EU verbietet nicht privaten Obst- und Gemüseanbau!

Nach Jahren wurde mal wieder eine alte Behauptung ausgebuddelt: Auf einem Screenshot wird behauptet, dass die EU privaten Obst- und Gemüseanbau verbieten will. Doch sogar im knapp 10 Jahren alten Originalartikel wird das nicht behauptet!

Autor: Ralf Nowotny

Die Behauptung

Auf einem Screenshot wird behauptet, dass die EU privaten Obst- und Gemüseanbau verbieten will.

Unser Fazit

Der Screenshot beruht auf einen Artikel von 2013, in dem selbst aber nur von einer Regulierung von Saatgut, nicht von einem Verbot gesprochen wurde, welche zudem nur Landwirte, aber keine privaten Gärtner betroffen hätte. Der Vorschlag wurde 2014 mit sehr großer Mehrheit von der EU-Kommission abgelehnt.

Auf dem Screenshot eines Artikels, der wiederum den Link zu einer anderen Quelle enthält, wird behauptet, dass die EU den Obst- und Gemüseanbau in Gärten verbieten will. Der Anbau von alten und seltenen Sorten im privaten Garten sei dann strafbar. Doch im Quellartikel, der von 2013 stammt, steht nur etwas von einer Regulierung, die private Gärten gar nicht betrifft – und jene Saatgut-Reform wurde 2014 abgelehnt.

Die Behauptung

Auf Social Media wird der Screenshot eines Artikels seit Ende November immer wieder verbreitet, hier zwei Beispiele:

MIMIKAMA
Die Verbreitung der Behauptung auf Twitter und Facebook

Unter der Überschrift „Eu will Obst- und Gemüseanbau in Gärten verbieten“ steht:

„Noch ist es nicht beschlossen, doch die EU plant die Kontrolle jeglichen Saatguts.

Die Europäische Kommission will den Landwirten und Gärtnern in Zukunft die Verwendung von Einheits-Saatgut vorschreiben. Alte und seltene Sorten haben kaum Chancen auf eine Zulassung, ihr Anbau wird strafbar – auch wenn er im privaten Garten erfolgt.
Quelle: deutsche-wirtschafts-nachrichten“

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Die Herkunft des Screenshots

Dieser ist recht einfach mit Google zu finden. Es handelt sich um einen kurzen Blogeintrag auf der Seite „botano adopt“ (siehe HIER, archiviert HIER). Von dort aus können wir uns auch den Ursprungsartikel der „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ ansehen.

Der Ursprungsartikel schrieb nichts von privaten Gärten und Verbot

Okay, das ist nicht ganz richtig, denn zumindest in der URL steht, dass die EU etwas verbieten will:

Die URL des Quellartikels
Die URL des Quellartikels

Zudem steht sowohl in der URL, als auch in der Überschrift des Quellartikels, dass davon auch Gärten betroffen seien, im Artikel selbst wird jedoch nur noch von Landwirten geschrieben. Ihr könnt euch selbst davon HIER oder archiviert HIER überzeugen.

MIMIKAMA
Screenshot des Ursprungsartikels von 2013 (Quelle)

Man beachte das Datum: Der Artikel stammt aus dem April 2013. Demnach müssten also schon seit rund 10 Jahren jeglicher privater Anbau von Obst und Gemüse reguliert oder verboten worden sein. Ist einer von euch Hobbygärtner und hat davon etwas mitbekommen?

Was die EU damals beschließen wollte

Im Jahr 2013 gab es tatsächlich einen Reformvorschlag der Saatgut-Verordnung in der EU. Der sperrige Titel lautete „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt“. Einsehen könnt ihr diesen HIER (PDF-Datei).

Am Titel erkennt ihr schon, worum es eigentlich ging: Pflanzenvermehrungsmaterial (merkt euch das Wort für Scrabble!) sind Samen, also Saatgut, und mit der Bereitstellung auf dem Markt ist der offizielle Handel gemeint. Also kein Bezug zum Schrebergarten und dem Tausch oder Verkauf unter Freunden und Bekannten.

Die „Bereitstellung von Saatgut“ sollte mit der Reform der Saatgut-Verordnung vereinfacht werden, stieß damals aber auch auf viel Kritik, da sie großen Agrarbetrieben zwar Vorteile brachte, es aber für kleinere Betriebe schwieriger gewesen wäre, alte und seltene Sorten zu vertreiben.

Diese wären dann wahrscheinlich von der Registrierungspflicht ausgenommen worden, wie damals berichtet wurde, aber wie sollen Kleingärtner und -betriebe an seltene Sorten kommen, wenn diese von großen Händlern vielleicht gar nicht mehr vertrieben werden können? Es wurde also befürchtet, dass es nur noch „Einheitssaaten“ geben könnte.

Der Vorschlag scheiterte

Wie im Mai 2014 berichtet wurde, wiesen die Abgeordneten der EU-Kommission den Reform-Vorschlag mit krachenden 650 zu 14 Stimmen ab: Die EU-Staaten hätten dadurch zuwenig Spielraum, der bürokratische Aufwand für seltene und alte Sorten sei zu hoch, es bestünde die Gefahr, dass Hobbygärtner nur noch einheitliche Saat kaufen können.

Falschbehauptungen seit 2018

Sache also erledigt? Mitnichten, denn 2018 buddelten die ersten Nutzer auf Social Media die alten Diskussionen aus und behaupteten beispielsweise, dass „Uschi Reinhardt aus dem niedersächsischen Schandelah“ wegen des Saatgutverkehrsgesetzes in ihrem Garten keine alte Tomatensorten mehr züchten dürfte (wir berichteten). Doch, darf sie. Doch für die Zulassung zum Verkauf müsste sie halt eine Gebühr entrichten.

2019 kursierte ebenfalls, dass „Kleingärtner vor dem Gesetz zu Schwerkriminellen mutieren“, wenn sie alte Obst- und Gemüsesorten anbauen. Doch sie müssen einfach nur für den Handel registriert werden, und das nicht grundlos oder aus Schikane, denn durch eine unkontrollierte Rückmutation besteht die Gefahr, dass beispielsweise Gifte, die durch Zucht nicht mehr in einem Obst oder Gemüse enthalten sind, sich plötzlich wieder darin befinden.

2021 tauchte die Behauptung wieder auf, diesmal mit der Behauptung, es koste 25.000 Euro Strafe, wenn man alte Obst- und Gemüsesorten im eigenen Garten züchte. Und immer noch falsch: Nur wenn man damit professionell handeln möchte, muss eine Registrierung erfolgen und eine Gebühr entrichtet werden.

Fazit

Die EU verbietet also nicht den privaten Anbau von alten Obst- und Gemüsesorten. Damals nicht, heute auch nicht. Der Screenshot beruht auf einen Artikel von 2013, in dem selbst aber nur von einer Regulierung, nicht von einem Verbot gesprochen wurde, welche zudem nur Landwirte betroffen hätte. Der Vorschlag wurde 2014 mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.

Weitere Quelle:

Correctiv


Hinweis: Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell
war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur
Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.

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