Kein Verkauf von ukrainischen Agrarflächen an US-Konzerne

Internationale Unternehmen interessieren sich für die wertvolle ukrainische Schwarzerde. Aber stimmt es wirklich, dass Selenskyj inzwischen ein Drittel des Landes verscherbelt hat?

Autor: Walter Feichtinger

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Die Behauptung

Vor einem Jahr hat Selenskyj den Kauf von ukrainischen Agrarflächen durch ausländische Unternehmen erlaubt. Inzwischen haben 3 US-Konzerne – Cargill, DuPont und Monsanto – ein Drittel dieser Flächen aufgekauft.

Unser Fazit

Es gibt keine Beweise dafür, dass die genannten Unternehmen Ackerland in der Ukraine gekauft haben. Der Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen an ausländische Investoren ist rechtlich im Moment gar nicht möglich. Das wäre erst nach einem Referendum und erst mit 2024 möglich, wenn die Bürger:innen dem zustimmen. Das Referendum hat bisher nicht stattgefunden.

Eine deutsch-ukrainische Influencerin behauptete auf ihrem YouTube-Kanal, dass der ukrainische Präsident Selenskyj im Juli 2021 den Verkauf von Agrarflächen an ausländische Unternehmen erlaubt hatte. Seit dem hätten drei US-Konzerne – Cargill, DuPont und Monsanto – ein Drittel dieser Flächen aufgekauft. Ein halb minütiger Schnipsel dieses Videos landete auf TikTok. Dort wurde er tausende Male geteilt, zwischendurch gelöscht, ist aber inzwischen (Stand: 31.08.2022) wiederhergestellt.

Sehr ähnliche Falschinformationen verbreitet eine einschlägige Seite für russische für Desinformation: Kiew hätte 30 Prozent der Landesfläche verkauft. Auch politische Rechte in Deutschland hat diesen Lügen aufgegriffen und spricht davon, dass 17 von 62 Millionen Hektar Land sich in der Hand von „Heuschrecken“ befinden. International bereitet es große Sorgen, dass sich Firmen diese Landflächen sichern, die kein Problem mit der Verwendung von genmanipulierten Saatgut haben. Eine australische Debunking-Seite geht davon aus, dass hier die große Zahl 17 Millionen Hektar ihren Ausgang genommen hat.

Was ist an den Agrarflächen in der Ukraine so interessant?

Schwarzerde (Chernozem) gehört mit einem sehr hohen Humusanteil zu den weltweit fruchtbarsten Böden. In Reinform ist es der typische Boden der Steppengebiete mit warmen Sommern und kalten Wintern. Schwarzerde kommt hauptsächlich in Eurasien in einem Bogen beginnend bei Ungarn über Rumänien, Ukraine, Russland bis hin zu Kasachstan vor. Etwa ein Viertel der Chernozem-Böden weltweit befindet sich auf dem Staatsgebiet der Ukraine. Rund 32 Millionen Hektar Ackerland (¾ der Gesamtfläche) werden jährlich bewirtschaftet, das entspricht etwa einem Drittel der Ackerfläche der gesamten Europäischen Union.

“Schon heute [2015] ist die Ukraine der drittgrößte Mais- und siebtgrößte Weizenexporteur der Welt. Vor allem die Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens kaufen dort Getreide. Die weltweite Nahrungskrise der Jahre 2007 und 2008 hatte auch damit zu tun, dass die ukrainische Regierung damals vorübergehend den Export einstellte – danach wurde Brot in vielen Ländern der Welt teurer, es kam zu Hungeraufständen. Spätestens seit dieser Zeit ist auch ausländischen Investoren klar, wie kostbar ukrainisches Land ist. […] ‘Wir beobachten in der Ukraine einen Wettkampf zwischen russischen und westlichen Interessen’ “, zitiert Die Zeit Frédéric Mousseau.

Der Ursprung der Behauptungen: das Paper vom Oakland Institut

Der oben zitierte Frédéric Mousseau ist Policy Director am Oakland Institute, „wo er die Forschungs- und Interessenvertretungsaktivitäten des Instituts zu Landinvestitionen, Ernährungssicherheit und Landwirtschaft koordiniert“. „Interessenvertretung“ macht klar, dass man nicht unabhängig arbeiten kann und will. Eben dieses Oakland Institute hatte bereits im Dezember 2014 ein sogenanntes „country fact sheet“ herausgegeben: The Corporate Takeover of Ukrainian Agriculture. Die dort aufgestellten Behauptungen werden in den Verschwörungserzählungen um die ukrainischen Agrarflächen immer wieder aufgegriffen.

