In einer Welt, in der das Internet uns allen ermöglicht, sich in wenigen Sekunden über fast jedes Thema zu informieren, sehen wir einen seit Längerem bereits einen besonderen Trend. Leider ist es nicht der Trend zur umfassenden Informationsgewinnung, sondern eher das Gegenteil. Es geht um die selektive Informationsaufnahme und deren Auswirkung auf die Gesellschaft. Diese Entwicklung hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir lernen und diskutieren.

Der Trend lautet: Meinungen contra Fakten. Es gibt eine zunehmende Tendenz, Fachleute infrage zu stellen, die objektive Daten und Fakten präsentieren. Die Antagonisten sind oft „normale“ Internetnutzer (gern von der YouTube-University oder der Schule des Lebens), die mit zusammengesammelten und teilweise zusammenhangslosen Online-Quellen kontern. Ein Beispiel ist die Diskussion über Klimadaten, wie eingangs im zitierten Tweet gezeigt. Experten posten präzise gemessene Temperaturen, doch diese Fakten werden von Internetnutzern infrage gestellt. Sie präsentieren zufällig ausgewählte Wettervorhersagen aus diversen Wetter-Apps als „Beweise“.

Die selektive Informationsaufnahme

Der Kern dieses Problems ist das Phänomen der selektiven Informationsaufnahme. Menschen neigen dazu, nur Informationen anzunehmen, die ihre bestehenden Überzeugungen unterstützen und alle anderen zu ignorieren. Es ist ein menschlicher Impuls, der in der Psychologie als „Bestätigungsfehler“ bekannt ist. Dieser Fehler führt dazu, dass Menschen die Tatsachen umdeuten oder verzerren, um sie in ihr Weltbild einzupassen.

Bestätigungsfehler und kognitive Dissonanz spielen eine wichtige Rolle bei diesem Problem. Die kognitive Dissonanz beschreibt den inneren Konflikt, den Menschen empfinden, wenn sie mit Informationen konfrontiert werden, die ihren Überzeugungen widersprechen. Sie versuchen, diesen Konflikt zu lösen, indem sie die neue Information ablehnen und sich stattdessen auf bestätigende Informationen konzentrieren.

Ob Klimawandel, Coronavirus oder Energiewende. Alles, was nicht in das eigene Weltbild passt oder unbequem erscheint, wird abgelehnt. Auch wenn die Fachwelt deutlich spricht, es wird immer irgendeine absurde Onlinequelle existieren, die der eigenen Befindlichkeit dienlich ist. Die Seriosität dieser Quelle wird dann nicht weiter hinterfragt. Warum auch, denn die eigene Überzeugung wurde ja schon nicht selbstkritisch begutachtet.

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Die Folgen des beschriebenen Phänomens gehen weit über einzelne Internetdiskussionen hinaus und beeinflussen unsere Gesellschaft auf vielschichtige Weise. Doch uns sollte klar sein, dass nicht nur die Ablehnung von Fachwissen, sondern auch die Art und Weise, wie Menschen Informationen aufnehmen und interpretieren, von zentraler Bedeutung ist. Wenn wir als Gesellschaft vorankommen wollen, dann sollten wir nicht de Augen verschließen, nur weil eine Situation unbequem ist.

Speziell im Netz, in dem wir ständig von einer Flut an Informationen umgeben sind, spielen unsere Fähigkeiten zur Informationsauswahl und -interpretation eine entscheidende Rolle. Wenn wir jedoch dazu neigen, nur die Informationen aufzugreifen, die unsere bestehenden Überzeugungen bestätigen, und alle anderen zu ignorieren, führt dies zu einer zunehmenden Polarisierung. Wir radikalisieren uns dadurch in mehr oder weniger selbstgeschaffenen „Echokammern“ oder „Filterblasen“, in denen sie nur noch Meinungen und Ansichten zu hören bekommen, die ihre eigenen widerspiegeln. Social Media Algorithmen verstärken die selektive Informationsaufnahme dazu.

Das ist nicht nur problematisch, weil es den öffentlichen Diskurs verarmt und die Entstehung von gemeinsamen Gesprächsebenen und Konsens erschwert. Es kann auch dazu führen, dass Menschen Fehlentscheidungen treffen, weil sie auf einer verzerrten oder unvollständigen Informationsbasis beruhen. Ob es sich um individuelle Entscheidungen im täglichen Leben, etwa in Bezug auf Gesundheit und Finanzen, oder um kollektive politische Entscheidungen handelt – die Qualität unserer Entscheidungen hängt maßgeblich von der Qualität der Informationen ab, auf denen sie basieren.

Selektive Informationsaufnahme erschafft Misstrauen!

Darüber hinaus kann diese selektive Informationsaufnahme auch zu Misstrauen und Feindseligkeit führen. Wenn Menschen sich nur in ihrer eigenen Informationsblase bewegen, können sie beginnen, diejenigen zu misstrauen oder gar zu bekämpfen, die andere Informationen präsentieren oder andere Ansichten vertreten. Das untergräbt den sozialen Zusammenhalt und die Fähigkeit zur konstruktiven Diskussion und Zusammenarbeit. Ganz besonders dann, wenn Phantomdiskussionen entstehen oder dem politischen Gegner Dinge unterstellt werden, die dieser nicht getan hat und auch gar nicht tun will.

Ja, die selektive Informationsaufnahme ist ein tieferliegendes Problem. Es ist kein neuer Trend, der unsere Gesellschaft in vielfacher Hinsicht beeinflusst – von der Qualität unserer Entscheidungen über die Qualität des öffentlichen Diskurses bis hin zum sozialen Zusammenhalt.

Wir müssen irgendwie auf Dauer einen besseren Weg finden, um mit Information und Wissen umzugehen. Bildung und Medienkompetenz sind Schlüssel zur Lösung dieses Problems. Eine verbesserte Medienbildung könnte helfen, Menschen zu zeigen, wie man Informationen kritisch betrachtet, anstatt sie einfach zu akzeptieren. Speziell dann, wenn Fachleute einen Konsens präsentieren, der mir als Einzelperson nicht schmeckt. Da reicht es nicht, mithilfe einer grotesken Internetquelle sich an die eigene Position zu klammern.

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