In sozialen Medien kursiert ein Kettenbrief, der auf steigende Suizidraten hinweist. Die Behauptung ist jedoch unbewiesen.
Im Grunde ist der Kettenbrief eine gute Sache: Es wird auf die Telefonseelsorge verwiesen. Die Begründung für den Kettenbrief bezüglich gesteigerten Suizidraten ist jedoch ein gern verwendetes Argument von Lockdown-Gegnern und hat keine statistische Grundlage.
Update 06. September 2021
Wir haben eine aktualisierte Version dieses Artikels veröffentlicht: „Kettenbrief: „Selbstmordzahlen sind gestiegen“ – Es gibt immer noch keine aktuellen Zahlen!“
Um diesen Kettenbrief handelt es sich:
Der Kettenbrief im Wortlaut:
Die Selbstmordzahlen sind gestiegen. Wir versuchen zu zeigen, dass immer jemand zuhört.
Rufen Sie 0800-1110111 an (Hotline-Telefonseelsorge).
Könnten 2 Follower diesen Tweet bitte kopieren und erneut posten. Nur zwei. Egal welche zwei. Kopieren, nicht retweeten.
#NotAlone
Der Ursprung des Kettenbriefs
Im englischen Sprachraum tauchte der Kettenbrief einen Tag vorher auf, zusätzlich noch mit der Behauptung, dass die Suizidraten um 200 Prozent gestiegen seien.
Die Suizidraten
Deutschland
Wie das Ärzteblatt (siehe HIER) im Oktober berichtete, ist eher das Gegenteil der Fall: Es gibt weniger Selbsttötungen.
„In den Monaten Januar bis Juli 2020 gab es in Frankfurt im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen Rückgang der absoluten Zahl der Suizide um 30 Prozent“, heißt es in einem Bericht des „Frankfurter Projekt zur Prävention von Suiziden mittels Evidenz-basierter Maßnahmen“ (FraPPE).
Die Zahlen sind allerdings noch mit Vorsicht zu geniessen! Zum Einen handelt es sich nur um die Zahlen aus Frankfurt am Main, die man nicht einfach bundesweit umrechnen kann, zum anderen müssen die Zahlen vorläufig mit einer Dunkelziffer von 10 Prozent ergänzt werden.
In Berlin wiederrum verzeichnete die Feuerwehr einen Anstieg bei den Einsätzen unter dem Stichwort „Beinahe Strangulierung/ Erhängen, jetzt wach mit Atembeschwerden“, wie die Berliner Zeitung berichtet (siehe HIER).
Bundesweite Zahlen zur Suizidrate gibt es noch gar nicht.
USA
Bereits im Mai kursierte in den USA die Behauptung, dass die Suizidraten steigen würden, damals verbreitet von Tim Murtaugh, dem Kommunikationsdirektor für die Wiederwahlkampagne von Präsident Donald Trump während eines Interviews am 26. Mai im Newsradio WRVA in Richmond, wie PolitiFact (siehe HIER) berichtete.
Das CDC führt nationale Suizidstatistiken, ein langwieriger Prozess, der eine Überprüfung der gemeldeten selbstverschuldeten Todesfälle erfordert. Die neuesten Daten stammen aus dem Jahr 2018 (siehe HIER). Daten für 2020 sidn frühestens 2022 zu erwarten.
Aktuelle Statistiken über die Suizidraten in den USA gibt es also noch gar nicht.
UK
Und woher stammen die 200 Prozent?
Ganz aus der Luft gegriffen ist die Zahl nicht, zumindest nicht für Großbritannien, jedoch wird sie mißinterpretiert.
Wie itv im Mai berichtete (siehe HIER), stieg die Anzahl der Anrufe bei einer Seelsorge-Hotline seit Beginn des Lockdowns um 200 Prozent. Dies bedeutet jedoch nicht gleichzeitig, dass auch die Zahl der Selbsttötungen um 200 Prozent stiegen.
Fazit
Ein Hinweis auf die Telefonseelsorge ist wichtig und richtig, denn ein Anstieg an Depressionen ist tatsächlich zu erwarten. Die Behauptung jedoch, dass die Suizidraten gestiegen seien, entbehren jedoch derzeit den statistischen Grundlagen.
Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.
2) Einzelne Beiträge entstanden durch den Einsatz von maschineller Hilfe und wurde vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)