Schon im Teaser zum Dokument stehen schwer wiegende Vorwürfe: Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds hätten den politischen Umbruch genutzt, um den Agrarsektor des Landes zu deregulieren und für ausländische Konzerne zu öffnen. Und transnationale Konzerne – darunter Monsanto, Cargill und DuPont – würden nicht nur massiv in das ukrainische Agrarsystem investieren, sondern es durch die Umgehung des Landmoratoriums übernehmen.

Im eigentlichen Dokument werden diese Vorwürfe noch expliziter: „Für landwirtschaftliche Flächen in der Ukraine gilt derzeit ein Moratorium, das ihren Verkauf bis zum 1. Januar 2016 verbietet. Trotz dieses Moratoriums befinden sich derzeit mindestens 1,6 Mio. Hektar ukrainischer Agrarflächen in ausländischer Hand.“ Zehn große Unternehmen würden bis zu 2,8 Mio. Hektar kontrollieren.

Wie das funktionieren kann, zitiert das Factsheet aus einem Dokument einer großen Anwaltskanzlei: Investoren können Ackerland bis zu 49 Jahre pachten. Und weil die gesetzliche Regelung nur für landwirtschaftliche Flächen gelte, sei es legal, das Industrieland für die Verarbeitungsanlagen zu kaufen. Vom Moratorium sollte man sich jedenfalls nicht „von der Nutzung des schwarzen, fruchtbaren Bodens der Ukraine abschrecken lassen“.

„Eine zweite Möglichkeit für Investoren, das Landmoratorium zu umgehen, ist der Kauf von Anteilen großer ukrainischer Agrarunternehmen“, schlägt das Oakland Institute vor. Diese Strategie war zu diesem Zeitpunkt tatsächlich möglich, das neue Gesetz von 2020 verbietet allerdings explizit Landkauf durch Firmen, bei den denen es ausländische Beteiligungen gibt – siehe weiter unten. Ein Blick auf die Seite landmatrix.org der Universität Bern bestätigt: Keines der drei Unternehmen hat in der Ukraine seit Beginn der Aufzeichnungen in dieser Datenbank (2012) direkt Land gekauft. Auch in den Geschäftsberichten von Cargill, DuPont und Bayer (seit 2018 der Mutterkonzern von Monsanto) scheint nichts darüber auf.

Interessen von Cargill, DuPont und Monsanto an ukrainischem Agrarland

Die Spuren liegen in der Vergangenheit: Das Landverteilungssystem der 1990er Jahre führte oftmals zu einer Konzentration von Land in den Händen einiger weniger. Agrarunternehmer, wie der Milliardärs Oleg Bakhmatyuk, profitierten in den Jahren nach dem Zerfall des Ostblocks massiv von der Gesetzeslage. Vor der russischen Invasion verfügte sein Unternehmen UkrLandFarming über mehr als 670.000 Hektar und war damit größte Landbank in der Ukraine.

2014 stieg der multinationale Lebens- und Futtermittel-Konzern Cargill bei UkrLandFarming ein, in dem er 5 Prozent der Unternehmensanteile aufkaufte. Diese Investition dauerte allerdings nur bis 2016. Dann fielen diese Anteile wieder zurück an Bakhmatyuk, der zu diesem Zeitpunkt wieder 100 Prozent von UkrLandFarming innehatte. Bereits 2012 leakte die Kyiv Post Pläne der ukrainischen Regierung, große Teile ungenutzter Agrarflächen in Staatsbesitz an private Unternehmer zu verpachten. Diese Pläne wurden nicht 1:1 umgesetzt, einige der ausgearbeiteten Konzepte finden sich aber in Novellierung des Bodengesetzbuches der Ukraine von 2020 wieder, siehe weiter unten.

„Es ist zwar unklar, was aus diesem Programm geworden ist, aber klar ist, dass in den letzten Jahren bedeutende Landparzellen in den Besitz ausländischer Investoren übergegangen sind. Wie bereits erwähnt, befinden sich mindestens 1,6 Mio. Hektar ukrainischer Agrarflächen in ausländischem Besitz“, behauptet das Oakland Institute und bezieht sich dabei auf das eigenes Paper Walking on the Westside.

„Während das Landmoratorium also Hindernisse für den vollständigen Besitz der ukrainischen Schwarzerde geschaffen hat, gibt es Möglichkeiten, diese reiche Ressource zu nutzen.“ Das Factsheet zählt dann noch die Aktivitäten von Monsanto, Cargill, Monsanto und der chinesischen Staatsbank im Agrarbereich auf. Es bleibt aber Beweise schuldig, dass die drei genannten Konzerne wirklich legal in den Besitz von Ackerflächen gekommen sind.

Rechtliche Grundlagen

Es ist laut dem Bodengesetzbuch der Ukraine von 2002 für Ausländer, Staatenlose und ausländische Juristische Personen nicht möglich, in der Ukraine Grund zu erwerben oder sich an Grundbesitz über Aktien oder ähnlichem zu beteiligen. Ein neues Gesetz, das 2020 verabschiedet wurde und das Bodengesetzbuch novelliert, sieht Änderungen vor, die aber erst in Kraft treten können, wenn darüber ein Ukraine weites Referendum abgehalten worden ist.

