Kein Beweis für Biowaffenlabore in der Ukraine

Bereits seit 2005 finanziert die USA Forschungseinrichtungen, darunter auch Biolabore, in der Ukraine. Angeblich soll es sich sogar um Biowaffenlabore handeln, wie ein Dokument beweisen soll – was jedoch nicht wirklich daraus hervorgeht.

Autor: Ralf Nowotny

Die Behauptung

Ein neu aufgetauchtes Dokument soll beweisen, dass es verbotene Biowaffenlabore in der Ukraine gebe, die von den USA betrieben werden.

Unser Fazit

Das Dokument ist keinesfalls ein Beweis, dass sich verbotene Biowaffenlabore in der Ukraine befinden, sondern nur, dass in einem Labor an Anthrax geforscht wird und dort eine Schulung am Arbeitsplatz stattfand. Dass in Biolaboren in der Ukraine an Krankheitserregern zwecks Bekämpfung von Biowaffen geforscht wird, ist schon seit 2005 bekannt, doch ist dies kein Beweis, dass dort Biowaffen hergestellt werden.

Bereits im März 2022, zwei Wochen nach Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, wurde behauptet, dass es Biowaffenlabore in der Ukraine gebe, die von den USA betrieben werden. Würden diese Labore existieren und Russland in die Hände fallen, wäre dies sicherlich eine große Ankündigung Putins wert gewesen, denn das wäre ja ein Beweis, dass die Ukraine zusammen mit den USA Böses im Schilde führen würde.
Doch auch ein neu aufgetauchtes Dokument weist nicht darauf hin, dass in der Ukraine biologische Angriffswaffen erforscht wurden.

Die Behauptung

Seit Ende November kursiert der Link zu einem Artikel der „Judicial Watch“, einer konservativen US-Stiftung. Darin wird ein 345 Seiten langes Dokument beschrieben, in dem angeblich steht, dass die USA Anthrax (Milzbrand)-Laboraktivitäten in der Ukraine finanziert habe. Daraus wird nun geschlossen, dass in den Laboren Biowaffen entwickelt wurden.

Sehr schnell wurde die Behauptung dann auch auf Telegram und Facebook verbreitet:

Die Behauptung über Biowaffenlabore in der Ukraine
Die Behauptung über Biowaffenlabore in der Ukraine

„Judicial Watch hat heute bekannt gegeben, dass es 345 Seiten mit Unterlagen von der Agentur für die Reduzierung von Verteidigungsbedrohungen (Defense Threat Reduction Agency, DTRA), einer Komponente des US-Verteidigungsministeriums, erhalten hat, aus denen hervorgeht, dass die Vereinigten Staaten im Jahr 2018 Arbeiten an einem Milzbrandlabor in einem ukrainischen Biolabor finanziert haben. Dutzende von Seiten sind vollständig geschwärzt, viele andere sind stark geschwärzt. Aus den Unterlagen geht hervor, dass das ukrainische Biolaborprogramm im Jahr 2019 mit über 11 Millionen US-Dollar finanziert wurde.“

Oftmals wird dazu auch noch ein Artikel der Seite „We love Trump“ verlinkt, was insofern unfreiwillig komisch ist, da dies ja 2018 geschehen sein soll, also während der Amtszeit Donald Trumps – was also deren Idol in ein ziemlich schlechtes Licht rücken würde, wenn es denn wahr wäre.

Der Vollständigkeit halber:
In den Behauptungen wird auch eine Firma namens „Black & Veatch“ genannt, die am 1. August 2019 Dienstleistungen erbrachte. Dabei handelt es sich um ein Unternehmen, das laut deren Homepage „Softwarelösungen für die Verwaltung und Nachverfolgung von biologischen Materialien in Laboren“ anbietet – was Sinn ergibt, wenn ihr weiter unten lest, was in den Laboren gemacht wird.

___STEADY_PAYWALL___

Die veröffentlichten Unterlagen

Laut „Judicial Watch“ wurde die Unterlagen auf deren Andtrag im Rahmen des FOIA (Freedom of Information Act) herausgegeben und von ihnen veröffentlicht. Tatsächlich sind auch Teile des Dokuments geschwärzt, doch bei diesen Teilen handelt es sich um Namen und Ortsangaben, die verständlicherweise aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht werden.

Die Unterlagen könnt ihr HIER (PDF-Datei) selbst einsehen.

Ein kurzer Logik-Einwurf, den viele nicht bedenken: Die Unterlagen wurden nicht geleakt, stammen aus keinen geheimen Quellen, sondern wurden offiziell beantragt und freigegeben. Wenn die Unterlagen ein Beweis wären, dass die USA verbotenerweise (!) Biowaffenlabore finanziere, glaubt ihr dann wirklich, dass sie diese freimütig freigegeben hätten?

Ebenfalls zu beachten: Selbst „Judicial Watch“ schreibt nichts von einem Biowaffenlabor (bioweapon lab), sondern nur von einem Biolabor (biolab). Doch schauen wir mal, was da in Bezug auf Anthrax in den Unterlagen steht.

Der Titel der Unterlagen deutet schon darauf hin, worum es eigentlich in den Unterlagen geht: „Cooperative Biological Engagement Program (CBEP), Biological Safety & Security (BS&S)“, auf Deutsch: Kooperatives Programm für biologisches Engagement, Biologische Sicherheit und Gefahrenabwehr.

Auf mehreren Seiten des Dokuments ist dann auch das Stichwort „Anthrax“ zu finden. Doch was da genau angestellt wurde, ist ebenfalls in dem Dokument beschrieben.

