Die anhaltende Krisensituation belastet Kinder und Jugendliche stark. Das zeigt sich auch im SOS-Kinderdorf Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Vor rund zwei Jahren wurde in Österreich der erste Lockdown ausgerufen. Seitdem folgt eine Krisenmeldung der anderen. Für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sind die Auswirkungen dramatisch. In einer Zeit, in der Sicherheit und Stabilität so wichtig wären für ein gesundes Heranwachsen, plagen junge Menschen Sorgen um ihre Mitmenschen, die Umwelt und nun auch noch den Krieg in der Ukraine. Statt über Liebeskummer oder den ersten Urlaub ohne Eltern sprechen die Kolleg*innen von Rat auf Draht mit Jugendlichen über Angstzuständen, Essstörungen und Suizid.

Wir haben mit Christoph Schneidergruber, dem fachlichen Leiter vom SOS-Kinderdorf Ambulatorium, HGZ Kärnten darüber gesprochen, wie sich die anhaltende Krisenstimmung auf Kinder und Jugendliche auswirkt und wie Eltern und erwachsene Bezugspersonen in dieser Situation unterstützen können.

Krise: Zwei Jahre Pandemie und kein Krisenende in Sicht

Wichtig ist das Aufklären und darüber zu sprechen. Die junge Generation kann dies schon deutlich besser als ältere Mitmenschen – das gibt Hoffnung!

Dr. Christoph Schneidergruber, Leiter des Hermann-Gmeiner-Zentrums

Haben psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren zugenommen? Warum denken Sie, ist das so?

Ja. Wir sehen derzeit eine massive Zunahme, bedingt einerseits durch die Coronapandemie und den damit verbundenen veränderten Lebenswelten, aber derzeit auch verstärkt durch den Krieg in der Ukraine und dem ganzen Wirkungspaket, welches daran hängt. 

Wir beobachten schon seit langem: Besonders Angststörungen und Depressionen nehmen stark zu. Auch Existenzängste. Es herrscht eine gewisse Zukunftsleere, ein Vakuum.

Nicht nur die Beratungszahlen bei Rat auf Draht attestieren uns täglich die Angst unserer Kinder und Jugendlichen. Unsere Gesellschaft und Familienwelt sind mächtig ins Wanken gekommen. Derzeit ist kein Ende in Sicht, die Bugwelle wird gefühlt immer größer. Der Krisenmodus hält an. Jeden Tag erfahren wir etwas Neues, wir müssen mit ständigen Änderungen umgehen. Viele junge Menschen sehen auch kein Grund, oder haben keine Motivation aus dieser Abwärtsspirae rauszukommen, weil sie durch die lange Coronazeit den Anschluss und Ziele verloren haben. Sei es in Sachen Ausbildung, Schule, Vereine, Sport, Freunde. Die Lebenswelten vieler Kinder und Jugendlichen haben sich in digitale Orte und virtuelle Begegnungen verlagert. Und viele junge Menschen haben keine wirklichen Perspektiven, ihnen fehlt die Orientierung.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit der Kinder ausgewirkt? Mit welchen Problemen haben bzw. hatten sie zu kämpfen?

Die Lockdowns mit Wegfall von gewohnten sozialen Kontakten und zunehmender sozialer Isolation belasten noch immer viele. Hinzu kommen Ängste, insbesondere auch durch den jetzt zunehmenden schulischen Druck Leistungsdefizite aufzuholen und wirtschaftlichen Druck etwa auf Lehrlinge. Soziale Kontakte müssen wieder geknüpft werden, was Vielen schwerfällt. Familien wurden durch die Corona-Pandemie schwer belastet. Das zeigt sich etwa in belasteten Beziehungen der Eltern, fehlenden Strukturen für Kinder, existentielle Sorgen.

Psychische Probleme sind in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Tabuthema. Warum ist das so und was kann man dagegen tun?

Das stimmt leider. Während man über Burnout mittlerweile schon leichter spricht, sind andere Erkrankungen noch sehr tabu und die Betroffenen alleine gelassen. Die Folge sind oft Sekundärerkrankungen aufgrund der Stigmatisierung. Gründe dafür sind Vorurteile, mangelnde oder falsche Informationen und Diskriminierung. Wichtig ist also das Aufklären, darüber zu sprechen. Die junge Generation kann dies schon deutlich besser als ältere Mitmenschen,- das gibt Hoffnung!

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt viele Menschen auch in Österreich. Was kann man als Erwachsener tun, um Kindern und Jugendlichen in dieser schwierigen Situation beizustehen und ihnen eventuell auch die Angst zu nehmen?

Zunächst gilt es, die Angst der Kinder ernst zu nehmen, aber auch die eigenen Ängste zu beachten und zu bearbeiten. So können möglichen Übertragungen auf die Kinder vermieden werden. Was nicht hilft, ist die Ängste zu verdrängen, nach dem Motto „Du brauchst ja keine Angst zu haben“. Wichtig ist darüber zu reden und zu versuchen, die empfundene Angst zu konkretisieren und gemeinsam Handlungsableitungen zu finden. Wenn also das Gefürchtete eintreten sollte, haben wir entsprechende Bewältigungsstrategien. Das gibt Sicherheit! Wichtig ist auch, sich nicht zu überfordern, also Medienkonsum gezielt auszuwählen und nicht ständig und täglich sich mit den allerneuesten Nachrichten beschäftigen.

Vor allem der ungefilterte Konsum von Sozialen Medien kann bei jungen Menschen Ängste noch befeuern. Kinder hören von Jodtabletten, die gebunkert werden, von der Angst, ein Atomkraftwerk könnte in die Luft gehen, sie hören von Kriegstoten, Covid-Toten, Überschwemmungstoten.

Dabei steht gleichzeitig das Leben gerade vor der Tür: der Frühling! Bunt und voller Neuanfang. Wir Erwachsenen, jeder einzelne, müssen unseren Kindern und Jugendlichen wieder Lebensmut und Lebensfreude zusprechen. Wir müssen die guten Dinge des Lebens, die schönen Seiten des Lebens, die Lichtblicke erkennen und teilen. Manchmal sind das nur Kleinigkeiten oder kurze Momente. Aber es gibt sie. Und in Summe, kann auch daraus wieder was großes Ganzes, was Gutes entstehen. 

Was konkret können Eltern tun, um die psychische Gesundheit ihrer Kinder zu stärken?

Kinder sind wie ein Spiegel. Geht es den Eltern gut, stärkt das auch die Kinder. Wichtig ist, dass wir Eltern auf uns selbst schauen, Stress abbauen, uns Zeit für uns und unsere Kinder nehmen. 

Wie erkennt man als Elternteil, dass das Kind psychische Probleme hat?

Häufige Symptome z.B. bei Depressionen sind Resignation, Traurigkeit, Niedergeschlagenheit bzw. auch anhaltend wenig Motivation. Viele, besonders auch kleinere Kinder zeigen körperliche Beschwerden, Schlaf- oder Essstörungen. Immer dann, wenn ihr Kind anhaltende psychische Veränderung zeigt, sollte man Hilfe in Anspruch nehmen.

Quelle: SOS-Kinderdorf

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