Ein altes Schmähgedicht: Lied eines Asylsuchenden

Vorsicht, die Verbreitung dieses Machwerks kann strafbar sein.

Autor: Walter Feichtinger

Die Behauptung

Das „Lied eines Asylsuchenden“ soll, satirisch überspitzt, die aktuelle Lage in Deutschland wiedergeben.

Unser Fazit

Unter dem Namen „Asylbetrüger-Gedicht“ ist das Schmähwerk mindestens seit 1992 bekannt. Die Verbreitung führte in der Vergangenheit bereits zu Verurteilungen wegen Volksverhetzung

Hetze und Falschinformationen haben lange Tradition. Das Internet im Allgemeinen und die verschiedenen Social-Media-Kanäle im Speziellen haben die Verbreitung nur massiv beschleunigt. Sharepics und Screenshots von Postings werden mit wenigen Klicks mit der eigenen Freundesliste geteilt, in Facebook-Gruppen verbreitet oder Statusnachricht eingestellt. Manchmal wird dabei Altes wieder und wieder ausgegraben, wie im vorliegenden Fall ein altes Schmähgedicht in neuer Form:

Ein altes Schmähgedicht: Lied eines Asylsuchenden
Das Corpus Delicti

Hier einige Kommentare, die man dazu im Netz findet (sic!): ++ Dank durch SPD, CDU und die Grünen leider wahr ++ So schaut’s aus. ++ Wahre Worte ++ — sarkastisch. ++ So is es leider hier in Dummland. ++ Genauso läuft das hier in Deutschland!!! ++ Das Lied der „Merkelfacharbeiter“ ++ Deutschland das Schlaraffenland, nur nicht für den Deutschen Bürger und der schon länger hier wohnt. ++ Traurig aber die Wahrheit… ++

Das Schmähgedicht in der deutschen Rechtsgeschichte

Das „Lied“ ist nicht gerade neu, denn es ist in den letzten drei Jahrzehnten als „Schmähgedicht“ immer wieder in deutschen Gerichtsakten aufgetaucht. Wir konnten es bis zum Jahr 1992 zurückverfolgen.

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Das berühmt-berüchtigte Asylbetrüger-Gedicht illustriert diesen Zusammenhang:
„Herr Asylbetrüger, na wie geht’s? Oh, ganz gut, bringe Deutschen Aids.
Komm‘ direkt aus Ubersee – hab Rauschgift mit, so weiß wie Schnee,
verteile im Sommer wie im Winter sehr viel davon an deutsche Kinder.
Muß nicht zur Arbeit, denn zum Gluck schafft deutsches Arschloch in Fabrik, …
Auch Zahnarzt, Krankenkasse komplett zahlt jeden Monat deutscher Depp. …
Ich liebe Deutschland – wo noch auf der Welt gibt’s für Asylbetrug soviel Geld.
Ist Deutschland pleite, fahr ich heim und sag: Leb wohl Du Nazi-Schwein“.

(Flugblatt von 1992 im Archiv des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin)

Aus: Jugend und Gewalt, Springer Fachmedien, 1995

Der Spiegel berichtete im März 1994 über eine Gerichtsverhandlung am Landesgericht Hannover, in der über den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) entschieden werden sollte. Zentrales Beweisstück: ein per Fax verbreiteter „Bürgeraufruf“ inklusive des Schmähgedichts. Auch die zeitliche Nähe zum Brandanschlag in Solingen spielte eine Rolle. Der Anklagte würde schließlich wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 25 Mark verurteilt.

Asylbewerber würden als eine hassenswerte Bevölkerungsgruppe auf allerunterster Stufe dargestellt. „Solchen Menschen spricht man das Recht ab, in unserer Gesellschaft zu existieren. Wir sahen darin eine Verletzung der Menschenwürde“. Nach Meinung der Kammer gefährdet das »Asylbetrüger«-Machwerk den öffentlichen Frieden. Es werde zwar nicht direkt zu Gewalt aufgefordert. Doch „man kommt nicht auf die Idee, seinen Nachbarn zu erschießen, nur weil er anderen Glaubens ist. Wer sich allerdings von einer Welle der öffentlichen Meinung getragen fühlt, der tut so etwas gleichwohl“. Von einer Satire könne nicht gesprochen werden. „Was soll einen Menschen mit halbwegs intakter innerer Psyche hier zum Lachen bringen?“ Das sei viel eher Stimmungsmache übelster Art.

