Die Behauptung

Liefern wir Gas nach Polen, weil unsere Gasspeicher bereits zu 100% gefüllt sind? Oder sind deutsche Gasspeicher nun leer, und die polnischen Gasspeicher durch Deutschland gefüllt, wie es in zahlreichen widersprüchlichen Varianten immer wieder geteilt wird?

Unser Fazit

Ja, es fließt Gas von Deutschland aus ins Ausland, aber weder die deutschen Gasspeicher sind voll, noch die in Polen. Die Gerüchte sind falsch. Gas fließt in einem komplexen Gasnetz durch Europa, und es existieren vertragliche Beziehungen mit unseren europäischen Nachbarn, welche Deutschland nicht einfach brechen und deren Gas einbehalten könnte.

Verwirrend widersprüchliche Behauptungen? Oder sind es Fakenews? Die Erklärung, warum auch von Deutschland aus Gas ins Ausland fließt, ist recht einfach.

Deutschland ist nur Zwischenstation und kein Erdgas-Exporteur

Auf Social Media-Plattformen werden unterschiedliche Behauptungen über den Füllstand der Gasspeicher geteilt. Angeblich seien entweder die deutschen Speicher zu 100 % voll, oder nahezu leer, weil wir Gas nach Polen liefern würden.

Screenshot Facebook
Screenshot Facebook

„Sowas wird natürlich nicht in der Tagesshow gebracht:
Polnische Gasspeicher zu 100 Prozent voll…
…mit Gas aus der BRD. Während die Gaspreise in der BRD aus Mangel an verfügbarem Gas explodieren, wird es aus der BRD nach Polen exportiert. Zudem soll Putin angeboten haben, die durch Sanktionen gedrosselte Nord Stream 1 vertraglich zugesagte Gasliefermenge über die Nord Stream 2 auszugleichen. Was allerdings abgelehnt worden sei.“

Text des geteilten SharePics

Die Fakten

Um zu verstehen, wie das Gas verteilt wird, muss man das Gasnetz in Europa näher betrachten, denn dieses ähnelt dem Stromnetz. Ebenso wie die Hochspannungsleitungen und Umspannwerke des Stromnetzes gibt es ein weit vernetztes Gasnetz mit über einen Meter dicken Pipelines. Diese erstrecken sich von den Fördergebieten tief in Russlands bis zur iberischen Halbinsel und liefern auch Gas Skandinavien bis nach Italien, mit einem 225.000 Kilometer langen Röhrenlabyrinth.

Quelle: bdew.de
Quelle: bdew.de

In diesen Rohren wird das Gas mit einem Druck von bis zu 200 bar, 100-mal höher als in einem Autoreifen, transportiert. Im Abstand von 80 bis 160 Kilometern halten Verdichterstationen den Druck aufrecht. Das deutsche Gasnetz beinhaltet 47 Gasspeicher und hat das größte Erdgasspeichervolumen in der Europäischen Union.

Hier lässt sich der Füllgrad der Speicher nachlesen: Gas Infrastructure Europe

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Deutschland ist für ausländisches Gas eine Zwischenstation. Gas, welches in Deutschland über die Pipelines ankommt, wird in deutschen Speichern zwischengespeichert und fließt in Teilen weiter an andere EU Länder. Das vor allem aus Russland oder Norwegen kommende Gas zählt als Gasimport. Wird das Gas weitergeleitet, zählt es als Export.

Fast 35 Prozent des ins Deutschland geflossene Gasnetz, wird weiter an den europäischen Börsen ans Ausland verkauft. Das sind knapp 500 Terawattstunden Erdgas. Deutschland, hat eine Speicherkapazität von 160.000 Terawattstunden Erdgas, Polen nur von 35.000.

Innerhalb der EU gibt es einen freien Markt mit komplexen langfristigen Vertragsbeziehungen. Über eben diese Weiterleitungen kommt auch Polen an russisches Erdgas, obwohl Polen bei der Gaslieferung von Russland boykottiert wird.

Fazit

Würde Deutschland Verträge einseitig brechen, und das Gas einbehalten, wäre tatsächlich ein Drittel mehr Gas zum Füllen der nur halbvoll mit eigenem Gas gefüllten deutschen Gasspeicher vorhanden. Ein solcher Vertragsbruch, wo Deutschland das Gas anderer Länder einbehält, ist innerhalb der EU nicht umsetzbar. Auch unsere Nachbarländer sind abhängig von Gaslieferungen. Die weltweiten Lieferketten, wovon auch wir abhängen, kämen zum Stehen.

Das Fakefoto zeigt im Übrigen das Hamburger Klärwerk Köhlbrandhöft und keine Erdgasspeicher. In den zehn eiförmigen Faulbehältern faulen die Klärschlämme aus, um Faulgas zu gewinnen.


Update: 29.07.2022 Michael Tabel

Polen bezieht sein Gas nicht hauptsächlich aus Deutschland

Über die Hälfte seines Erdgases bezog Polen bisher aus Russland. Nur ein Fünftel kam aus Deutschland. Das polnische Klima- und Umweltministerium erklärte, dass das Gas in den polnischen Speichern aus unterschiedlichen Quellen stammt. Polen produziert knapp vier Milliarden Kubikmeter eigenes Erdgas. Ein Großteil des polnischen Gases komme aus dem polnischen Terminal für Flüssiggas (LNG) Swinemünde östlich der Insel Usedom. Dort erhält Polen Lieferungen aus Katar, den USA und vom internationalen Markt, auf dem Gas ersteigert wird.

Die Hälfte der französischen Atomkraftwerke, 28 der 56 Reaktoren, mussten aus Sicherheitsgründen vom Netz genommen werden. Momentan ist Frankreich ein Stromimporteur. Zugleich verstromt Deutschland Erdgas, obwohl es Erdgas einsparen möchte. Die Ukraine bietet der EU Ihren Atomstrom zur Lieferung ins europäische Stromnetz an, da dort die wirtschaftliche Produktion wegen des Kriegs nahezu brach liegt und dieser Stromüberschuss dort momentan nicht benötigt wird. Die Ukraine ist seit dem Frühjahr an das europäische Stromnetz angeschlossen. Schon jetzt leitet die Ukraine Strom nach Polen und Moldau. Wenn es bei der jetzigen Menge des gelieferten Gas bleibt, halten Experten einen Füllstand von 90% möglich.

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Quelle: Spiegel, Abendblatt, NTV, RND, Tagesschau
Artikelbild: Screenshot Facebook

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