Die Behauptung

„Höchste Übersterblichkeit seit 75 Jahren“
„Je höher die Impfquote, desto höher die Übersterblichkeit“
„mRNA-Impfstoffe schädigen das Immunsystem“

Unser Fazit

Die Behauptung „Coronaimpfung verursacht Übersterblichkeit“ kann nicht belegt werden. Die Zahlen deuten auf das genaue Gegenteil hin. mRNA-Impfstoffe schädigen auch nicht das Immunsystem. Diese Behauptungen sind FALSCH.

Übersterblichkeit und die Zahlen vom britischen Statistikamt

Auf der Seite einer „Bürgerinitiative für eine ganzheitliche und humanere Medizin“ findet sich noch immer ein Flugblatt mit gefährlichen Falschaussagen zu Coronaimpfungen. Der sogenannte „Gesundheitskurier“ warnt auf der Rückseite davor, dass eine Impfung nicht vor schweren Verläufen schützen soll und beruft sich dabei auf eine alte Studie des Robert Koch-Instituts vom 4.11.2021. Das hat schon damals nicht gestimmt und entspricht auch nicht den aktuellen Positionen des RKI zur Wirksamkeit der Impfungen.

Der sogenannte "Gesundheitskurier" warnt auf der Rückseite davor, dass eine Impfung nicht vor schweren Verläufen schützen soll
Der sogenannte „Gesundheitskurier“ mit den Behauptungen zu Übersterblichkeit und Unwirksamkeit der Impfungen

Auf der Vorderseite des Flugblattes, das von einer einschlägig bekannten Ärztin aus Szene der Maßnahmenkritiker stammt, werden noch viele weitere unbelegte und gefährliche Behauptungen aufgestellt. Die Schlagzeile lautet: „Höchste Übersterblichkeit seit 75 Jahren“. Als Beweis dient eine Grafik mit Zahlen vom britischen Office for National Statistics vom November 2021. Diese Grafik suggeriert, dass Sommer bis Herbst 2021 etwa doppelt so viele zweifach-geimpfte Menschen im Alter von 10-59 Jahren gestorben wären als Ungeimpfte (bezogen auf jeweils 100.000 Menschen).

Diese Zahlen haben auf uns sehr unrealistisch gewirkt, deshalb haben wir sie bis zu der Datenquelle zurückverfolgt, von der sie entlehnt wurden: „Deaths involving COVID-19 by vaccination status, England: deaths occurring between 1 January and 31 October 2021“. Die verfügbaren Daten wurden sehr detailliert aufbereitet und nehmen auch Bezug auf den generellen Gesundheitszustand. Tabelle 1 listet die konkreten Zahlen auf: etwa 28-mal so viel Ungeimpfte sind im Beobachtungszeitraum an Covid gestorben als zweifach-geimpfte Menschen.

Übersterblichkeit: Tabelle 1 listet die absoluten Zahlen auf: etwa 28-mal so viel Ungeimpfte sind im Beobachtungszeitraum an Covid gestorben als zweifach-geimpfte Menschen.
Tabelle 1 aus der Studie des britischen Office for National Statistics vom November 2021

Kapitel 4 schlüsselt die Zahlen für an Covid Verstorbene weiter auf und hält fest: „Die monatliche altersstandardisierte Sterblichkeitsrate (ASMR) für Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 ist bei Personen, die die zweite Dosis vor mindestens 21 Tagen erhalten haben, durchweg niedriger als bei ungeimpften Personen“. Das zeigt sich auch in den einzelnen Alterskohorten.

