Die Geschichte eines alten Mannes, der in Hungersnot zum Brotdieb wurde. Oder auch die jenes Richters, der beim Urteil sein Herz sprechen lässt.

Emotionale Geschichten funktionieren in sozialen Medien einfach. Ob das der Grund ist, warum immer wieder derartige Erzählungen – gerne als „Netzfund“ betitelt – geteilt werden, auf die Nutzer mit gerührten, anerkennenden oder auch staunenden Worten reagieren.

In dieser Geschichte geht es um einen alten Mann in Kanada. Sein Hunger war groß, sehr groß. Ja, er wäre sogar beinahe verhungert, hätte er in seiner Verzweiflung und Hilflosigkeit nicht das Brot geklaut. Um zu überleben, musste er zum Dieb werden.

Der Urteilsspruch war, so die Erzählung weiter, überraschend. Denn der Richter machte nicht den Dieb für seine Tat verantwortlich, sondern die Gesellschaft, die in diesem Fall weggesehen hat, dem Mann im Vorfeld nicht geholfen hat. Wäre das geschehen, hätte es überhaupt nicht erst zu dieser Tat kommen müssen. – Ein Appell an die Moral der Menschen.

Auf Facebook (hier archiviert) findet sich eben diese Geschichte:

In Kanada stand ein alter Mann vor Gericht, weil er Brot geklaut hatte.
Der alte Mann war geständig, er erklärte, dass er zu dem Zeitpunkt sehr hungrig gewesen sei und verhungert wäre, wenn er das Brot nicht geklaut hätte.
Da der alte Mann geständig war, verurteilte der Richter den Mann dazu, zehn Dollar Schadenersatz zu zahlen und teilte dann mit, da er wüsste, dass der Verurteilte dieses Geld nicht zahlen kann, würde er selbst dafür aufkommen.
Im Gerichtssaal herrschte Totenstille, der Richter holte zehn Dollar aus seiner Tasche und bat den Gerichtshelfer, das Geld der Gerichtskasse zu überbringen.
Dann stand der Richter auf und sprach zu allen Leuten im Saal: „Ich spreche jeden Einzelnen von Euch schuldig, jeder hier im Saal Anwesende, muss eine Geldstrafe in Höhe von zehn Dollar zahlen, weil Ihr als Bürger einer solch wohlhabenden Stadt, einem hungernden alten Mann die Hilfe verweigert habt, so dass er vor Hunger Brot stehlen musste.“
Im Gerichtssaal wurden 480 Dollar gesammelt und der Richter gab das Geld dem alten Mann.
Der Richter fügte noch folgende Erklärung hinzu:
„Wenn in einer wohlhabenden Stadt, in der angeblich zivilisierte Bürger leben, bettelarme Menschen zu sehen sieht, sollte einem klar sein, dass die Verantwortlichen, die an der Macht sind, ihr eigenes Volk bestehlen.“
Text und Bild : Netzfund 🙏

„Netzfund“ – ganz schön billig

Wir erfahren keine Details. Kanada ist recht groß, doch wo genau in Kanada hat sich das abgespielt? Wie hieß der Mann? Wann war der Vorfall? Wann die Gerichtsverhandlung? Wie hieß der Richter? – NICHTS davon wird auch nur irgendwie erwähnt. Das macht es schwierig. Warum wird in den Medien, zumindest in den lokalen, nirgends davon berichtet?

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Was allerdings in Kanada nicht funktionieren kann, ist, dass alle Anwesenden im Gerichtssaal zur Kasse gebeten werden können. Zumindest nicht ohne, dass diese zuvor einem ordentlichen Gerichtsverfahren unter Angabe eines konkreten Vergehens gemäß Paragraph 11 (a) der Charta unterzogen wurden.

Spannend auch, dass es eine sehr ähnlich klingende Erzählung gibt, die zumindest einen Namen erwähnt: Fiorello La Guardia, New Yorks Bürgermeister zwischen 1934 bis 1945. Er war an einem Tag vertretungsweise als Polizeirichter eingesetzt worden, und hier soll er ein ähnliches Urteil gefällt haben. Hier stand ein Obdachloser als Brotdieb vor Gericht. Dieser wollte seine Kinder versorgen, seine Familie ernähren. Auch hier übernahm der Richter die Strafe von 10 Dollar. Und auch hier forderte er die Anwesenden auf, selbst noch etwas zu geben, diesmal 50 Cent.

Natürlich kann man jetzt immer noch sagen, dass es vielleicht mehrere solcher Vorkommnisse gibt, „irgendein wahrer Kern steckt doch in jeder Geschichte“, usw.

Doch ein Detail ließ sich herausfinden.

Der Brotdieb

Auf Facebook wird diese Geschichte mit einem Foto des vermeintlichen Brotdiebs gepostet. Man geht natürlich davon aus, dass dies der alte Mann ist, der aus Hunger zum Dieb wurde.

Sucht man nach dem Bild, wird man fündig. Doch wir erhalten nicht die Details, die wir vorab gesucht haben. Wir erhalten eine ganz neue Geschichte.

Der Mann auf dem Foto ist Leo Sharp. Das Foto wurde 2014 aufgenommen, als er als 90-Jähriger vor Gericht stand. Aber nicht etwa, weil er Brot gestohlen hatte. Sharp wurde in Detroit zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er als Drogenkurier für ein mexikanisches Drogenkartell gearbeitet hatte.

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Vermutlich wäre eine Strafe wegen Brot-Diebstahls etwas milder ausgefallen.

Fazit

Der Mann auf dem Foto, das mit dem Text über den kanadischen Brotdieb geteilt wird, ist Leo Sharp, der als Drogenkurier arbeitete und 2014 dafür verurteilt wurde.

Der Ablauf vor Gericht, wie er in der Geschichte erzählt wird, kann in Kanada so nicht umgesetzt werden.

Es liegt also nahe, dass diese Geschichte Fiktion ist oder zumindest in Anlehnung an die Erzählung von Fiorello LaGuardias Geschichte neu aufgelegt wurde. Auch diese ließ sich in einem Faktencheck durch Snopes nicht verifizieren.

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Quelle: DPA, Snopes, FAZ

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