Die Erwähnung von Anthrax in dem Dokument
Die Erwähnung von Anthrax in dem Dokument

Die Erkenntnisse aus dem Dokument:

  • PACS ist die Abkürzung für Pathogen Asset Control System, also System zur Kontrolle von Krankheitserregern
  • Die einzige Erwähnung von Anthrax gibt es im Zusammenhang mit einem „On-the Job Training“, also Schulungen am Arbeitsplatz
  • Der Schulungsort und die Teilnehmer wurden verständlicherweise unkenntlich gemacht, um nicht auf dem Silbertablett zu servieren, in welchem Labor sich Milzbranderreger befinden und wer davon weiß

Fest steht also, dass sich in einem Labor in der Ukraine, welches tatsächlich von den USA finanziert wird, der Milzbranderreger Anthrax befindet.

Stellt sich nun aber noch die Frage, warum sich dort Anthrax befindet. Theoretisch könnte aus dem Anthrax eine Biowaffe erstellt werden. Handelt es sich also um ein verbotenes Biowaffenlabor? Und wenn ja, warum wird das dann so freimütig in einem Dokument zugegeben? Die Antwort ist einfach: Weil dieses und viele andere Labore keine Biowaffen herstellen, sondern im Gegenteil dazu da sind, sie zu verhindern!

Was es mit den von den USA finanzierten Biolaboren in der Ukraine und anderswo auf sich hat

Bereits in den 1990ern haben die USA das „Biological Threat Reduction Program“, auf Deutsch: „Programm zur Reduzierung biologischer Bedrohungen“ ins Leben gerufen, um nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die von biologischen Waffen ausgehende Gefahr zu verringern, die in Ländern wie der Ukraine zurückgelassen worden waren.

Seit 2005 arbeitet die USA diesbezüglich mit der Ukraine zusammen (siehe HIER). Im Rahmen dieses Programms erhalten bestimmte Labore von den USA Mittel für die Modernisierung und Ausrüstung, werden aber vor Ort und nicht von den USA verwaltet. Im August 2005 berichtete auch die „Washington Post“ über diese Zusammenarbeit (siehe HIER).

„Die Vereinigten Staaten und die Ukraine haben sich gestern darauf geeinigt, gemeinsam gegen die Verbreitung biologischer Waffen vorzugehen. Sie unterzeichneten ein Abkommen, das der ukrainischen Regierung den Weg frei macht, US-Hilfe zu erhalten, um die Sicherheit von Einrichtungen zu verbessern, in denen gefährliche Mikroben gelagert werden.
[…]
Ein Labor, das Mittel erhält, ist das I.I. Mechnikov Antiplague Scientific and Research Institute in der Schwarzmeerhafenstadt Odessa. Das Institut war Teil eines Netzes von „Antiplague“-Stationen aus dem Kalten Krieg, die hochtödliche Krankheitserreger an sowjetische Biowaffenfabriken lieferten.“

Quelle: Washington Post

Weiter heißt es in dem Artikel, dass die USA mit der Finanzierung die friedliche Forschung ukrainischer Wissenschaftler zur Bekämpfung der Ausbreitung natürlicher Krankheiten unterstützen wolle.

Im April 2020, als es schon einmal Gerüchte über Biowaffenlabore in der Ukraine gäbe, erklärte die US-Botschaft in der Ukraine erneut: „Unsere gemeinsamen Anstrengungen tragen dazu bei, dass gefährliche Krankheitserreger nicht in die falschen Hände geraten.

Fassen wir mal zusammen

  • Seit 2005 finanzieren (nicht betreiben) die USA Labore in der Ukraine
  • In diesen Laboren befinden sich teilweise auch Erreger schwerer Krankheiten wie Anthrax
  • Die Forschung in den Laboren dient aber der Erforschung der Erreger und der Bekämpfung biologischer Waffen
  • Dazu dient auch die bereitgestellte Software, mit der auftauchende Krankheitserreger verwaltet und nachvollzogen werden können
  • Kurioserweise diente eines der Labore im Kalten Krieg dazu, Krankheitserreger für russische Biowaffenlabore herzustellen – das, was der Ukraine also jetzt vorgeworfen wird, praktizierte Russland im Kalten Krieg tatsächlich
  • Wären es Biowaffenlabore, hätte dies Russland mit größter Wahrscheinlichkeit bereits längst mit sehr vielen Beweisen an die große Glocke gehängt, da dies ja ein Beweis eines ihrer Kriegsgründe wäre

Aus den veröffentlichten Unterlagen geht zudem nur hervor, dass in einem der Labore, in dem an Anthrax geforscht wird, eine Schulung am Arbeitsplatz durchgeführt wurde.

Das Dokument ist keinesfalls ein Beweis, dass sich Biowaffenlabore in der Ukraine befinden, sondern nur, dass in einem Labor an Anthrax geforscht wird. Dass in Biolaboren in der Ukraine an Krankheitserregern zwecks Bekämpfung von Biowaffen geforscht wird, ist schon seit 2005 bekannt, doch ist dies kein Beweis, dass dort Biowaffen hergestellt werden.

Weitere Quelle:

dpa
In dem Zusammenhang interessant: In der Ukraine soll es Biowaffenlabore geben, laut Beiträgen auf Social Media-Plattformen hätte US-Diplomatin Victoria Nuland dies nun offiziell bestätigt.
Angebliche Biowaffenlabore in der Ukraine

Hinweis: Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell
war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur
Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.

MimikamaPLUS-Inhalte