste Bild, das sie von Südeuropäern haben, und bestätigt ihre Vorurteile. Dieses Phänomen wird auch als Bestätigungsfehler (Confirmation Bias) bezeichnet, bei dem Menschen Informationen bevorzugt aufnehmen und glauben, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen.
Der Confirmation Bias, oder bleiben wir bei dem deutschen Begriff des Bestätigungsfehlers, ist ein weit verbreitetes psychologisches Phänomen. Niemand kann sich davon freisprechen, die Frage ist lediglich, wie stark er individuell ausgeprägt ist. Wir Menschen neigen recht gern dazu, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie ihre bestehenden Überzeugungen und Annahmen bestätigen. Anstatt offen für neue oder widersprüchliche Informationen zu sein, suchen wir gezielt nach Hinweisen, die das stützen, was wir bereits glauben.
Dieser Bestätigungsfehler kann weitreichende Folgen haben. Er führt dazu, dass Menschen weniger offen für neue Informationen sind und sich in ihrer eigenen Sichtweise verfestigen, selbst wenn diese falsch oder unvollständig ist. Und gleichzeitig sorgt der Bestätigungsfehler dafür, das Klischees, Vorurteile und Stereotype sich verfestigen. So auch die Annahme, dass ein solcher Planungsfehler, wie das Vergessen eines Liftschachts in einem Hochhaus, in Südeuropa passieren könnte.
Der wahre Fehler des „In Tempo“ von Benidorm: Fehlende Recherche der Medien!
Blicken wir in das Jahr 2013, genauer gesagt auf den August 2013. Eine spektakuläre Falschmeldung sorgte für Schlagzeilen, die sich rasant über zahlreiche internationale Medien verbreitete. Der Ursprung der Geschichte lag in einem Blog-Beitrag auf der Plattform Gizmodo, der behauptete, das prestigeträchtige Hochhaus „Residencial In Tempo“ in Benidorm verfüge über keine funktionsfähigen Aufzüge. Besonders bizarr: Den oberen 27 Stockwerken des 188 Meter hohen Wolkenkratzers sei angeblich der Zugang per Aufzug verweigert, sodass Bewohner und Besucher gezwungen wären, die Treppen zu benutzen. Deser Artikel existiert heute noch, wurde aber bereits korrigiert (vergleiche gizmodo.com)
Voilà, die Geburtsstunde eines Hoaxes. Gleichzeitig erschien diese Meldung so sehr glaubwürdig, dass sie schnell von großen Medienhäusern weltweit aufgegriffen wurde. Zu den namhaften Verbreitern der Falschmeldung gehörten mehrere international bekannte Medien. Auch in deutschsprachigen Medien wie Bild.de, Focus, der Neuen Zürcher Zeitung, Spiegel Online oder dem Stern fand die Meldung Anklang. Viele dieser Medien zitierten dabei einen vermeintlich exklusiven Bericht der spanischen Zeitung El País, der jedoch in Wirklichkeit keine solch drastischen Behauptungen enthielt. Stattdessen sprach El País von Planungsfehlern, die durch eine späte Erweiterung des Bauprojekts von ursprünglich 20 auf 47 Stockwerke entstanden sein sollen.
Im Januar 2012 folgte dann die nächste Überraschung: Die Architekten haben den Liftschacht vergessen, wie die Pläne laut „El Pais“ zeigen. Eine Quelle verriet der Zeitung, dass sie nur Platz für 20 Stockwerke eingeplant hatten. Das Gebäude soll aber 47 Stockwerke hoch werden.
– Focus Online (archiviert)
Ergo: Ja, es gab durchaus viele Probleme innerhalb der 14-jährigen Bauzeit des spektakulären Gebäudes In Tempo, aber die Sache mit den vergessenen Aufzügen ist Unfug!
Obwohl die Eigentümer, Bauleiter und Vermarkter des Hochhauses umgehend Dementis veröffentlichten und darauf hinwiesen, dass alle sechs eingebauten Aufzüge einwandfrei funktionierten, hielten viele etablierte Medien zunächst an der sensationellen Geschichte fest. Einige dieser Medien korrigierten ihre Berichterstattung später und verwiesen auf eine „diffuse Quellenlage“.
