Corona-Impfstoffe: Verbraucherschutz nicht „über Bord geworfen“

In einem Videobeitrag und einem dazugehörigen Artikel einer Schweizer Sekte wird behauptet, dass für die Corona-Impfstoffe viele Verbraucherschutz-Maßnahmen gestrichen wurden. Doch anscheinend wurden die Gesetzestexte und Verordnungen nur halb gelesen.

Autor: Ralf Nowotny

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Die Behauptung

In einem Videobeitrag und einem dazugehörigen Artikel einer Schweizer Sekte wird behauptet, dass für die Corona-Impfstoffe viele Verbraucherschutz-Maßnahmen gestrichen wurden.

Unser Fazit

Das stimmt nicht, sie wurden nur für die Impfstoffe in eine neue, zeitlich begrenzte Verordnung gepackt, für dessen Einhaltung nicht die Bundesregierung, sondern das Paul-Ehrlich-Institut zuständig ist.

Seit Beginn der Corona-Pandemie werden von dem Format „Klagemauer TV“ (Kla.tv), das der Schweizer Sekte „Organische Christus-Generation“ (OCG) gehört, immer wieder Falschbehauptungen über SARS-CoV-2 und die Impfstoffe verbreitet. Ein kurzes Video des Kanals soll nun aufzeigen, dass für die Corona-Impfstoffe viele Verbraucherschutz-Maßnahmen des Arzneimittelgesetzes gestrichen wurden.
Doch das stimmt nicht, sie wurden nur für die Impfstoffe in eine neue, zeitlich begrenzte Verordnung gepackt, für dessen Einhaltung nicht die Bundesregierung, sondern das Paul-Ehrlich-Institut zuständig ist.

Die Behauptungen

Das Video mit den Behauptungen wird unter anderen auf Facebook und Telegram geteilt, auch als Sharepic kursieren die Falschbehauptungen:

Sharepic mit den Falschbehauptungen über das Arzneimittelgesetz
Sharepic mit den Falschbehauptungen über das Arzneimittelgesetz

Folgende Behauptungen werden aufgestellt:

  • Auch abgelaufene Corona-Impfstoffe dürfen in den Verkehr gebracht werden (§ 8, Absatz 3)
  • Corona-Impfstoffe müssen nicht mehr etikettiert werden und benötigen keinen Beipackzettel (§ 10, 11 und 11a)
  • Chargen unterliegen keiner staatlichen Qualitätskontrolle mehr (§ 32)
  • Für Schäden durch Corona-Impfstoffe müssen die Hersteller kein Geld mehr beiseitelegen (§ 94)
  • Arzneimittelhersteller, Ärzte und Apotheker haften nicht für mögliche Folgeschäden durch die Corona-Impfung, es hafte niemand (§ 84)
  • Der § 5 des Transfusionsgesetzes wurde aufgeweicht, auch Geimpfte dürften nun jederzeit Blut spenden

Gehen wir im Folgenden mal die Gesetzestexte durch, denn dabei stellt sich sehr schnell heraus, dass die jeweiligen Gesetzestexte nur halb gelesen wurden.

Worauf das Video und das Sharepic beruhen

Bereits am 25. Mai 2020 wurde die „Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“ ausgefertigt (siehe HIER). Es geht darin unter anderem um die Beschaffung und Abgabe medizinischen Bedarfs und um Ausnahmeregelungen.

