Derzeit tobt in Deutschland erneut eine heftige Kontroverse um Deutschrap und Sexismus. Der Deutschraper Fler geriet ins Kreuzfeuer der Kritik für seine frauenfeindlichen Inhalte und Nachrichten auf Social Media, die er einer Nutzerin des Portals Instagram schickte.

Deutschrap ist in der Kritik: Eine Instagram-Nutzerin hatte das Video der Organisation Terre des Femmes mit dem Titel: „#unhatewoman: Es ist Zeit, etwas zu ändern“ mit einem Sharepic geteilt. In dem besagten Sharepic, auf dem zahlreiche Rapper mit ihrem Instagramkürzel, also quasi als Verlinkung erwähnt wurden, heißt es:

„Solche Texte zu schreiben, solche Gedanken zu feiern, macht euch ganz einfach zu Mittätern. Es ist weder lustig noch cool noch sollte es unter dem Deckmantel der künstlerischen Freiheit als ok gelten. Es ist gefährlich & beängstigend. Es ist 2020. Hört einfach auf damit. Zeigt mal ein bisschen Respekt und schreibt über was Neues, was der Zeit entspricht. Danke und Tschüss. Mehr unter #UnhateWomen @Terre.des.femmes unhate-women.com

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Als Reaktion darauf schickte der Deutschrapper Fler die Nachricht: „Ich kann ja mal Täter werden wenn du mir weiter auf die Eier gehst. Und dann bin ich Täter gegen DICH und nicht gegen DIE Frauen…also laber keine Kacke. 

Zudem veröffentlichte der Rapper ein Foto der Frau, unter dem er sie als Nutte bezeichnete und ein „Kopfgeld“ in Höhe von € 2000 auf die Userin aussetzte, und bedrohte später den Künstler und Komedian Shahak Shapira, der die Screenshots davon veröffentlichte.

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Die Thematik Sexismus und Deutschrap besteht seit dem ersten Aufkommen dieser Musikrichtung. Einerseits verteidigen Deutschrapper ihre Texte über Gewalt an Frauen, Sexismus, Drogenhandel, Schwulenfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung an sich als künstlerisches „Stilmittel“, und gleichzeitig hat Deutschrap tatsächlich in vielen Belangen starke künstlerische und kulturelle Relevanz, eben genau, weil derart heftige Stilmittel angewendet werden.

Wie immer gilt der Marketingkniff, dass vermeintlich verbotene oder tabuisierte Aussagen interessanter wirken, als braver Indierap der Marke Fantastische Vier, Fettes Brot oder Casper. Oftmals wird auch argumentiert, dass die Sprache der Gewalt gleichzeitig die Sprache des Milieus transportiert, das Deutschrap repräsentieren möchte, also Jugendliche von der Straße, denen mittels Rap eine Stimme gegeben werden soll.

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Die Zeitungswissenschaftlerin Samira El Ouassil ist da anderer Meinung und beschreibt diese Darstellung in ihrer Kolumne auf Übermedien:

Künstlerisch unterhöhter Antisemitismus, Homophobie und Frauenhass ist keine veredelte Straßenkultur, sondern Müll.

Deutschrap: Wo fängt also die Problematik an?

Wer sich tiefergehend mit Deutschrap beschäftigt, wird nicht umhin kommen, diverse Kontroversen bzw. Spannungsfelder innerhalb der Musikrichtung zu finden. Ein perfektes Beispiel ist die Figur der „Mutter“. Die der anderen Musikerkollegen wird immer wieder mal Zielscheibe übelster Anfeindung, während die eigene in den Himmel gehoben wird und dort quasi gottgleich den Platz der Mutter Maria der katholischen Kirche einnimmt.

Ebenso ist die eigene Partnerin in einem Lied quasi ein Engel, ein Zufluchtsort, während sie im nächsten Lied Mitarbeiterin des Monats in einem Rotlichtetablissement ist. Die Rolle der Frau im Deutschrap wird entsprechend subjektiv auf verschiedenen Ebenen dargestellt.

Man könnte also in den Raum stellen, dass diese Texte über Gewalt an Frauen für Männer dieses Musikgenres quasi das letzte Aufbegehren gegen die berechtigte moralische Übermacht darstellt. Überspitzt gesagt, ist es quasi die Demontage des „immerharten“ Mannes, der keine Gefühle zeigt und seine Erfüllung in Gewalt und Befriedigung sexueller Gelüste sieht.

