Foto des brasilianischen „Schamanen“ stammt nicht vom Sturm auf den Kongress

Ansonsten ist der Vergleich mit dem US-Vorbild Jake Angeli treffend und durchaus gewollt.

Autor: Walter Feichtinger

Die Behauptung

Ein brasilianischer „Schamane“, der mit „QAnon-Schamane“ Jacob Chansley verglichen wird, soll am 8. Jaunuar 2023 beim Sturm auf den Kongress in Brasilia dabeigewesen sein.

Unser Fazit

Der Vergleich mit seinem US-amerikanischen Vorbild ist treffend. Beide gehören in ihren jeweiligen Ländern einer christlichen Rechten an und verteidigen Politiker mit einem mehr als fragwürdigem Demokratieverständnis. Das geteilte Bild stammt allerdings schon von 2021 und wurde bei einem Auftritt des damaligen Präsidenten Jair Bolsonaro aufgenommen. Es gibt keine Fotos von Julio „Shaman“ Monteiro vom Kongress-Sturm.

Am Sonntag, dem 8. Januar 2023, stürmten Anhänger des früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro den Kongress, den Präsidentenpalast Planalto sowie das Oberste Gericht in der Hauptstadt Brasilia. Dabei richteten sie erheblichen Sachschaden an, zerschlugen u.a. Fensterscheiben. An diesem Tag waren allerdings keine Abgeordneten im Kongress. Die Bilder und der Anlass erinnern an einen ähnlichen Vorfall: den Sturm auf das US-amerikanische Kapitol vom 6. Januar 2021. Auch da wollten gewaltbereite Anhänger die Abwahl ihres Präsidenten – damals Donald Trump – nicht wahrhaben.

Eines der Bilder, die sich vom Sturm des US-Kapitols in das kollektive Gedächtnis gebrannt haben: der Mann mit Gesichtsbemalung, nacktem Oberkörper, Fell und gehörntem Helm. Für seine Rolle bei den Aufständen wurde der sogenannte „QAnon-Schamane“ Jacob Chansley (auch bekannt als Jake Angeli) inzwischen zu 41 Monaten Gefängnis verurteilt. Bei den Aufständen in Brasilien soll nun ein ähnlicher „Schamane“ aufgetaucht sein: wieder mit Gesichtsbemalung, Hörnern und nacktem Oberkörper, diesmal allerdings in den Farben von Brasilien und mit Federschmuck. Die Fotos, die in diesem Zusammenhang geteilt werden, sind allerdings nicht vom Sturm auf den Kongress in Brasilia, sondern schon von 2021.

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Erstes Bild des „Schamanen“ am Nationalfeiertag 2021

Das häufig geteilte Bild des verkleideten Mannes mit Megafon wurde bereits am 7. September 2021, dem brasilianischen Unabhängigkeits- und Nationalfeiertag auf der Avenida Paulista aufgenommen. Der damalige Präsident Jair Bolsonaro trat an diesem Tag in São Paulo auf und ließ sich von mehr als 100.000 Anhängern beklatschen. Dabei nutzte er die Gelegenheit, ordentlich gegen die Obersten Gerichtshof auszuteilen und bereits Stimmung für die 2022 anstehende Wahl zu machen.

Jair Bolsonaro 2019
Jair Bolsonaro 2019. Foto: Isac Nóbrega/PR, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Bolsonaro hatte seine Anhänger schon im Vorfeld dazu aufgerufen, gegen seine Feinde im Kongress und bei den laufenden Gerichtsverfahren zu protestieren. Er kritisierte das elektronische Wahlsystem bei der Präsidentschaftswahl, was auch heute noch als Argument für seine Anhänger dient, die Lula der Wahlmanipulation beschuldigen.

Wer ist der brasilianische „Schamane“?

Der „Schamane“ auf den Bildern heißt Julio Monteiro, er war damals Lokalpolitiker der „Partido Trabalhista Cristão“ (Christliche Arbeiterpartei). Diese Gruppierung wird als liberalkonservativ und christlich-rechts beschrieben und hat sich inzwischen Agir (Handeln) umbenannt. Monteira kam schon im Februar 2021 in die Schlagzeilen, als er sich mit einem gefälschten Straßenschild inklusive Gedenktext ablichten ließ, das den Abgeordneten Daniel Silveira als „Märtyrer, Verteidiger der Freiheit, des Lebens und der individuellen Rechte, zu Unrecht wegen Meinungsverbrechen inhaftiert“ beschreibt.

Vom brasilianischen "Schamanen" als Märtyrer verehrt: Daniel Silveira
Daniel Silveira 2019. Bild: Câmara dos Deputados, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Dieser war verhaftet worden, als er das AI-5, ein berüchtigtes Gesetz aus der Zeit der Militärdiktatur, verteidigte. Der Oberste Gerichtshof verurteilte Silveira im Frühling 2022 zu acht Jahren Haft wegen ständiger Attacken gegen die demokratischen Institutionen in Brasilien. Er wurde aber kurz darauf von Präsident Bolsonaro wieder begnadigt. Im September 2021 trat Julio Monteiro nochmals als „Schamane“ auf, diesmal wieder mit dem Straßenschild und einem weiteren mit dem revolutionären Ausspruch: „Resistance to tyrants is obedience to god“.

Und auch 2022 schlüpfte Julio Monteiro wieder mehrfach in sein Kostüm, wie hier für seinen Twitter und YouTube-Kanal. Aufnahmen vom 8. Januar 2023 von Monteiro im Schamanen-Kostüm sind bisher noch keine aufgetaucht. Vielleicht war er bei den Ausschreitungen am Kongress in Brasilia nicht dabei oder aber unerkannt in zivil.

Fazit: Der Vergleich des brasilianischen „Schamanen“ mit seinem US-amerikanischen Vorbild ist treffend. Beide gehören in ihren jeweiligen Ländern einer christlichen Rechten an und verteidigen Politiker mit einem mehr als fragwürdigem Demokratieverständnis. Julio Monteiro trat seit September 2021 mehrfach als der „Schamane“ auf. Das bekannte Foto mit dem Megafon stammt allerdings nicht von der Erstürmung des Kongresses in Brasilia im Januar 2023. Bisher sind keine Fotos aufgetaucht, die ihn dort zeigen.

Bewertung: FALSCH

Die säkulare Medienseite OnlySky hat übrigens einen satirischen Text veröffentlicht, der den Nachahmungstäter auf die Schippe nimmt: Der „QAnon-Schamane“ Jacob Chansley soll seinen brasilianischen Kollegen wegen „kultureller Aneignung und Urheberrechtsverletzung“ verklagen.


Quellen: CNN, BBC, Reuters, Der Standard, UOL, defacto-observatoire.fr, infobae.com, jurist.org, OnlySky

Weiterer Faktencheck: Beim Video eines vermeintlichen, muslimischen Geistlichen handelt es sich um alte Aufnahmen eines einschlägig bekannten Rechtsextremen.

Hinweis: Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell
war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur
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