Aus dieser Verordnung haben sich die Macher des Videos einige Rosinen herausgepickt, aber sie nicht komplett gelesen. Im folgenden Absatz sind die Paragraphen fettgedruckt, die sich herausgepickt wurden, der kursive Text zeigt, was überlesen wurde. So heißt es in § 3, Absatz 1:

§ 8 Absatz 3, die §§ 10, 11, 11a und 21 Absatz 1, § 21a Absatz 1 und 9, § 32 Absatz 1, die §§ 43, 47 und 72 Absatz 1 und 4, § 72a Absatz 1, § 72b Absatz 1 und 2, § 72c Absatz 1, die §§ 73a, 78 und 94 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sowie § 4a Absatz 1 und § 6 Absatz 1 der Arzneimittelhandelsverordnung (AM-HandelsV) gelten nicht für das Bundesministerium, die von ihm beauftragten Stellen und für Personen, von denen das Bundesministerium oder eine von ihm beauftragte Stelle die Arzneimittel beschafft, wenn das Bundesministerium oder eine von ihm beauftragte Stelle nach § 2 Absatz 1 Arzneimittel oder Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe beschafft und in den Verkehr bringt.

Wichtig: „…wenn das Bundesministerium oder eine von ihm beauftragte Stelle die Arzneimittel […] beschafft und in den Verkehr bringt“.

Dies bedeutet, dass die Paragraphen nicht etwa gestrichen wurden, sondern einfach nur nicht für das Bundesministerium gelten, da eine beauftragte Stelle diese Aufgaben übernimmt.

Wir werden aber noch weiter unten auf einzelne Punkte der Behauptungen eingehen.

Die beauftragte Stelle

Wer nun diese beauftragte Stelle sein soll, lässt sich ebenfalls im Arzneimittelgesetz nachlesen, und zwar in § 77:

„Zuständige Bundesoberbehörde ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, es sei denn, dass das Paul-Ehrlich-Institut zuständig ist. Das Paul-Ehrlich-Institut ist zuständig für Sera, Impfstoffe, Blutzubereitungen, Gewebezubereitungen, Gewebe, Allergene, Arzneimittel für neuartige Therapien, xenogene Arzneimittel und gentechnisch hergestellte Blutbestandteile.“

Es ist also klar geregelt, dass das Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe zuständig ist, und zwar schon die ganze Zeit. In der Verordnung wurde dies allerdings noch einmal explizit erwähnt, da es auch noch andere Abweichungen gibt, über die Regelungen getroffen wurden.

Einige Beispiele

Das Paul-Ehrlich-Institut darf natürlich auch nicht so einfach schalten und walten, wie es ihnen gefällt, auch sie sind an das Gesetz gebunden. Dass die Macher des Videos die Paragraphen nicht wirklich kennen, zeigt sich gleich bei der ersten Behauptung recht gut.

Abgelaufene Impfstoffe und Chargenprüfungen

Angeblich sei ja § 8, Absatz 3 des Arzneimittelgesetzes gestrichen worden. Darin steht, dass es verboten ist, Arzneimittel, deren Verfallsdatum abgelaufen ist, in den Verkehr zu bringen. In der „Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung“ steht allerdings in § 4, Absatz 2:

„Die nach § 77 AMG zuständige Bundesoberbehörde kann im Einzelfall anordnen, dass abweichend von § 8 Absatz 3 AMG Arzneimittel, deren Verfalldatum abgelaufen ist, in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn dies zur Sicherstellung der Versorgung erforderlich ist und sie sich davon vergewissert hat, dass die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit dieser Arzneimittel nicht wesentlich beeinträchtigt sind.“

Es dürfen also tatsächlich abgelaufene Impfstoffe verwendet werden (z.B. wenn ein akuter Mangel an Impfstoffen herrscht), allerdings muss Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sichergestellt sein.

Und dafür ist das Paul-Ehrlich-Institut zuständig (siehe HIER, Punkt: Chargenprüfung), womit dann auch gleich die Behauptung widerlegt ist, dass die Impfstoffe keiner Qualitätskontrolle mehr unterliegen.

