MIMIKAMA

Was ist passiert?

“SWIKED” eine Userin auf der Plattform Tumblr postete ein Bild ihres neuen Kleides. Sie bat um Mithilfe, denn sie fragte:

“Leute, helft mir! Ist dieses Kleid blau und schwarz oder weiß und gold? Meine Freunde und ich sehen es alle anders und wir flippen fast aus!”

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Es wird auf Facebook wie wahnsinnig geteilt und es wird diskutiert.

Innerhalb nur weniger Stunden wurde “White and Gold” auf Twitter zum Trending Topic und unter dem Hashtag #dressgate werden die irrsten Theorien verbreitet. So heißt es z.B., dass User mit einer negativen Lebenseinstellung eher die Farben Blau und Weiß erkennen.

Adobe selbst hat sich der Sache angenommen und hat dies analysiert!

Auf der Twitter-Seite von Adobe wurde die Farbanalyse veröffentlicht. Laut Adobe ist das Kleid BLAU und SCHWARZ!

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Aber warum genau ist die Wahrnehmung so unterschiedlich?

Wissenschaftlich gesehen handelt es sich hier um eine Art optischer Täuschung und einer Eigenart der Digitalfotografie. Wenn ein Bild überbelichtet wird, verschiebt sich der sogenannte Weißpunkt, also die hellste Stelle im Bild. Wird ein Bild unterbelichtet, verschiebt sich der Schwarzpunkt, die dunkelste Stelle im Bild.

Das Kleid selbst auf diesem Bild wäre auf einer normalen Aufnahme unterbelichtet, was am hellen Hintergrund bzw. am Gegenlicht, das diesen verursacht, liegt. Die Kamera hat entsprechend versucht, dies auszugleichen und die Belichtung so eingestellt, dass das Kleid „normal“ erscheint, der Hintergrund aber zu hell ist.

Dadurch kann der Eindruck eines sehr hellen, in gleißendes Sonnenlicht getauchten Hintergrunds entstehen, worauf wir im später noch mal eingehen werden.

So sieht in Adobe Photoshop die sogenannte Tonwertspreizung des unveränderten Bildes aus. Links die dunklen Bereiche, rechts die hellen:

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Versucht man nun, das Bild „künstlich“ weiter überzubelichten, sieht man, dass der „Weiß-Gold-Trend“ sich fortsetzt (Weißpunkt wird verschoben, siehe roter Pfeil).

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Versucht man, die Überbelichtung rückgängig zu machen (Schwarzpunkt wird verschoben, siehe roter Pfeil), bis der Hintergrund, den man rechts am Rand erkennt „normal“ aussieht, sieht man die wirklichen Farben des Kleides:

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Entscheidend ist aber, dass sich durch diese Korrektur im unteren Bild nicht signifikant mehr blau-Anteile ins Bild „einschleichen“, sondern ein Großteil der Veränderung in unserem Gehirn passiert, ohne dass wir es merken!

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Wie geht denn das?

Das Phänomen, das bei der Betrachtung zum Tragen kommt, ist die sogenannte Farbkonstanz. Dieses Prinzip sorgt dafür, dass wir Farben unabhängig vom Licht der Umgebung als immer gleich, immer als konstant wahrnehmen. So erscheint uns eine Zitrone sowohl im Sonnenlicht, im Licht einer Glühbirne und im Licht einer Neonröhre immer gelb (mit nur sehr geringen Abweichungen, die aber nicht ins Gewicht fallen und wir keinen direkten Vergleich haben).

Kleines Beispiel gefällig?

