Dass die Natur immer wieder Überraschungen bereithält, ist nichts Neues und durchaus faszinierend. Doch die Story mit dem melodische Chor, welchen man aus dem Grillenzirpen heraushört, stammt dann doch aus dem Reich der Mythen.

Schlagzeilencheck: “Wenn man Grillen-Geräusche verlangsamt entdeckt man etwas Unerwartetes”. Diese Schlagzeile ist nicht neu, sondern tauchte bereits im August 2016 auf. Augenscheinlich scheint der Artikel aktuell ein Revival zu feiern, denn er taucht wieder häufiger in den verschiedenen Newsstreams auf Facebook auf.

Und um das hier geht es: Ein Komponist entdeckte angeblich etwas Ungewöhnliches: Wenn man Grillenzirpen verlangsamt, soll man etwas wie einen menschlichen Chor hören. Ein Wunder der Natur oder nur schiefer Gesang? Wir lauschen rein…

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So berichtet die Seite „Das Unbekannte“ folgendes:

„Jim Wilson, ein Komponist, machte zufällig eine sehr erstaunliche Entdeckung. Er nahm das Zirpen von Grillen auf, verlangsamte die Aufnahme anschließend und konnte seinen Ohren nicht trauen. Die Aufnahme hörte sich an wie ein Chor aus menschlichen Stimmen. In einer perfekten Harmonie und mit einer schönen Melodie. Hier ist die Aufnahme und alles was du hörst sind ausschließlich Grillen-Geräusche.“

Diese Aufnahme ist HIER zu hören:

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Insbesondere sehr christliche Nutzer auf Facebook sind von dem Zirpen begeistert und hören darin einen „Lobgesang auf Gott“ aus jenen sphärischen Klängen. Und in der Tat hört man fast eine regelrechte Melodie, die einen entspannen lässt.

Warum wird gezirpt?

Insgesamt gibt es vier verschiedene Arten von Zirpen, die sehr unterschiedlich sind. Diese wären das Zirpen nach einem Partner, das Beeindrucken eines nahen Weibchens, das aggressive Zirpen gegen Konkurrenten und das Zirpen nach einem erfolgreichen Geschlechtsakt. Die Intensität des Zirpens ändert sich auch noch mit der Temperatur, je wärmer es ist, umso intensiver wird gezirpt.

Ohren auf!

Hören wir uns nun einmal das Zirpen einer Hausgrille (Heimchen) an, wenn man dieses auf bis zu 8x verlangsamt:

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Hm. Das klingt zwar putzig, aber so ganz und gar nicht nach den sphärischen Klängen, die wir vorher hörten. Das war nun allerdings nur das Zirpen einer Grillenart. Mehr von diesen verlangsamten Zirpen kann man auf der Seite „Smithsonian Folkways“ hören, die neben anderen Naturgeräuschen auch Grillenzirpen verlangsamt zum Anhören anbieten.

Was ist das also für ein Sound?

Gleich vorweg: Ja, man hört tatsächlich das verlangsamte Zirpen von Grillen. Aber das ist nicht das Einzige, was man hört! Tatsächlich erschien nämlich 1992 ein Song namens „Ballad of the twisted Hair (Crickets singing)“ von einer Band namens „David Carson and the Little Wolf Band“. Den Song kann man sich u.a. auf Youtube anhören.

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Wer reinlauscht: ab 1:15 Minuten kann man jenes ominöse Zirpen hören. Man hört allerdings auch, dass dort einmal ein normales Zirpen und ein verlangsamtes Zirpen übereinandergelegt wurden, zusätzlich noch jener menschlich klingende Chor.

Woher kommt der Chor?

Das verrät uns die Opernsängerin Bonnie Jo Hunt in einem Interview von 2004, indem sie erzählt, dass sie eines Tages von Robbie Robertson in ein Tonstudio gebeten wurde, wo er folgendes zu ihr sagte:

Ich möchte, dass du singst, wie du möchtest. Oh, und hier sind dazu noch Grillen.“

Jim Wilson brachte nämlich die Aufnahmen der zirpenden Grillen mit in das Tonstudio. Er verlangsamte dann das Zirpen live im Studio, während Bonnie Jo Hunt dazu ihre eigene Melodie sang. Und genau jene Kompilation aus normalen Zirpen, verlangsamten Zirpen und dem Gesang der Opernsängerin wurde zu einem Teil des fertigen Liedes.

Fazit

Auch wenn es ein schöner Gedanke ist, dass das verlangsamte Grillenzirpen wie ein menschlicher Chor klingt, so müssen wir diese Traumblase leider zum Platzen bringen: Es handelt sich nur um eine technisch sehr schön gemachte und melodische Komposition aus zirpenden Grillen und menschlichem Gesang. Dann lauschen wir halt weiter dem Vogelgesang. Der kann auch nachts nicht nervig werden.

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