Beipackzettel und Etikettierung

Auch dafür gibt es eine Regelung, die in Ausnahmefällen greift, wenn beispielsweise keine Zeit dafür ist, erst Etiketten und Beipackzettel anzufertigen, da eine Charge dringend benötigt wird, nämlich im § 4, Absatz 1 der Versorgungssicherstellungsverordnung:

„Die nach § 77 AMG zuständige Bundesoberbehörde kann im Einzelfall anordnen, dass abweichend von den §§ 10 und 11 AMG Arzneimittel ohne eine Kennzeichnung und Packungsbeilage in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn dies zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln erforderlich ist. § 11a AMG findet auf diese Arzneimittel keine Anwendung. Die zuständige Bundesoberbehörde veröffentlicht in diesen Fällen die erforderlichen Produktinformationen in geeigneter Weise und barrierefrei.

In Einzelfällen darf also auf Kennzeichnungen und Packungsbeilagen verzichtet werden, jedoch müssen diese Informationen dann barrierefrei anderweitig veröffentlicht werden, zum Beispiel auf der Homepage.

Es ist also falsch, dass alle Corona-Impfstoffe nun jederzeit ohne Etikett und Beipackzettel vertrieben werden dürfen.

Die Haftung für eventuelle Folgeschäden

Tatsächlich steht in § 3, Absatz 4 MedBVSV, dass pharmazeutische Unternehmer, Hersteller und Angehörige von Gesundheitsberufen nicht haften müssen, wenn keine grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorliegt. Wenn also beispielsweise herauskommen sollte, dass Folgeschäden bekannt waren, aber ignoriert wurden, sind die Hersteller sehr wohl haftbar.

Es stimmt aber nicht, dass niemand haftet und man deshalb die Kosten eventueller Folgeschäden selbst tragen müsse. In einem Artikel (siehe HIER) gingen wir bereits auf diese Behauptung ein. Im Paragraph 60 des Infektionsschutzgesetz (IfSG) (siehe HIER) ist geregelt:

„Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe […]eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens […] auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.“

Für Folgeschäden haften die jeweiligen Bundesländer.

Blutspenden von Geimpften

An § 5 des Transfusionsgesetzes änderte sich überhaupt nichts. Weiterhin dürfen nur Personen Blut spenden, die „unter der Verantwortung einer ärztlichen Person nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik für tauglich befunden worden sind“.

Bezüglich Blutspenden von geimpften Personen schreibt das Deutsche Rote Kreuz:

„Ja, auch nach einer in Deutschland zugelassenen SARS-CoV-2 Impfung darf Blut gespendet werden. Wir empfehlen dir lediglich, nicht direkt am Tag der Impfung Blut zu spenden, sondern erst am Folgetag. Denn so kannst du eventuell auftretende Nebenwirkungen besser voneinander abgrenzen. Wenn du dich also am Tag nach der Corona-Impfung fit fühlst, kannst du gern Blut spenden.“

Auch laut dem Paul-Ehrlich-Institut ist eine Blutspende ein Tag nach einer Corona-Impfung problemlos möglich (siehe HIER, PDF-Datei), es gibt keine medizinischen Bedenken dagegen. Auf der Seite „Blutspendedienst“ des Bayerischen Roten Kreuzes (siehe HIER) wird ebenfalls ausgesagt, dass schon einen Tag nach einer Impfung gespendet werden kann – und zwar bereits am 20. Februar 2021, als die Impfungen erst anliefen!

Die Behauptung, dass das Gesetz nun geändert wurde, ist falsch. Auch ist es falsch, dass Geimpfte vorher nicht spenden durften, denn bereits in den ersten Wochen der Impfungen stand fest, dass es keine medizinischen Bedenken dagegen gibt.

Fazit

Die Behauptungen in dem Video beruhen zum größten Teil auf die Nichtkenntnis der Vorschriften, welches zu Fehlschlüssen führt, im Fall der Blutspenden liegen sie sogar komplett falsch. Da der Kanal schon seit Beginn der Corona-Pandemie Falschbehauptungen verbreitet, kann davon ausgegangen werden, dass auch in diesem Fall die Informationen absichtlich weggelassen wurden, um einen vermeintlichen Skandal verbreiten zu können.

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