Der Spiegel zitiert in „Satire zum Aufrütteln“ aus dem Gerichtsurteil

Der Paragraf 130 ist leider einer jener dieser Rechtstexte, „die so oder so ausgelegt werden können“. Die Rechtslage ist kompliziert. Schuldsprüche wegen Volksverhetzung werden immer wieder in der nächsten Instanz aufgehoben. „Andere Gerichte ließen Anklagen gar nicht erst zu. Manche Staatsanwaltschaften brachten darum, wenn sie wieder einen jener unsäglichen anonymen Schmutzzettel mit ausländerfeindlichen Parolen in die Hand bekamen, die Sache nicht mehr zur Anklage.“

Aktuelle Rechtseinschätzung: Lied eines Asylsuchenden

Wir haben uns mit dem „Lied“ an REspect! Meldestelle gegen Hetze im Netz gewandt, mit der Bitte um eine Einschätzung der Rechtslage:

Auch wenn es dem Moralempfinden widersprechen mag, sind solche Äußerungen nach unserer Einschätzung in Deutschland nicht strafrechtlich relevant. Zwar gab es seit 1994 einige Verfahren betreffend den Paragraphen der Volksverhetzung § 130 StGB, sodass einzelne Fragen von damals heute klarer sind. De facto muss jedoch bei der Prüfung jedes konkreten Einzelfalls eine Abwägung stattfinden, um die grundrechtlich gewährleistete Meinungsäußerungsfreiheit nicht auszuhöhlen.

Zur Erfüllung des Straftatbestandes nach § 130 I Nr. 1 StGB – Volksverhetzung, müsste ein taugliches Tatobjekt vorliegen. […] muss weiterhin zum Hass aufgestachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufgefordert werden. […]

Die Aussagen sind zweifelsfrei moralisch äußerst verwerflich und sollten in dieser Form nicht in sozialen Netzwerken verbreitet werden. Allerdings werden zunächst keine Pauschalisierungen in der Form geäußert, dass die Behauptungen auf alle Bewerber:innen zutreffen würden, was den Autor:innen zugutekommen muss. Vielmehr wird aus der vermeintlichen Perspektive eines Asylsuchenden gesprochen.

Zugleich handelt es sich bei den Aussagen zwar um schwerwiegende Behauptungen, die gehässigen Kommentare richten sich jedoch gerade nicht ausdrücklich gegen diese ethnische Bevölkerungsgruppe, sondern an die Deutschen („Deutsches Arschloch“, „dumme Deutsche“, „Deutscher Vollidiot“, „Nazischwein“). Das mit dieser Technik verfolgte Ziel der Autor:innen ist zwar offenkundig. Jedoch bedarf es für eine Strafbarkeit nach § 130 I Nr. 1 StGB gerade einer dahingehenden, hinreichend konkreten Äußerung. Nach unserer Einschätzung wird jedoch gerade das geforderte Maß an Gehässigkeit und Rohheit nicht erreicht.

Zugleich verlangt § 130 I Nr. 2 StGB eine Verletzung der Menschenwürde. Hieran stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen. Dies ist der Fall, wenn das Lebensrecht abgesprochen wird, der Mensch mit Tieren gleichgesetzt wird, oder Menschen in Klassen eingeteilt werden.

Nach unserer Ansicht sind diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht gegeben.

FAZIT

Das „Lied des Asylsuchenden“ ist ein altes Lied, sozusagen eine Coverversion eines alten Schmähgedichts, das unter dem Namen „Asylbetrüger-Gedicht“ seit zumindest 1992 bekannt ist. In der Vergangenheit gab es für seine Verbreitung bereits Verurteilungen wegen Volksverhetzung. Andere Urteile in ähnlichen Fällen wurden z.T. wieder aufgehoben oder gar nicht vor Gericht gebracht.

Das „Lied“, eine verkürzte Version des älteren Schmähgedichts, enthält nicht mehr die besonders bedenklichen Zeilen, wo es um die Verbreitung von Aids und Drogen geht. Es ist für sich alleine gesehen aber noch immer moralisch äußerst verwerflich und sollte auch in dieser Form nicht in sozialen Netzwerken verbreitet werden.

Aber eine Warnung an die Hobby-Hetzer: Die Verbreitung dieses Schmähgedichts mag alleine noch nicht für eine Verurteilung wegen Volksverhetzung ausreichen. Im oben geschilderten Gerichtsfall hat der Verfahrensrichter aber sehr wohl versucht, alle Begleitumstände zu berücksichtigen: Eine gefährlich aufgeheizte Stimmung (Brandanschläge in Solingen) in der Gesellschaft oder weitere Indizien, wie auf den hetzerischen „Bürgerbrief“ aufgemalte Totenköpfe. Gleiches passierte auch bei weiteren, ähnlich gelagerten Gerichtsfällen, die dann doch zu Verurteilungen nach § 130 StGB führten.

Quellen:
Rainer Erb (1995): Action. Über Jugendgruppen und rechte Gewalt. In: Jugend und Gewalt, Springer Fachmedien.
Gisela Friedrichsen (1994): Satire zum Aufrütteln? (Onlineversion, Printversion) In: Der Spiegel 12/1994.
Wolfgang Mitch (2018): Der unmögliche Zustand des § 130 StGB. In: KriPoZ 4/2018
REspect! Meldestelle gegen Hetze im Netz

Gerichtsakten und -beschlüsse:
http://www.luebeck-kunterbunt.de/Justizelend/Volksverhetzung2.htm (Bayrisches OLG, 1993)
https://oberlandesgericht-braunschweig.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/verurteilung-wegen-volksverhetzung-bestatigt-184116.html (OLG Braunschweig, 2020)
OLG Frankfurt NJW 1975, 143/144
OLG Frankfurt vom 15.8.2000

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