Es wäre laut diesem Gesetz ab 2024 auch für ausländische Unternehmen möglich, Land in der Ukraine zu erwerben. Das entsprechende Referendum wurde bisher noch nicht durchgeführt. Laut einer Umfrage vom Juni 2021 sind 84 Prozent der Bevölkerung gegen einen solchen Öffnungsschritt.

Allerdings gibt es ein rechtliches Schlupfloch, wie ausländische Firmen ukrainische Agrarflächen dennoch kontrollieren können. Die ukrainische Anwaltskanzlei DLF erläutert, wie man dabei vorgeht: Staatsbürger:innen dürfen seit dem 1. Juli 2021 Ackerflächen in einem Umfang von bis zu 10.000 Hektar erwerben. Das ausländische Unternehmen sucht sich eine loyale Drittperson, die das gepachtete Land für sie erwirbt. Im neuen, langfristigen Pachtvertrag wird dann ein Vorkaufsrecht verankert, das aber erst nach dem Referendum und frühestens 2024 wahrgenommen werden kann.

Kurz durchgerechnet: Um ein Drittel der 42 Millionen Hektar Ackerflächen, also 14 Mio. Hektar, zu kontrollieren, sind zumindest 1400 der oben genannten Pachtverträge notwendig. In der Praxis wären das wohl sehr viele mehr: Ein Vorgang, der zweifellos einen entsprechenden medialen Aufschrei und weitere politische Maßnahmen zur Eindämmung verursacht hätte.

Die Geschichte von den 17 Millionen, die US-Firmen gehören, klingt wie Fake News, die von der wichtigen Tatsache ablenkt, dass US-amerikanische und europäische Firmen und Investmentfonds erhebliche Interessen an ukrainischem Land und ukrainischer Landwirtschaft haben.

Frédéric Mousseau, August 2022

Fazit

Nach aktueller Rechtslage ist es gar nicht möglich, dass US-amerikanische Konzerne in den letzten beiden Jahren große Teile der ukrainischen Agrarflächen gekauft haben. Auch der Umweg über Firmenbeteiligungen ist im Gesetz explizit ausgeschlossen. In den Geschäftsberichten von Cargill, DuPunt und Bayer scheint nichts darüber auf, ebenso wenig in der Datenbank landmatrix.org.

Auch Frédéric Mousseau vom Oakland Institute nennt die jüngsten Behauptungen falsch. „Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der Präsident eine nennenswerte Menge Land verkaufen könnte.“ Das ukrainische Recht verbietet solche Verkäufe, und selbst wenn sie erlaubt wären, würden die genannten Unternehmen keine großen Landflächen kaufen. „Es besteht kein Zweifel, dass Cargill, Dupont und Monsanto große Geschäftsinteressen in der Ukraine haben, aber nicht durch ihre direkte Kontrolle über das Land.“ Diese Aussage steht zwar im direkten Widerspruch zu jener von 2014, aber geschenkt.

Quellen:
https://zakon.rada.gov.ua/laws/show/2768-14#Text (Das ukrainische Bodengesetz von 2002)
https://zakon.rada.gov.ua/laws/show/552-IX#Text (Die Novellierung des Bodengesetzes von 2020)
https://www.zeit.de/wirtschaft/2015-03/ukraine-landwirtschaft-schwarzerde-monsanto/komplettansicht
https://www.oaklandinstitute.org/corporate-takeover-ukrainian-agriculture
https://www.oaklandinstitute.org/walking-west-side-world-bank-and-imf-ukraine-conflict
https://www.mondaq.com/land-law-agriculture/206580/starting-agricultural-production-in-ukraine
https://www.ulf.com.ua/en/company/history/ (Firmengeschichte von UkrLandFarming)
https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/cargill-withdraws-among-ukrlandfarmings-shareholders.html
https://www.farmlandgrab.org/post/view/21068-ukraine-may-dole-out-huge-tracts-of-unused-farmland (durch Kyiv Post geleakte Informationen über Regierungspläne)
https://kiis.com.ua/?lang=eng&cat=reports&id=1051 (Umfrageergebnisse: 84% der Ukrainer:innen sind gegen eine Liberalisierung des Bodenmarktes)
https://dlf.ua/de/wie-koennen-agrarunternehmen-ihre-bewirtschafteten-boeden-in-der-ukraine-kontrollieren/
https://www.aap.com.au/factcheck/not-a-grain-of-truth-in-ukrainian-farmland-claim/
https://perma.cc/WQS7-EFP2 (TikTok-Video mit Falschbehauptungen)

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