Skurrile Archäologie: Das Guericke-Einhorn in einem Museum in Magdeburg

Wer das angeblich letzte Einhorn sehen will, kann sich entweder den Zeichentrickfilm ansehen – oder in das Museum für Naturkunde in Magdeburg gehen, denn dort steht dessen Gerippe. Wurde zumindest mal geglaubt.

Autor: Ralf Nowotny

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Der Physiker und Bürgermeister von Magdeburg, Otto von Guericke (1606-1686) ist allgemein dafür bekannt, das Vakuum erforscht und die Luftpumpe erfunden zu haben, man denke nur an die berühmten „Magdeburger Halbkugeln„, welche nur durch das Vakuum im Inneren der Kugel nicht einmal von 16 Pferden auseinandergezogen werden konnten.
Weniger bekannt ist jedoch, dass er sich auch als Archäologe versuchte, und seine vermeintlich größte Entdeckung ist heute noch im Museum für Naturkunde in Magdeburg: Nichts Geringeres als ein Einhorn!

Das Einhorn trabt durch Internet

Fotos des Guericke-Einhorns, im Ausland auch oftmals „Magdeburg-Unicorn“ genannt, kursieren immer wieder mal auf Social Media-Plattformen, so auch dieses Jahr mal wieder:

Okay, da unterscheidet sich alleine schon das Skelett von den üblichen Bildern von Einhörnern. Ein Twitternutzer machte sich dann auch gleich dran, grafisch darzustellen, wie es wohl lebendig ausgesehen haben mag:

Ein wenig creepy, oder? Ich glaube, ich muss dieses Einhorn unbedingt in dem Spiel „Spore“ nachbauen, denn es scheint direkt von dort entsprungen zu sein!

Der Fund des Einhorns

Im Jahr 1663 wurde beim Gipsabbau am Seveckenberg bei Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) ein bizarres Gerippe gefunden: Es bestand aus einem großen Schädel, mehreren Knochen und einem langen Horn. Das anscheinend bei der Bergung zerbrochene Skelett wurde dann der Fürstäbtissin übergeben, die in dieser Gegend ihren Herrschaftssitz hatte.

Fünf Jahre später versuchte sich Otto von Guericke angeblich an einer dreidimensionalen Rekonstruktion des Skelettes, über das jedoch nichts wirklich bekannt ist und nirgends je auftauchte: Sie bestand laut Beschreibungen aus dem Schädel eines Pflanzenfressers mit einem langen Horn auf der Stirn, rund 20 Knochen, zwei großen Schulterblättern und zwei langen Beinen.

Der Gießener Arzt und Gelehrte Michael Bernhard Valentini fertigte 1714 aufgrund der Beschreibung der Rekonstruktion eine Zeichnung an:

MIMIKAMA
Das Guericke-Einhorn nach Valentini, neu gezeichnet von Elke Gröning (Quelle)

Die Zeichnung von Gottfried Leibniz

Weitläufig bekannter wurde das Guericke-Einhorn allerdings erst, nachdem 1749 das posthum erschienene Buch “Protogaea” von Gottfried Wilhelm von Leibnitz (1646-1716) erschien. In dem Buch, welches ein Versuch war, „den Keim einer neuen Wissenschaft namens Naturgeographie“ zu entwickeln (inklusive Einhörner) stand:

„Da Bartholin nachgewiesen hat, dass Einhörner (einst eines der kuriosesten und seltensten Schmuckstücke der naturgeschichtlichen Kabinette, heute aber der Bewunderung des Volkes preisgegeben) von Fischen aus dem Nordmeer abstammen, dürfen wir annehmen, dass das in unserer Landschaft gefundene Einhornfossil denselben Ursprung hat.
[…]
Dieses Skelett wurde aufgrund der Unwissenheit und der Unachtsamkeit der Ausgräber zerbrochen und in Stücken herausgeholt. Aber das Horn, zusammen mit dem Kopf und einigen Rippen, sowie das Rückgrat und einige Knochen, wurden der Äbtissin des Ortes gebracht.“

Leibniz reproduzierte die Zeichnung von Valentini und fügte sie dem Kapitel hinzu:

MIMIKAMA
Das Guericke-Einhorn nach Leibniz neu gezeichnet von Elke Gröning (Quelle)

Leibniz schrieb in „Protogaea“, dass ihm eine Figur des Einhornskeletts (die nie aufgetaucht ist) zusammen mit einem Bericht von Johannes Meyer, Astronom und Kämmerer des Oberabtes von Quedlinburg, zugesandt wurde. Er und sein Kupferstecher Nicholas Seeländer sollen dann 1716 zur Illustration der „Protogaea“ das Skelett nach ihren eigenen Vorstellungen vom Körperbau eines Einhorns „korrigiert“ und ergänzt haben.

Ob nun das erwähnte 3D-Modell oder die Zeichnun(en) zuerst da waren und ob sie erst von Leibniz kamen und dann Guericke zugeschrieben wurden oder ob keiner der Beiden damit was zu tun hat, ist immer noch eine wissenschaftliche Debatte. In den 1990ern fertigte der St. Gallener Präparator Urs Oberli schließlich eine plastische Rekonstruktion des Einhorns von Quedlinburg an.

Woraus das „Einhorn“ besteht

Klar ist hingegen: Nein, das ist natürlich kein echtes Einhorn, und das Skelett war auch niemals mit Fleisch umgeben und lebendig!

Obwohl in vielen Medien berichtet wurde, dass es sich um die deformierten Überreste eines Wollnashorns handelte, sind diese Behauptungen nur halbwahr, denn tatsächlich ist es ein Sammelsurium aus verschiedenen Fossilien, die wüst zusammengewürfelt wurden.

Laut Thijs van Kolfschoten, Professor für Säugetierpaläo- und Archäozoologie an der Universität Leiden, ist das Horn höchstwahrscheinlich der Stoßzahn eines Narwals, der Schädel wahrscheinlich der fossile Schädel eines Wollnashorns, die Schulterblätter und die Knochen der Vorderbeine stammen von einem ausgestorbenen Wollmammut (siehe HIER und HIER).

Fazit

Alle Archäologen (Grüße an Pyeah™) dürfen also aufatmen, ihre Zunft wird durch das Guericke-Einhorn nicht in die Tiefe gerissen, da die damaligen Rekonstruktionen nicht einmal von echten Archäologen angefertigt wurden, doch damals der Glaube an Einhörner und andere Fabelwesen noch groß war, so dass die wilde Rekonstruktion eher aus Wunschdenken, aber nicht auf Basis wissenschaftlicher Arbeit geschah.

Artikelbild: Twitter/@BrianRoemmele
Weitere Quellen: Wiener Zeitung, Snopes

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