Ein Hamburger Start-up bietet seit einem Jahr an, eine Krankschreibung via Messenger-Dienst WhatsApp vorzunehmen. Die Abwicklung wird von „Dr. Ansay AU-Schein GmbH“ betrieben.

Hier wird eine Krankschreibung für den jeweiligen Arbeitgeber online vom Nutzer erstellt, und per WhatsApp bestätigt. Die Nutzer füllen online einen Fragebogen mit ihren Symptomen aus. Die Krankschreibung wird nach einer Bezahlung von 14 Euro als PDF-Datei mit dem AU-Schein (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) über WhatsApp versendet.

Nur für „leichte“ Symptome wie z.B. Erkältung, Blasenentzündung, Magen-Darm-Grippe kann diese Art der Krankschreibung verwendet werden. Der Vorteil für die Nutzer läge darin, dass sie sich im Krankheitsfall nicht in eine Arztpraxis schleppen müssten.

Musterprozess wird angestrengt

Bald schon könnte dieses Modell der Vergangenheit angehören. Die deutsche Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbes möchte gegen das Hamburger Start-up einen Prozess anstrengen. Eine Klage soll bereits eingereicht worden sein, wie von heise online berichtet wurde.

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Gründe dafür sind, dass nach Ansicht der Wettbewerbszentrale das Start-Up gegen das Heilmittelwerbegesetz verstoßen würde. Die bestellten AU-Scheine seien arbeitsrechtlich nach Meinung etlicher Juristen nicht gültig, somit sei die Werbung auf der Website nicht weniger als irreführend.
Christiane Köber, Mitglied der Geschäftsführung der Wettbewerbszentrale äußert sich dazu: „Für Arbeitgeber wäre es wichtig zu wissen, ob eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den erforderlichen Beweiswert hat.“

Bedenken seitens Ärztekammern wegen Datenschutz

Auch die Ärztekammern von Hamburg und Schleswig-Holstein haben bereits Anfang des Jahres Bedenken wegen des Datenschutzes bei au-schein.de geäußert: „Eine verantwortungsvolle und behutsame Überführung des vertraulichen Arzt-Patient-Verhältnisses in das digitale Zeitalter sieht nach Auffassung der Ärzteschaft anders aus.“ Zusätzlich wurden Nutzer gewarnt, dass die Krankschreibungen via WhatsApp vom Arbeitgeber nicht akzeptiert werden könnten.
Der Betreiber von au-schein.de Dr. jur. Can Ansay versteht diese Bedenken nicht: „Wir stellen rechtsgültige Bescheinigungen aus, mit Originalunterschrift eines Arztes“, sagte er gegenüber Spiegel Online. Diese Bescheinigungen würden sich nicht von denen unterscheiden, die Nutzer von ihrem eigentlichen Arzt bekämen. Der Vorteil für die Nutzer läge darin, dass sie sich im Krankheitsfall nicht in eine Arztpraxis schleppen müssten.

Bereits über 20.000 Krankschreibungen ausgestellt

Der Dienst startete Ende 2018. Seither sollen bereits über 20.000 Krankmeldungen darüber ausgestellt worden sein, verkündet das Start-up auf seiner Website.

Das sagt die Wettbewerbszentrale in einer Pressemitteilung vom 18.11.2019

Krankschreibung online „bestellen“? – Wettbewerbszentrale leitet Musterprozess gegen Anbieter von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein

„Krankschreibung ohne Arztbesuch“, so wirbt ein Softwareunternehmen aus Norddeutschland, für sein Geschäftsmodell. Tatsächlich kann der Kunde auf der Homepage des Unternehmens dort vorgegebene und auswählbare Symptome anklicken, einige Fragen zu seinem Gesundheitszustand beantworten und nach eigenem Ermessen die Dauer der Krankschreibung bestimmen („Für wie viele Tage fühlen Sie sich arbeitsunfähig? Arzt folgt Ihrem Wunsch…“). Sodann kann der Nutzer seine Kontaktdaten und die gewünschte Zahlungsmodalität angeben.
Nach Zahlung erhält der Kunde die Krankschreibung, die von einem Privatarzt ausgestellt ist, digital oder per Post. Bei Testbestellungen kam es dabei zu keinem Kontakt des Kunden mit dem betreffenden Arzt. Bisher ist das Modell beschränkt auf „Erkältungen“, „Regelschmerzen“, „Rückenschmerzen“ sowie neuerdings „Stress“. Auf der Startseite wird zudem geworben mit „100% gültiger AU-Schein“.

Werbung für Fernbehandlung

Die Wettbewerbszentrale sieht in der Werbung für diese Dienstleistung einen Verstoß gegen § 9 Heilmittelwerbegesetz. Die Vorschrift verbietet Werbung für Fernbehandlungen.
Außerdem ist die Aussage „100% gültiger AU-Schein“ nach Auffassung der Wettbewerbszentrale irreführend. Mit dieser Aussage wird aus ihrer Sicht der Eindruck erweckt, dass die so beworbene Krankschreibung sämtliche rechtlichen Anforderungen an eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfüllt. Die von dem Unternehmen ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mögen zwar formal die Voraussetzungen zur Vorlage beim Arbeitgeber erfüllen. Dass sie aber auch materiell die erforderliche Beweiskraft besitzen, d.h. auch arbeits- und berufsrechtlichen Anforderungen genügen, wird von etlichen Juristen bezweifelt. Tatsächlich ist bis dato keine höchstrichterliche arbeitsgerichtliche Entscheidung ersichtlich, die eine derartige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Ergebnis als „100% gültig“ anerkannt hätte.
Da das Unternehmen auf die Beanstandung der Wettbewerbszentrale hin keine Unterlassungserklärung abgegeben hat, hat die Selbstkontrollinstitution Anfang Oktober Klage beim LG Hamburg (Az. 406 HKO 165/19) einreichen lassen.
„Die Wettbewerbszentrale lässt in diesem Grundsatzverfahren unter anderem die Werbe-Behauptung „100% gültiger AU-Schein“ gerichtlich überprüfen. Für Arbeitgeber wäre es wichtig zu wissen, ob eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den erforderlichen Beweiswert hat“, meint Christiane Köber, Mitglied der Geschäftsführung der Wettbewerbszentrale. Gleiches gelte für Arbeitnehmer, die sich auf eine solche Bescheinigung verließen.

LG München untersagt bereits ottonova-Werbung wegen Fernbehandlung

Das Landgericht München hat in einer Entscheidung vom Juli 2019 dem Versicherer ottonova untersagt, für ärztliche Fernbehandlungen in Form eines digitalen Arztbesuches zu werben, wenn den Versicherten angeboten wird, mittels einer App von Schweizer Ärzten Diagnosen oder Therapieempfehlungen zu erhalten (LG München I, Urteil vom 16.07.2019, 33 O 4026/18, nicht rechtskräftig). Das Berufungsgericht wird sich vermutlich mit der geplanten Änderung des § 9 HWG auseinandersetzen müssen. Im Regierungsentwurf des Digitale Versorgung-Gesetzes soll das Fernbehandlungs-Werbeverbot dann nicht gelten, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Auch mit dieser Änderung bleibt nach Auffassung der Wettbewerbszentrale Werbung für die geschilderten Primärversorgungsmodelle unzulässig.


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