"Die monatliche altersstandardisierte Sterblichkeitsrate (ASMR) für Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 ist bei Personen, die die zweite Dosis vor mindestens 21 Tagen erhalten haben, durchweg niedriger als bei ungeimpften Personen"
Bild 4: monatliche altersstandardisierte Sterblichkeitsrate (ASMR), Jänner bis Oktober 2021

Nur einen statistischen Ausreißer (siehe Bild 4) gibt es, dem die Studie noch weiter auf den Grund gegangen ist: während drei Sommermonaten lag die Sterblichkeitsrate der doppelt Geimpften bei der Kohorte der 18- bis 39-Jährigen höher als bei den Ungeimpften. Genau dieses kleine Detail hat der „Gesundheitskurier“ herausgegriffen. Allerdings ohne die Erklärung, die das Office for National Statistics gleich mitliefert: Die Zahlen lassen sich „wahrscheinlich dadurch erklären, dass klinisch gefährdete Personen vorrangig geimpft werden“ und verringert sich, „wenn Unterschiede im Gesundheitszustand berücksichtigt werden“.

MIMIKAMA

Übrigens warnen einige deutsche Gemeinden und Regionalmedien vor dem „Gesundheitskurier“ [1, 2, 3].

Wie ist es mit der Übersterblichkeit in Deutschland?

Hier gibt es auch keine positive Korrelation zwischen Impfquote und Übersterblichkeit, im Gegenteil. Letzten November schlug ein Positionspapier in den Sozialen Medien hohe Wellen, das behauptete: „Je höher die Impfquote, desto höher die Übersterblichkeit“. Ja, ein Positionspapier und keine Studie, wie es meistens fälschlich genannt wurde. Auch Hans-Georg Maaßen trug wesentlich zur Verbreitung der Falschbehauptungen bei, in dem er das Paper auf Twitter teilte:

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Der Text stammt von zwei Psychologen, die öffentlich einsehbare Zahlen des Robert Koch-Instituts und des Statistischen Bundesamtes (Destatis) als Basis für eigene statistische Berechnungen verwendeten. Ihre Erkenntnisse fassen Rolf Steyer und Gregor Kappler so zusammen:

Die Korrelation zwischen der Übersterblichkeit in den Bundesländern und deren Impfquote bei Gewichtung mit der relativen Einwohnerzahl des Bundeslands beträgt .31. Diese Zahl ist erstaunlich hoch und wäre negativ zu erwarten, wenn die Impfung die Sterblichkeit verringern würde. Für den betrachteten Zeitraum (KW 36 bis KW 40, 2021) gilt also: Je höher die Impfquote, desto höher die Übersterblichkeit. Angesichts der anstehenden politischen Maßnahmen zur angestrebten Eindämmung des Virus ist diese Zahl beunruhigend und erklärungsbedürftig, wenn man weitere politische Maßnahmen ergreifen will, mit dem Ziel, die Impfquote zu erhöhen.

Auszug aus „Je höher die Impfquote, desto höher die Übersterblichkeit“ von Prof. Dr. Rolf Steyer und Dr. Gregor Kappler, 16. November 2021. Hervorhebung durch Mimikama

Die beiden Autoren sehen die obige Aussage allerdings nur als wahrscheinlichste Erklärung für die Zahlen, wie sie ganz am Ende ihres Textes festhalten: „Weitere Erklärungsansätze sind keineswegs ausgeschlossen“. Das Statistische Bundesamt kann die Interpretation des Papiers nicht bestätigen. „Das ist keine seriöse Auswertung, mit der man an die Öffentlichkeit geht.“ Nachgerechnet kommt man gar nicht auf die behauptete Korrelation. Und Korrelation bedeutet nicht Kausalität. Wichtige Faktoren wurden ausgeblendet.

Dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen Impfquote und Übersterblichkeit gibt, kann man schon aus der Grafik ersehen, die die Forscher erstellt haben.

Felix zur Nieden, Experte für Demografie und Sterbefallzahlen beim Statistischen Bundesamt

Die Autoren rechtfertigten sich im Nachhinein damit, dass das Paper nur für die Abgeordnete Ute Bergner und eine Aktuelle Stunde des Thüringer Landtags bestimmt gewesen sei: „Die Verbreitung und Weitergabe der Notiz im Internet und den sozialen Medien haben wir nicht autorisiert oder sie gar veranlasst. Zur Klarstellung: Es handelt sich bei der Notiz weder um eine wissenschaftliche Publikation noch um eine fundierte wissenschaftliche Studie, die unseren eigenen Qualitätsstandards genügt.“

