Merkel-Zitat über Inzidenz bis zur Unkenntlicheit verkürzt

Autor: Andre Wolf

Merkel Rechnung, Wiedergabe des Screenshots dient zur Auseinandersetzung mit dem Thema.
Merkel Rechnung, Wiedergabe des Screenshots dient zur Auseinandersetzung mit dem Thema.

Ein Sharepic bildet eine Aussage von Angela Merkel ab. Diese Aussage klingt sehr wirr und durcheinander. Was steckt dahinter?

„Wann hat man einen Sachverhalt so verkürzt und vereinfacht, dass er nicht mehr richtig wiedergegeben wird…“. Diesen Satz hatte vor mehreren Jahren Thomas Laschyk vom Volksverpetzer geäußert. An genau diesen Satz musste ich denken, als ich auch auf Facebook ein Zitat von Angela Merkel gelesen habe.

Es handelt sich um eine Aussage Merkels, die sie am 26. April 2021 getroffen haben soll. Der Satz wird derzeit auf Social Media über ein Sharepic verbreitet. Zugegeben, was dort zu lesen ist, klingt sehr verwirrend. Man könnte den Anschein bekommen, die deutsche Kanzlerin redet ein wirres Durcheinander:

Wenn wir jetzt 50% Doppeltgeimpfte haben … und 50% sind nicht geimpft, dann bedeutet eine Inzidenz von 100, dass für die nicht-Geimpften im Grunde eine Inzidenz von 200 besteht.

Alles klar? Ja? Nein? Keine Angst, das muss auch nicht. Denn die Darstellung des Satzes auf dem Sharepic beinhaltet eine Stolperfalle, die sich durchaus ohne Probleme umgehen lässt.

Merkel Rechnung, Screenshot Facebook
Merkel Rechnung, Screenshot Facebook zur Auseinandersetzung mit dem Thema 

Faktencheck Merkel über die Inzidenz

Zunächst die Frage, ob Angela Merkel wirklich diese Aussage getroffen hat. Und da möchte ich den eingangs zitierten Satz von Thomas Laschyk nochmals nutzen: „Wann hat man einen Sachverhalt so verkürzt und vereinfacht, dass er nicht mehr richtig wiedergegeben wird…“.

Genau dies dürfte bei der Verkürzung auf dem Sharepic der Fall sein. Angela Merkel hat tatsächlich eine, wohlgemerkt nicht immer auf den ersten Blick verständliche, Aussage über die Mischkalkulation von Inzidenzwerten geäußert.

Wir werden dann – das will ich noch einmal sagen – in eine Übergangsphase kommen, die auch nicht einfach ist; denn wir werden zwar immer mehr Geimpfte haben, aber auch immer noch einen relevanten Teil der Bevölkerung, der nicht geimpft ist. Das heißt, wenn wir 50 Prozent doppelt Geimpfte haben, von denen kein Infektionsrisiko mehr ausgeht, die restlichen 50 Prozent der Bevölkerung aber noch nicht geimpft sind, dann bedeutet im Grunde eine Inzidenz von 100 in der Gesamtbevölkerung, dass für die nicht Geimpften – nur diese sind dann ja von der Erkrankungswahrscheinlichkeit betroffen – im Grunde eine Inzidenz von 200 besteht. Das heißt, wir haben dann immer noch ein erhebliches Risiko für unser Gesundheitssystem und müssen auf der einen Seite eben schauen, welche Rechte Geimpfte bekommen, müssen auf der anderen Seite aber auch im Blick haben, dass noch nicht jedem ein Impfangebot gemacht werden konnte.

Die Aussage stammt aus der Mitschrift zur gemeinsamen Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, dem Regierenden Bürgermeister Müller und Ministerpräsident Söder im Anschluss an die Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zum Thema „Impfen“ vom 26. April 2021 (vergleiche).

Wir erkennen also eine Kürzung des Satzes selbst, aber auch eine Loslösung des Kontexts. Das verfremdet natürlich die Aussage Merkels recht deutlich. Dennoch bleibt nicht völlig ungeklärt, was sie mit den Inzidenzen meint.

Im Grunde stellt sie eine Art der Mischkalkulation auf. Sie rechnet zwei Gruppen mit gleichen Verhaltensweisen isoliert voneinander auf und nimmt am Ende ihren statistischen Mittelwert. Das Problem liegt jedoch in der Rhetorik: Merkel stellt in ihrer Aussage das Ergebnis (Mischkalkulation von 100) voran und nennt danach erst die isolierten Ergebnisse.

Vielleicht wäre es klüger gewesen, zuerst die Ausgangslage zu schildern: Es liegen zwei Gruppen in der gedanklichen Rechnung vor. Die eine Gruppen der Geimpften. Würde diese isoliert betrachtet werden, hätte die Gruppe einen niedrigen Inzidenzwert (der in Merkels Rechnung nicht genannt wird, jedoch deutlich unter 100 liegt). Die zweite Gruppe ist die der nicht-Geimpften. Isoliert betrachtet, also eine Gesellschaft ohne Geimpfte, bestünde die Inzidenzzahl (potenziell) hier bei 200.

Da jedoch nicht zwei isolierte Gruppen vorliegen, sondern es sich um eine heterogene Bevölkerung handelt, ergeben beide Gruppen am Ende bei einer Durchimpfung von 50% einen statistischen Mittelwert. Dieser ist das Ergebnis von 100.

Merkels Rechnung ist natürlich extrem vereinfacht, wenn nicht gar zu vereinfacht. Diese Rechnung besagt: Gruppe A 0 + Gruppe B 200 = 200. Mittelwert ist dann 100, wenn beide Gruppen anteilsmäßig gleich sind. Das ist rechnerisch durchaus korrekt, mathematisch und realistisch gesehen jedoch ebenfalls zu einfach. Zum einen haben wir eine voranschreitende Impfquote, sodass generell die Gruppe der Geimpften größer wird und über den Sommer hinweg die Inzidenzzahl nach unten zieht. Daneben dürfte die Inzidenzzahl auch bei komplett geimpfter Bevölkerung nicht auf 0 gehen, jedoch eine sehr geringe Höhe aufweisen.

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Zum anderen bezieht sich ihre genannte (und vereinfachte) Zahl von 200 lediglich auf einen immer kleiner werden Teil der Bevölkerung. Ferner wird diese Rechnung auch keine weitere Relevanz haben. Eine Sprecherin des Bundespresseamts erklärte auf Nachfrage der BILD bereits, dass die Bundesregierung nicht plane, die für Maßnahmen relevanten Inzidenzwerte an die Impfquote anzupassen.

In einer Berichterstattung des MERKUR zu der Rechnung von Angela Merkel kommt auch der Epidemiologe Klaus Stöhr zu Wort. Hier lesen wir:

„Mathematisch ist die Berechnung richtig“, räumt Stöhr ein, „für die Seuchenbekämpfung ist sie aber nicht relevant“. Die Corona-Inzidenz steigt zwar mathematisch an, aber trotzdem „sinkt das Infektionsrisiko mit der Impfquote“.

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