Die Medien und auf Social Media sind derzeit voll mit Meldungen über einen Angriff auf eine Entbindungsklinik in Mariupol. Aus den offiziellen Meldungen erfahren wir, dass bei dem Angriff auf die Geburtsklinik drei Menschen ums Leben gekommen sein sollen. Ein Kind darunter.

Es gibt zudem eine Menge Bild und Videomaterial, welches nach dem Angriff vor Ort entstanden ist. Nach Angaben der ARD Tagesschau haben sich Reporter der Nachrichtenagentur AP in Mariupol aufgehalten und den Angriff auf die Klinik miterlebt. Wir erfahren in der Berichterstattung ebenso, dass ein AP-Fotograf die Zerstörung dokumentierte.

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Soldaten auf der Entbindungsklinik? Nein!

Ein Video soll ukrainische Soldaten auf dem Klinikdach zeigen. Zudem soll dieses Video beweisen, dass das Klinikgebäude leer gestanden habe. So zumindest wird es an einigen Stellen auf Social Media behauptet, aber auch der russische Außenminister Lawrow spricht davon, dass die Klinik vom „radikalen Asow-Bataillon“ besetzt wurde.

Dazu gibt es ein Beweisvideo, das beispielsweise auf Twitter mit folgenden Worten verbreitet wird:

MIMIKAMA
Selenskyj bezeichnete den Beschuss Russlands auf die Entbindungsklinik Mariupol als Gräuel und sagte, dass Kinder, ihre Mütter und Ärzte unter den Trümmern lägen.
Wahrheit: Die Entbindungsklinik ist gar nicht in Betrieb❗Aber mit kämpfenden Ukrainischen Soldaten auf dem Dach‼️

In dem Video sehen wir einen Gebäudekomplex. Auf den ersten Blick ist noch nicht erkennbar, welche Funktion dieser Gebäudekomplex innehat. Also es ist offen, ob es eine Klinik ist oder ein Wohngebäude. In dem Video sehen wir auch, dass auf dem Dach dieses Gebäudekomplexes bewaffnete Soldaten liegen. In unserem Faktencheck geht es also nun im ersten Schritt um die Verortung des Videos. Welches Gebäude zeigt ist und sehen wie er am Ende wirklich eine Entbindungsklinik?

MIMIKAMA

Entbindungsklinik? Nein!

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Die Herkunft des Videos lässt sich aufgrund des Wasserzeichens recht leicht erkennen. Es handelt sich um ein Video, das auf dem Kanal WarGonzo hochgeladen wurde. Dieses Video ist unter anderem auch auf YouTube zu finden.

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Die Beschreibung des Videos auf YouTube spricht jedoch nicht von einer Entbindungsklinik. Hier wird behauptet, es handelt sich um die Soldaten des Regiments Asow. Hierbei handelt es sich um ein paar militärisches Freiwilligenbataillon, das bereits in der Vergangenheit gegen prorussische Separatisten im Osten des Landes gekämpft hat. Der Vorwurf gegen das Regiment Asow lautet, dass es sich um eine ultranationalistische und offen rechtsextreme Gruppe handelt (vergleiche hier und hier).

Daher steht weiterhin im Raum, ob diese Soldaten, bzw. Milizen bewusst eine Entbindungsklinik als Schild benutzt haben. Hierfür ist es also sinnvoll, den genauen Ort der Aufnahme zu bestimmen. Ein logischer Ansatz ist hierbei die Ausrichtung der Soldaten auf dem Dach und die mögliche Richtung eines Angriffs.

Die Angriffe dürften von Nordosten aus auf Mariupol ausgehen. Insofern ist es plausibel, dass auch dieser Gebäudekomplex im Nordosten der Stadt stehen könnte. Um ihn genau zu bestimmen, sind Kartendienste von Vorteil. Da wir es mit der Ukraine zu tun haben, nutzen wir in diesem Umfang Yandex als Kartendienst. Eine kurze Suche im Nordosten der Stadt Mariupol zeigt, dass der Gebäudekomplex tatsächlich sich hier befindet (hier auf der Karte). Wenn wir die Satellitenkarte entsprechend der Perspektive des Videos drehen, können wir eine gute Vergleichsbasis schaffen:

MIMIKAMA
Keine Entbindungsklinik

Keine Entbindungsklinik

Nun gilt es noch zu entscheiden, welche Funktion dieser Gebäudekomplex hat. Laut Kartendiensten sehen wir keinerlei Kliniken in der Umgebung. Gemäß Kartendienst Yandex können wir recht deutlich erkennen, dass es sich hierbei um einen Wohnkomplex handelt. Dieser ist auch recht deutlich identifizierbar. Ein direkter Vergleich zwischen dem Standbild und einem Foto der Yandex-Streetview-Variante macht das ebenfalls deutlich:

MIMIKAMA
Keine Entbindungsklinik

Keine Entbindungsklinik

Ergo: nein, dies ist keine Entbindungsklinik. In einem weiteren Vergleich können wir sehen, dass die Videos, welche die zerstörte Entbindungsklinik zeigen sollen, nichts mit diesem Gebäudekomplex zu tun haben. Die Videos und Fotos zeigen ein komplett anderes Gebäude (siehe hier). Die in Trümmern gezeigte Klinik aus der Berichterstattung befindet sich im Norden der Stadt, über 12 km Luftlinie entfernt (hier die Lokalisierung auf einer Karte).

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Nachtrag: Besonders offensichtlich ist die Diskrepanz bzgl. der Etagenanzahl der Gebäude zwischen dem angeblichen Beweisvideo der russischen Seite und den ukrainischen Aufnahmen der getroffenen Klinik. In den Drohnenaufnahmen sind Hochhäuser mit ca. 9 Etagen zu sehen, wo gegen die getroffene Klinik aus Gebäuden mit 2-3 Etagen besteht. Alleine dies sollte schon zeigen, dass die Aufnahmen beider Seiten nichts miteinander zu tun haben und verschiedene Standorte vermeintlich in Mariupol zeigen.

Zur Verortung des Bombardierung: Es handelt sich um eine Polyklinik im westlich des Zentrums von Mariupol. Die Darstellung auf der Karte stimmt am Ende mit den Bildern und Videos aus dem Angriff überein. Diese Bilder und Videos wurden aus dem Innenhof der Klinik aufgenommen, daher auch die zerstörten Fahrzeuge im Video. Diese haben an der Stelle geparkt.

MIMIKAMA
Luftbild des bombardierten Ortes

Umgebungskarte des Angriffs

Das oben angezeigte Video kann dementsprechend nicht als ein Rechtfertigungsgrund für einen Angriff auf eine Kinderklinik oder eine Entbindungsklinik gesehen werden. Es wurde an einer ganz anderen Stelle in Mariupol aufgenommen. Es ist uns an dieser Stelle auch nicht möglich, die in dem Video zu sehenden Personen zu identifizieren.

NACHTRAG!

Hier noch eine Information aus einem Leserfeedback, die wir anhand der Angaben verifizieren können:

Den ersten Teil des Videos mit der Person (höchstwahrscheinlich Soldat) haben wir in der ursprünglichen Version dieses Artikels nicht weiter thematisiert. Zu sehen ist in den ersten Sekunden eine Person (Soldat?) auf einem Dach. Die Form des Gebäudes und das Dach passen nicht mit den Gebäuden im Wohnviertel im zweiten Teil überein, welche daraufhin in der Großaufnahme eingeblendet werden.

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Man findet das Gebäude vom Anfang des Videos aber etwas weiter südlich (ca. 3km). Wobei der Soldat wohl Richtung süd-osten blickt (Anhand des Schattens können wir die Aufnahmezeit auf einen Vormittag verorten) bevor er sich ins Treppenhaus zurückzieht, welches sich auffällig genau beim Versatz der beiden Gebäudeteile befindet. Auch gibt es auf dem Dach unterbrochene kleine Mauern, die Blechhütten sind ebenfalls kongruent. Standort vom Gebäude ist hier.

MIMIKAMA
Vergleich: Erster Teil des Videos

Wir sehen, dass auch das Ursprungsvideo schon manipulativ arbeitet, indem es ohne Kenntlichmachung verschiedene Sequenzen aneinanderreiht. Wir danken an dieser Stelle für die aufmerksame Zuschrift.

Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.
2) Einzelne Beiträge entstanden durch den Einsatz von maschineller Hilfe und wurde vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)