Die fehlenden Lifte in dem Doppelturm «In Tempo» in Benidorm haben am Montag einen riesigen Medienwirbel ausgelöst. Die Quellenlage ist allerdings diffus. Spaniens «Bad Bank», welche die Finanzierung des Projekts von einer verstaatlichten Bank übernommen hatte, wies die Berichte zurück.
– NZZ (archiviert)
Andere wiederum entfernten die fehlerhaften Artikel vollständig von ihren Webseiten, ohne eine öffentliche Richtigstellung zu veröffentlichen.
In einer früheren Version dieses Artikels hatte es auf Basis der Sonntag verfügbaren Informationen geheißen, der In Tempo verfüge ab Stockwerk 20 über keinen Aufzugschacht. Das ist nicht richtig: Die gebaute Lösung funktioniert nur nicht. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.
– Der Spiegel (archiviert)
Interessanterweise hatten bereits Monate vor dem Aufkommen der Gerüchte, im April 2013, spanische Journalisten die Baustelle des „In Tempo“ besucht und über eine problemlose Fahrt in einem der Aufzüge bis in den 45. Stock berichtet. Sogar Fotos aus dem unfertigen Gebäude kann man in diesem Artikel sehen (vergleiche devacacionesypuentes.com). Trotzdem gelang es der ursprünglichen Falschmeldung, sich rasend schnell in der internationalen Medienlandschaft zu verbreiten und bis heute zu halten.
Hey Mimikama, wir wollen Beweise!
Ich habe mich in der Vergangenheit häufiger intensiv mit dem Phänomen des Bestätigungsfehlers beschäftigt. Dabei wurde mir schnell klar, warum es so schwer ist, dagegen anzukämpfen – nicht nur bei mir selbst, sondern vor allem bei anderen. Der Bestätigungsfehler ist tief in unserer menschlichen Natur verankert. Selbst wenn man knallharte Beweise und Fakten liefert, werden diese angezweifelt.
Jedes Mal, wenn ich versuche, in einem Faktencheck gängige Vorurteile aufzuklären, stoße ich oft auf eine unsichtbare Barriere. Diese Person hat bereits ein festes Bild von der Welt, das sie durch jahrelange Erfahrungen, Überzeugungen und persönliche Einflüsse geformt hat. Jede neue Information wird durch diesen Filter betrachtet. Ist die Information im Einklang mit dem, was sie bereits glaubt, wird sie problemlos akzeptiert. Weicht sie jedoch davon ab, wird sie schnell abgelehnt oder zumindest stark hinterfragt.
Schauen wir hier auf die Beweislage! Fahren wir einmal selbst mit dem Aufzug bis ganz nach oben und bestätigen die Geografie! In dem folgenden Video gibt es eine Aufzugfahrt im „In Tempo“ in Benidorm bis hoch auf das Dach!
Dieses Video ist im Grunde ein Traum für alle Faktenchecker, denn am Ende des Videos sehen wir sowohl das Dach mit all seinen Pools als auch die Umgebung des Gebäudes. Hierbei hilft nun das Geoguessing (verifizieren einer Umgebung mithilfe von Kartendiensten), den Standort der Aufnahme zu bestätigen.
Dabei helfen Kartendienste wie Google Maps. Ein Detailvergleich aus dem Video mit den Darstellungen auf Google Maps zeigt deutlich: Ja, die Person in dem Video ist im „In Tempo“ bis auf das Dach gefahren! Viel Spaß bei dem Detailvergleich zwischen Kartendienst und Video. Und das nächste Mal, wenn eine wahnsinnige Story auftaucht, die Stereotype bedient, einfach ein wenig entspannen und den Bestätigungsfehler-Schweinehund ein wenig im Zaum halten. Und auch Vorsicht: gerne schreibt auch einer vom anderen ab!
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Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.
2) Einzelne Beiträge entstanden durch den Einsatz von maschineller Hilfe und wurde vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)