Randolph High: Woge der Transfeindlichkeit wegen Vorfall in Mädchenumkleidekabine

Der Vorfall an einer US-amerikanischen Provinzschule wird auch im deutschsprachigen Netz diskutiert und transfeindlich ausgeschlachtet

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Autor: Walter Feichtinger

Ein zwei-minütiges Video eines US-amerikanischen Regionalfernsehsenders von Ende September 2022 lässt die Wogen auch in deutschsprachigen, transfeindlichen Kreisen hochgehen: Nach Vorfällen in einer Mädchenumkleidekabine des Volleyballteams hatte die Randolph Union High School in Vermont die Umkleidekabine vorübergehend sperren lassen.

MIMIKAMA
Ein Beispiel dafür, wie die Geschehnisse in Randolph geframed werden.

Der Regionalsender WCAX gab einem minderjährigen Transmädchen die Schuld für die Vorfälle. Im Interview kommt dieses allerdings nicht zu Wort, sondern nur die Gegenseite in der Person einer Teamkollegin:

„Das ist eine große Sache. Alle fragen: ‚Warum darfst du nicht in die Umkleidekabine?'“, sagte Blake Allen. Sie wird zusammen mit ihren Mannschaftskameradinnen derzeit nicht in die Umkleidekabine eingelassen, nachdem sich einige der Mädchen im Team dagegen ausgesprochen hatten, dass eine Transgender-Spielerin in die Mädchenumkleidekabine darf. „Meine Mutter möchte, dass ich dieses Interview gebe, um zu versuchen, etwas zu ändern“, sagte Allen. „Ich habe das Gefühl, dass ich nicht wegen Belästigung oder Mobbing angeklagt werden sollte, nur weil ich meine Meinung gesagt habe – dass ich nicht will, dass ein biologischer Mann sich mit mir umzieht. Man sollte alle Klagen einstellen.“

Teamkollegin des Transmädchens im Interview mit WCAX.

Ein „Einzelfall“ in einer amerikanischen Kleinstadt, warum sollte uns das interessieren? Weil der Vorfall in den USA zu weitreichenden identitätspolitischen Debatten führte. Und weil das Thema auch von transfeindlichen Kreisen im deutschsprachigen Raum aufgegriffen und aufgeblasen wird.

Was ist an der Randolph High passiert?

Aus Sicht der Mutter des Transmädchens stellen sich die Geschehnisse ganz anders dar: Seit dem Umzug nach Randolph wäre ihre Tochter nicht mehr mit dieser „offener Negativität in Bezug auf ihr Transgender-Dasein konfrontiert worden“. Bis zum Vorfall hätte sie sich „nie unwillkommen gefühlt oder als würde sie nicht dazugehören“. Das Mädchen hatte sich auch ohne Probleme im selben Raum wie ihre Mannschaftskameradinnen umziehen können. Aber etwa Mitte September hatte sie ihrer Mutter erzählt, dass sie beim Umziehen von den anderen Spielerinnen belästigt worden wäre.

Drei andere Mädchen hatten sie angeschrien, sie solle hinausgehen und aufhören, sie anzuschauen. Daraufhin hatte sie sich in einer Toilettenkabine umgezogen. Die Trainerin der Volleyballmannschaft hatte den Vorfall mitgehört und meldete ihn später der Schulverwaltung. Zwei Tage später rief jemand von der Verwaltung die Mutter an: Drei Personen hatten berichtet, dass ihre Tochter schikaniert und belästigt worden sei. Die Schule würde deshalb eine Untersuchung einleiten. Bis zum Ende der Ermittlungen dürfe sich niemand unbeaufsichtigt in der Umkleidekabine aufhalten.

Ein Medienbericht und seine transfeindlichen Auswirkungen

Eine Woche später strahlte der Regionalsender WCAX eine kurze Reportage samt Interview mit einer Teamkollegin aus. Ein Artikel mit mehr Hintergrundinformationen folgte am nächsten Tag. Das problematische dabei: Nur die transfeindliche Seite bekam eine Möglichkeit zur Stellungnahme. Das Transmädchen wurde als Täterin geframet und die Schulverwaltung zur Mittäterin erklärt:

Andere Teammitglieder und Eltern hätten ähnliche Bedenken geäußert und sich mit diesen an die Schule gewandt. Ihnen wurde per Email gesagt, dass die Transgender-Schüler nach staatlichem Recht die Umkleidekabine benutzen können, mit der sie sich identifizieren. Die Schule würde über viel Platz verfügen, wo sich Schülerinnen, die sich mit den Gesetzen unwohl fühlen, in der Privatsphäre umziehen können.