Ute Bergner präsentierte die Erkenntnisse aus dem Text am 17. November 2021 im Landtag so: Sie habe während der Pandemie zwei Theorien wahrgenommen: „Theorie eins: Impfen reduziert die Sterbewahrscheinlichkeit. Theorie zwei: Die Nebenwirkungen der Impfung führen zu erhöhten Todeszahlen.“ Seit sechs Wochen würde man eine zehnprozentige Übersterblichkeit feststellen. Sie wollte deshalb wissen, welche der beiden Theorien wahrscheinlicher sei und habe zwei Statistiker beauftragt, die veröffentlichten Zahlen zu analysieren. Das Ergebnis laut Bergner: Mit steigender Impfquote steige die Übersterblichkeit.

Drei Ökonomen der EAH Jena, alle drei Experten „Anwendung von quantitativen Methoden und Methoden der Data Science“, haben sich auch mit den veröffentlichen Zahlen beschäftigt. Sie kommen allerdings zu einem komplett anderen Schluss: „Die Untersuchung legt nahe, dass die Übersterblichkeit zumindest teilweise durch COVID-19 Fälle zu erklären ist und dass durch Impfungen Infektionen verhindert oder ein milderer Verlauf bewirkt wurde.“

Statistik Übersterblichkeit im Zusammenhang mit der Covid19 Impfquote. Prof. Thomas Wöhner, EAH Jena
Statistik Übersterblichkeit im Zusammenhang mit der Covid19 Impfquote. Prof. Thomas Wöhner, EAH Jena

Schädigen Covid-Impfstoffe das Immunsystem? Nein!

Dr. Janos Hegedüs setzt sich in seiner YouTube-Sprechstunde mit einem Video auseinander, das auch vielfach geteilt wurde. Es ging dabei um eine Fehlinterpretation der oft zitierten Lancet-Studie, mit „sensationellen, dramatischen und erschreckenden Studienergebnissen“: mRNA-Impfstoffe sollen laut Volker Schmiedel das Immunsystem schädigen. Hegedüs: „Das ist Quatsch. Es gibt keine Indizien dafür.“

In der Studie wurden Nebenwirkungen von Vektor- und mRNA-Impfstoffen verglichen. Dabei wurde entdeckt, dass sich die untersuchten Vektor-Impfstoffe sich manchmal positiv auf die Immunantwort gegen andere Infektionskrankheiten auswirken können. Bei den mRNA-Impfstoffen wurden keine solchen überraschenden, völlig ungeplanten, aber positiven Nebenwirkungen festgestellt. Im Umkehrschluss liegt der Denkfehler von Schmiedel: Nur weil die mRNA-Impfstoffe diesen Nebeneffekt nicht haben, sind sie noch lange nicht schädlich für das Immunsystem.

Am Ende des Videos macht Dr. Hegedüs noch einmal klar: „Die zitierten Studien waren in der ganzen Covid-Zeit extrem selten das Problem. Die Interpretation scheint nicht zu klappen, das ist das Problem. Das Problem fängt schon mit solchen Überschriften ‚Erhöhen mRNA-Impfstoffe die Sterblichkeit‘ an.“ Diese Aussage ist eben nicht aus der Lancet-Studie abzuleiten.

YouTube

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Sprechstunde mit Dr. Hegedüs – RE: Lancet – Erhöhen mRNA-Impfstoffe die Gesamtsterblichkeit?

Fazit

Die Behauptung „Coronaimpfung verursacht Übersterblichkeit“ kann nicht belegt werden. Die Zahlen aus Großbritannien und Deutschland deuten auf das genaue Gegenteil hin. Natürlich kann es punktuelle, statistische Ausreißer geben, aber ein Cherrypicking ändert nichts an der generellen Einschätzung: Die Covid-Impfstoffe schaden nicht, sondern sie schützen vor schwerer Erkrankung und Tod.

Mehr zum Thema: Nein, diese Ärzte starben nicht kurz nach einer Covid-Impfung


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