Der Newsstream auf Facebook ist ein ganz tolles Ding. Er zeigt mir immer, wie die Menschen in meinem Umfeld gerade denken.

Was sie meinen, was sie bewegt, was sie von sich geben. Es war Montagabend, als ich (wie so häufig) am Smartphone einfach in der Facebook-App rumscrollte und mir die Schockbekundungen ins Auge fielen: Notre-Dame brennt!

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Ein Kommentar.

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Notre-Dame als wichtiges Kulturerbe und auch Symbol des christlich-westlichen Abendlandes steht in Flammen. In dem Moment war mir bereits klar, dass dieses Narrativ zu maßlosen Übertreibungen und falschen kausalen Zusammenhängen führen wird – was natürlich auch geschehen ist.

Zumindest war sich die Facebooknutzergesellschaft in unseren Breiten recht einig, dass der Brand etwas ganz Schreckliches war. Die Erwähnung, dass es keine Toten und nur drei Verletzte gab, ging häufig unter. „Trauer um Notre-Dame“ liest man an vielen Stellen.

Trauer als Moralfalle

Mein Newsstream auf Facebook ist wirklich wunderbar. Er zeigte mir ganz genau, dass die allgemeine Trauer auf einmal mit einem moralischen Fingerzeig konkurrierte. Das passierte genau in dem Moment, als Geld ins Spiel kam. Viel Geld.

Auf einmal gab es Pressemeldungen über schwerreiche Personen, die viele Millionen Euro für den Wiederaufbau spenden wollen. Genau in dem Moment kippte die Stimmung und die Trauer um ein Gebäude, sofern man um ein Gebäude trauern kann, war nicht mehr ganz so unbefleckt.

Denn in dem Moment, als es auf einmal um viel Geld ging, keimten die Vorwürfe auf. Vorwürfe, die teilweise von harten Frames begleitet wurden. Auf einmal tauchten Bilder von hungernden Kindern, von finanzschwachen Senioren, Schlauchbooten mit Flüchtlingen oder kranken Tieren in meinem Newsstream auf. Wie es nun sein kann, dass für Notre-Dame das Geld fließt, an anderen Stellen jedoch nicht.

Sogar der Post einer St. Pauli Kiezbekannheit schwappte in meinen Newsstream. Darin schreibt er über die Spendenbereitschaft, um gegen die deutsche Regierung zu schimpfen. Interessant, wie weit die Vorwürfe am Ende sogar gehen können.

Ein Kampf der Wertesysteme. Verschiedener Wertesysteme. Und jeder Post trägt ein eigenes Wertesystem vor sich her. Ich mag nicht urteilen, ich mag nicht urteilen. Dennoch ist es schwer, sich der Situation zu entziehen.

Was nun?

Ich habe ähnliches bereits in der Vergangenheit erlebt und halte mich mittlerweile bereits sehr mit Schock- oder Trauerbekundungen auf Facebook zurück. Es gibt immer irgendeine Sichtweise, die konträr zu einem Traueranlass steht. Das stumpft entsprechend ab.

Kann man überhaupt Trauer in irgendeiner Weise objektiv fassen und entsprechend bewerten? Ist die eine Trauer wertloser als eine andere? Ist man ein schlechter Mensch, weil man in einem Moment um etwas trauere, jedoch nicht dabei sagt, dass man auch um etwas anderes gleichzeitig Sorge tragen muss? Ich weiß es letztendlich nicht und möchte das auch definitiv nicht bewerten. Ich ziehe jedoch daraus meine Schlüsse:

Ich trauere nicht öffentlich auf Social Media.
Ich bewerte nicht öffentlich das Trauerverhalten anderer auf Social Media.

Aber ich beobachte beides. Ich beobachte, um zu verstehen. Um zu lernen.

Überdies

Die Frage nach dem Wiederaufbau von Notre-Dame hat sich zu einer Frage nach den Wertevorstellungen einer Gesellschaft entwickelt. Das lese ich sehr intensiv auf meinem Facebook Newsstream.

Viel tut sich, viel ist in Bewegung. Mein Newsstream schweigt nicht. Im Gegenteil, er spricht. Er schreit. Er sucht nach Antworten. Er stellt Fragen. Der Brand in einer Kathedrale ist zu einer Frage nach dem ethisch moralischen Wertesystem geworden.

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