Sie wollen, dass sich alle Mädchen, die sich unwohl fühlen – also ziemlich genau 10 Mädchen – in einer einzigen Kabine umziehen, was über 30 Minuten dauern würde. Wenn sich eine Person separat umziehen würde, würde es nur eine Minute dauern, also keine zusätzliche Zeit.

Teamkollegin im Interview

Die Wochenzeitung Seven Days skizziert eine Chronologie des aufziehenden Shitstorms: Während Schulverwaltung und Lehrpersonal sehr einfühlsam mit dem Vorfall umgingen, explodierten negative Nachrichten und direkte Angriffe auf Facebook. Das war auch der Moment als große, rechte Medienkanäle auf die Geschichte aufmerksam wurden und den Konflikt weiter anheizten. So berichtete z. B. Fox News, dass den Volleyballspielern die Benutzung der Umkleidekabine untersagt wurde, „nachdem sich einige Mitglieder gegen einen biologischen Mann ausgesprochen hatten, der sich mit ihnen umziehen wollte“.

Der Polizeichef einer Nachbargemeinde schrieb einen Kommentar, der auf der rechtsgerichteten Newsseite Vermont Daily Chronicle veröffentlicht wurde. Er behauptete, dass es einen Verstoß gegen das Gesetz von Vermont gegen Voyeurismus darstellt, wenn ein männlicher Schüler einer Schülerin beim Wechseln ihres BHs oder ihrer Unterwäsche in einer Frauenumkleidekabine oder in einer Toilette zusieht. Ein Twitter-Kommentar der Transathletin Caitlin Jenner goss weiter Öl ins Feuer, ebenso wie der Facebook-Kommentar eines evangelikalen Hasspredigers mit 10 Millionen Followern.

Wenig überraschend verschlimmerte sich die Situation an der Randolph Highschool weiter: Am folgenden Montag wurde die Mutter angerufen, um ihre Tochter in der Mitte des Tages von der Schule abzuholen, weil sie in der Kantine und auf den Fluren als „pervers“ und „Freak“ beschimpft worden war. Sie sagte, ihre Tochter sei hin- und hergerissen, denn wenn sie nicht zur Schule gehe, habe sie das Gefühl, andere Transgender- und Queer-Schüler im Stich zu lassen – aber sie wisse auch, dass sie sich um sich selbst kümmern müsse. Die Bezirks-Website musste schließlich vom Netz genommen, als sie gehackt und mit Anti-Trans-Slogans versehen wurde. Mitarbeiter der Schule berichteten von Hassmails und Morddrohungen.

Koordinierter Hass

LGBTQ+-Jugendliche in Vermont „erleben täglich Gewalt und ständige Bedrohung“, erklärte Dana Kaplan in einem Interview mit der Newsseite VTDigger. Kaplan ist Geschäftsführerin von Outright Vermont, einer Organisation, die sich für LGBTQ+ einsetzt und Ressourcen für queere und transsexuelle Schüler und Familien im ganzen Land bereitstellt. Sie wies auf „die Belastung hin, der Menschen am Rande der Gesellschaft in einem Klima ausgesetzt sind, in dem viel koordinierter Hass stattfindet“. Wenn eine lokale Geschichte nationale Aufmerksamkeit erregt, gibt es „Netzwerke von Hassgruppen, die bereit sind, sich einzuschalten und Feindseligkeit und Unbehagen zu erzeugen“, so Kaplan.

Transgender- und nicht-binäre Jugendliche in den USA leiden unter extrem hohen Raten von Selbstmord und Mobbing, und das Risiko für die psychische Gesundheit ist bei farbigen Transgender- und nicht-binären Jugendlichen höher. 64 % der LGBTQ+-Personen sind online Hass und Belästigung ausgesetzt. „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Schulbezirke und die Schulleitung allen ihren Schülern gerecht werden, damit jeder Zugang zu einer sicheren und positiven Bildung hat“, sagte Kaplan.

Rechtslage in Vermont

Die Rechtslage ist eigentlich sehr klar: Niemand darf aufgrund von „Race, Glaube, Hautfarbe, nationaler Herkunft, Familienstand, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität“ diskriminiert werden (9 V.S. A. § 4502). Im Kontext von Bildungseinrichtungen wird das weiter präzisiert:

Es ist die Politik des Staates Vermont, dass alle Bildungseinrichtungen in Vermont ein sicheres, geordnetes, ziviles und positives Lernumfeld bieten. Belästigung, Schikane und Mobbing haben in den Schulen von Vermont keinen Platz und werden nicht toleriert. Kein Schüler aus Vermont sollte sich bedroht fühlen oder diskriminiert werden, während er in einer Schule in Vermont eingeschrieben ist.