Es dient aber auch als Stilmittel, um der Gesellschaft und Politik den Mittelfinger zu zeigen, die lange Zeit die sozialen Probleme der ärmeren Gesellschaftsschicht ignoriert hat.  Der Zusammenhang zu sexistischen und gewaltverherrlichenden Texten kann dabei aber von vielen Rappern häufig nicht nachvollziehbar gemacht werden.

Problematisch werden solche Texte und Lieder dann, wenn die Interpreten ihren zugedachten künstlerischen Freiraum überschreiten. Das Aussetzen von Kopfgeldern und Gewaltandrohungen gegen Personen, vor allem wenn sie nicht im öffentlichen Raum auftreten, durchschlägt die Grenze der künstlerischen Provokation, und während ein „Beef“ zwischen zwei verfeindeten Rappern in den Medien durchaus unterhaltsam und gewinnbringend für beide Künstler sein kann, so kann die direkte Drohung an Zivilpersonen gefährlich werden und sollte keinen Schutz durch die Künstlerfreiheit erfahren. Das ist dann ein ganz anderes Level.

Wie wird nun reagiert?

Die Polizei Berlin hat in diesem Zusammenhang einen streitbaren Tweet abgesetzt, in dem es heißt „Hmm… Haben nur wir ein Déjà Vu, oder wird da tatsächlich bald wieder ein Album gedroppt? Als „Fanboys“ müssen wir diese beleidigende aggro Ansage natürlich trotzdem zur strafrechtlichen Prüfung weiterleiten.“

Der Tweet der Polizei Berlin spielt darauf an, dass Fler beim Erscheinen von neuen Alben meistens künstlich Streit oder Skandale erzeugte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu richten und das neue Album zu promoten. Obwohl der Tweet quasi als Seitenhieb gegen den Deutschrapper gedacht ist, könnte er von anderer Seite auch als verharmlosend wahrgenommen werden.

Abgesehen davon, dass durch den Re-Upload des Bildes der Nutzerin ein Urheberrechtsverstoß begangen wurde, ihr Recht am eigenen Bild verletzt wurde und durch die Beschreibung als „Nutte“ höchstwahrscheinlich eine falsche Tatsachenbehauptung veröffentlicht wurde, liegt hinter dem Posting noch ein weiteres Problem.

Das Problem an sich ist nämlich weniger die echte körperliche Bedrohung durch den Rapper selbst, sondern das Beeinflussen seiner Fans, die sich durch die Aussagen ihres Idols quasi dazu berufen fühlen könnten, die Drohung des Rappers wahrzumachen bzw. seinen Aufruf zum Kopfgeld ernstzunehmen.

Man kann daher davon ausgehen, dass die Angelegenheit zwar für den Rapper in der Rubrik Künstlerfreiheit versanden wird, eine Strategie, die zahlreiche Deutschrapper in der Vergangenheit bereits angewendet haben – doch ist das der richtige Weg?

Wandeln sich sexistische Liedertexte in reale Gewaltdrohungen um, und werden Frauen durch die Blume belästigt, so steht die Künstlerfreiheit hier in Frage. Denn man darf absolut nicht vergessen, dass für die betroffenen Personen am Ende die Realität anders aussieht.

Was für die einen als Promo aussieht, spielt sich auf dem Rücken anderer Personen ab, die darunter leiden. Ist das noch Künstlerfreiheit oder bereits ein Übergriff?

Sekundärliteratur:

Wir verweisen an dieser Stelle nochmals auf die Kolumne von Samira El Ouassils bezüglich Deutschrap. Netzpolitik.org beschreibt die eingangs zitierte Kolumne auf Übermedien:

Der Rapper Fler hat wohl wieder mal ein Problem mit seinem Verhalten, diesmal im Internet. Hier beleidigt er nicht minutenlang Polizisten oder verletzt einen Kameramenschen, sondern bedroht Frauen auf Instagram, die ihn kritisieren. Wer meint, das würde einem Hip-Hop-Künstler gut stehen wegen Street Credibility und so, der lese Samira El Ouassils Kolumne: „Künstlerisch unterhöhter Antisemitismus, Homophobie und Frauenhass ist keine veredelte Straßenkultur, sondern Müll.“ Word.

Ebenso weisen wir auf einen Artikel aus dem tagesspiegel hin, der am 3. März 2020 erschienen ist (hier). Darin lautet es:

Die schäbigen Gewaltausbrüche des Patrick Losensky
Er bedroht, beleidigt sexistisch, schlägt zu. Warum über die Taten des Rappers Fler nicht geschwiegen werden sollte.

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