Die jüngsten Vorfälle rund um den Jugendschutzfilter „JusProg“ werfen ein Schlaglicht auf die Schattenseiten digitaler Aufklärungsarbeit. Als Instrument zum Schutz Jugendlicher vor vermeintlich schädlichen Inhalten hat JusProg paradoxerweise wichtige Informationsquellen für Jugendliche blockiert – darunter auch bestimmte Webseiten der Deutschen Aidshilfe (DAH) und einiger ihrer Mitgliedsorganisationen.

Diese Seiten bieten wichtige Informationen zu HIV, sexuell übertragbaren Infektionen und Sexualaufklärung. Doch statt Aufklärung und Unterstützung sahen viele Jugendliche nur ein rotes Stoppschild mit der Information „Diese Webseite kannst du leider nicht ansehen. Das empfohlene Mindestalter für diese Seite ist 18 Jahre“.

Versagen im Namen des Jugendschutzes?

JusProg, ein von Eltern und Schulen häufig genutztes Programm, soll potenziell jugendgefährdende Inhalte anhand von Schlüsselwörtern identifizieren und blockieren.

Laut JusProg werden Webseiten in Alterskategorien klassifiziert: „ab 0 Jahren“, „ab 6 Jahren“, „ab 12 Jahren“, „ab 16 Jahren“ und „ab 18 Jahren“. Zur Einstufung kombiniert JusProg hierbei automatische Analysemethoden auch mit der Beurteilung durch Menschen. In einer Stellungnahme gegenüber BR und netzpolitik.org gab JusProg bekannt, dass zur Bewertung der Webseiten spezielle Algorithmen verwendet werden, die Inhalte basierend auf dem Wortgebrauch automatisch analysieren.

Bei Webseiten, die sehr oft besucht werden oder auch, wenn Kritik wegen unzutreffender Bewertungen eingeht, prüft JusProg die Altersklassifizierung manuell. Bislang sind über eine Million Webseiten durch eine solche manuelle Prüfung gelaufen.

Jede noch so genaue Praxis kann allerdings auch Fehler aufweisen. Informationsseiten wie „Mein Coming Out“, ein Beratungsangebot für queere Jugendliche, wurde kürzlich fälschlicherweise als ungeeignet eingestuft und gesperrt. Hier dürfte der Filter fehlerhaft agiert haben, denn diese Seite spricht explizit Jugendliche an.

Dieses Problem ist komplex, da der Filter auch in öffentlichen Netzwerken wie dem BayernWLAN des Freistaats Bayern implementiert ist.

„Jede falsch blockierte Webseite ist ein Ärgernis und eine Herausforderung, keine Frage. Wenn bei 5 Mio. geprüften Webseiten 74 Fehler auffallen (entspricht 0,001 %), dann ist das kein „Versagen“ – natürlich dennoch Ansporn und Verpflichtung, noch besser zu werden.“ erklärt uns JusProg-Vorsitzender Stefan Schellenberg per E-Mail.

Stefan Schellenberg, Vorsitzender JusProg e.V.

Technische Hürden versus Informationsfreiheit

Die Deutsche Aidshilfe reagierte prompt und forderte die sofortige Freigabe der zu Unrecht gesperrten Seiten, was inzwischen auch geschehen ist. Dennoch bleibt die Sorge, dass sich solche Pannen in Zukunft bei verschiedensten Filter-Anwendungen wiederholen könnten.

Ulf Kristal, Vorstandsmitglied der DAH, betont die Notwendigkeit einer diskriminierungssensiblen und fachlich begleiteten Umsetzung technischer Jugendschutzmaßnahmen.

Mehr als Technik: Forderung nach umfassendem Jugendschutz

Die Lösung des Problems liegt nicht allein in der Verbesserung technischer Filter. Vielmehr bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes, der auch nicht-technische Maßnahmen umfasst. Vor allem in Schulen fehlt es häufig an umfassender Aufklärung, insbesondere in Bezug auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt.

Die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, deren Finanzierung oft prekär ist, ist in diesem Zusammenhang unverzichtbar.

Symptom eines größeren Problems

Das Problem ist nicht auf JusProg beschränkt. Ähnliche Fälle von Zugangsbeschränkungen zu wichtigen Informationsquellen in sozialen Netzwerken und anderen Plattformen zeigen, dass es sich um ein weit verbreitetes Problem handelt.

„Prävention kann nur gelingen, wenn offen und positiv über Sexualität gesprochen werden kann.“

Ulf Kristal, Vorstandsmitglied der DAH

Fazit

Angesichts dieser Herausforderungen ist ein Umdenken im Jugendschutz dringend erforderlich. Die Balance zwischen Jugendschutz und freiem Zugang zu lebenswichtigen Informationen ist eine zentrale Herausforderung unserer digitalen Gesellschaft.

Technische Lösungen sind ein Teil des Puzzles, müssen aber durch pädagogische Ansätze und einen sensiblen, diskriminierungsfreien Umgang ergänzt werden.

Quelle: Presseportal, Bayerischer Rundfunk, Netzpolitik, Tagesschau

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