Statuten von Vermont: 16 V.S.A. § 570

Die staatliche Bildungsagentur hatte auf Basis dieser Gesetze 2017 eine Mitteilung herausgegeben, die „Best Practices für Schulen in Bezug auf Transgender und geschlechtlich nicht-konforme Schüler“ festhält. Im Abschnitt „Zugänglichkeit von Toiletten und Umkleideräumen“ heißt es:

Bei der Benutzung von Toiletten und Umkleideräumen durch Transgender-Schüler müssen die Schulen zahlreiche Faktoren berücksichtigen, unter anderem: die Präferenz des Transgender-Schülers, den Schutz der Privatsphäre des Schülers, die Maximierung der sozialen Integration des Transgender-Schülers, die Minimierung der Stigmatisierung des Schülers, die Gewährleistung gleicher Teilnahmemöglichkeiten, das Alter des Schülers und den Schutz der Sicherheit der beteiligten Schüler.

Von einem Transgender-Schüler sollte nicht verlangt werden, eine Umkleidekabine oder eine Toilette zu benutzen, die mit seiner Geschlechtsidentität nicht übereinstimmt.

Die Schulen können in Erwägung ziehen, geschlechtsneutrale Toiletten in die Planung von Neubauten und/oder Gebäuderenovierungen einzubeziehen.

Auszug aus „Continuing Best Practices for Schools Regarding Transgender and Gender Nonconforming Students“, Vermont Agency of Education

Politische Intervention

NBC5-Bericht: Randolph Union High School löst landesweite Kontroverse über Entscheidung zu Transgender-Schülerin aus

Nach den Morddrohungen sah sich der republikanische Gouverneur von Vermont Phil Scott zu einem Statement zu veranlasst: Alle sollten sich erst einmal beruhigen und den Fall besonnen, freundlich und empathisch besprechen. Die American Civil Liberties Union (ACLU) veröffentlichte folgenden Kommentar:

Dieser Vorfall sollte daran erinnern, dass alle Schulen rechtlich und moralisch verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass jeder Schüler sicher ist, unterstützt wird und voll in das schulische Umfeld einbezogen wird. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, zu reagieren, wenn transsexuelle Jugendliche verletzt werden, um ihnen zu versichern, dass ihre Rechte, ihre Würde und ihre Menschlichkeit nicht zur Debatte stehen.

Statement der ACLU Vermont zum Vorfall in Randolph

Die Rezeption in Deutschland?

In den Vereinigten Staaten griffen hauptsächlich fundamental-christliche, konservative bis rechtsextreme Kreise den Vorfall in Randolph auf. Und im deutschsprachigen Raum? Auf Twitter diskutieren den Fall hauptsächlich Feministinnen mit transfeindlicher Einstellung. Transpersonen werden dabei ihre Rechte und Bedürfnisse abgesprochen, wenn aufgerechnet wird, dass diese ja nur eine Minderheit von 0,1 Prozent wären im Vergleich zu den 50 % Frauen in der Gesellschaft. Es folgen Dammbruch-, Missbrauchs- und Vergewaltigungsbefürchtungen.

Absurd wird es, wenn Umkleidekabinen mit Toiletten verwechselt werden und die Geschichte weiter fantasiert wird: „In den USA haben Schülerinnen bereits aufgehört, tagsüber zu trinken, um nicht auf die Toilette zu müssen – da sie auf der Mädchentoilette nun übergriffigen Jungs begegnen. Die Mädchen entwickeln deshalb Blasenentzündungen oder bleiben gleich ganz zuhause und verpassen somit den Unterricht. Sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen von Schülerinnen hat es aufgrund der „Unisex-Politik“ bereits gegeben.“

Dabei ist es wichtig zu sehen, dass es auch für Europa ähnlich erschreckende Zahlen gibt wie in den USA:

79%  der trans* Menschen berichteten von abfälligen Kommentaren, verbaler oder physischer oder sexueller Gewalt oder Drohungen in der Öffentlichkeit (European Hate Crime Study 2009, Press for Change). TGEU’s ‚Transrespect vs Transphobia‘-Projekt hat zwischen Januar 2008 und Dezember 2014 insgesamt 1.731 Morde an Trans*-Menschen erfasst. 77 dieser Morde geschahen in Europa.

Noah Keuzenkamp, TGEU

Es ist verständlich, dass Feministinnen um Errungenschaften besorgt sind, für die Vorstreiterinnen jahrzehntelang gerungen haben. Andererseits gibt es wenige Minderheiten, die mehr Anfeindungen ausgesetzt sind, als Transmenschen. Aber wie hat es Gouverneur Phil Scott ausgedrückt? Alle sollten sich erst einmal beruhigen und das Thema besonnen und respektvoll besprechen. Sich auch einmal in den anderen hineinzuversetzen könnte helfen.


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