Auf dem folgenden Bild sehen wir die Quadrate A und B unterschiedlich, weil das Gehirn aufgrund der Tatsache, dass es sich um ein Schachbrettmuster handelt, A als dunkel und B als hell identifiziert. Durch den Schatten des grünen Zylinders haben die Felder aber exakt die selbe Grautönung. Das würde aber nicht in das Schachbrettmuster passen, weshalb das Gehirn dieses korrigiert und wir die Felder als unterschiedlich empfinden, damit der „Rest der Welt“ noch stimmt. Auf der rechten Seite des Bildes haben wir ebendiesen „Rest der Welt“ einmal ausgeblendet. Ergebnis: Das Gehirn sieht keine Notwendigkeit mehr, irgendwas irgendwo dran anzupassen, und wir sehen die echte Farbe des Feldes.

illusion_farbkonstanz

Diese Anpassung macht unser Gehirn, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, und normalerweise fällt dies auch überhaupt nicht auf. Erdbeeren sind immer rot, Zitronen immer gelb und Orangen immer orange. Jeder nimmt zwar ein geringfügig anderes Rot, Gelb und Orange wahr, aber es entsteht kein Streit über die „wahre“ Farbe der Zitrone. Jedenfalls gab es im Netz noch nie eine solche Diskussion über Obst… 😉

Anders bei diesem Kleid…

Wenn wir also dieses Kleid sehen, interpretiert das Gehirn auch die Umgebung: Was für ein Licht fällt wohl dort in den Raum, und wie wirkt es sich auf die Farben aus?

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Jetzt kommen wir noch einmal auf die Frage der Belichtung des Bildes zurück, die wir oben erwähnt haben. Es ist nicht viel vom Hintergrund zu sehen, daher denkt sich das Gehirn alle fehlenden Informationen eigenständig dazu. Naheliegend ist die oben schon erwähnte Deutung von gleißendem Sonnenlicht.

Die Gehirne der Leute, die Gold und weiß sehen, interpretieren also ein helles Sonnenlicht mit blauem Himmel dazu. In der (unterbewussten) Schlussfolgerung, dass dann das Kleid einen nur leichten Schatten hat, weil ja alles so hell ist, interpretiert es weiter, dass das Kleid ein leicht bläulich-grau schattiertes Weiß ist und das Gold durch das Gegenlicht etwas verwaschen erscheint. In der „Welt“ der Gehirne dieser Leute stimmt alles. Wäre ja auch plausibel – alles ist gut …oder?

Nicht ganz! Es gibt nämlich auch Gehirne (und wir sprechen hier von Gehirnen, nicht von den Leuten – wie schon erwähnt läuft dies alles unbewusst ab, man hat keinen Einfluss darauf!), die die Szene anders interpretieren: In deren „Welt“ ist der Hintergrund ein warmes Kunstlicht – vielleicht das eines Ladengeschäfts. Das Kleid steht im Halbschatten und erscheint fast ein wenig dunkel. Das wirft buchstäblich ein anderes Licht auf das Kleid, die Szene wird unter ganz anderen Voraussetzungen interpretiert: Das Kleid ist blau und schwarz.

Aber warum gerade ein so krasser Unterschied? Zwei Grautöne sind ja noch verständlich, aber blau zu weiß und schwarz zu Gold?

Generell nehmen Menschen warme Farben besser wahr als kalte. Zudem besitzen wir weniger Rezeptoren für blau auf der Netzhaut (nur ca. 12%, der Rest verteilt sich auf rot und grün), die Augen liefern also wesentlich weniger „Blau-Informationen“, weshalb sich die Wahrnehmung da leicht austricksen lässt: Durch die Helligkeit des Monitors / Smartphones, der Winkel des Displays, Brille / Kontaktlinsen, die momentane Stimmung, quasi fast alles. Ich selbst gehörte beispielsweise zur „Gold-Weiß-Fraktion“, bis ich meine Brille abgenommen hatte. Prompt fehlten Details im Bild (Kurzsichtigkeit), mein Gehirn „dachte um“ und schon sah ich das Kleid in blau und schwarz. Jetzt wechselt es bei mir zwischen beiden Varianten munter hin und her, was sich sehr schräg anfühlt… 😉

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Solche Fehlinterpretationen fallen, wie zuvor erwähnt, bei Blautönen besonders ins Gewicht. Wäre das Kleid z.B. rot gewesen, wäre es relativ egal, was um das Kleid herum passiert.

Es ist schon faszinierend, was das Gehirn mit unserer Bildwahrnehmung macht, ohne dass wir es merken, oder?

Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.
2) Einzelne Beiträge entstanden durch den Einsatz von maschineller Hilfe und wurde vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)