Immer wieder liegt der Facebook-Algorithmus und seine „Kunst-Polizei“ bei der Bewertung von anstößigen Bildern völlig daneben.

Kunst und Nacktheit? Ein absolutes No-Go, wenn es nach Facebook oder Instagram geht! „Öffentlich zur Schau gestellte Nacktheit“ ist die Begründung  und es ist ein bekanntes Problem, mit dem sehr viele Nutzer immer wieder zu tun haben.

Venus von Willendorf Vorderansicht © Albertina, Wien - Sammlung Batliner
Venus von Willendorf Vorderansicht
© Albertina, Wien – Sammlung Batliner

Als am 7. August 1908 bei Bauarbeiten zur Donauuferbahn in Willendorf in der Wachau eine elf Zentimeter große Skulptur gefunden wurde, konnte man damals nicht erahnen, dass diese Skulptur noch für großes Aufsehen sorgen wird.

Dass Facebooks Kunst-Polizei oft falsche und nicht erklärbare Bewertungen abgibt, ist nicht neu. Wir haben 2015 schon einmal darüber hier berichtet und auch 2018, als Facebook mehrere Beiträge der Streetartkünstlerin „Barbara.“ von Facebook und Instagram löschte.

Seien es historische Aktgemälde, antike Statuen und anderen Inhalte die in Museen hängen und auch akzeptiert werden, werden auf Facebook und Instagram mit Pornografie verglichen und am Ende von den Plattformen schnell mal verbannt!

Auch die Venus von Willendorf, die bekannteste prähistorische Frauendarstellung des Naturhistorischen Museums in Wien, die von der Forschung als Fruchtbarkeitssymbol oder Verkörperung von Mutter Erde gedeutet wird, war im Jahre 2018 davon betroffen.

Das Naturhistorische Museum schreibt am 21.10.2021 auf Facebook dazu: „Weltweit bekannte Statuen sowie Kunstwerke, die Nacktheit repräsentieren, wurden von Social Media-Kanälen auf eine Blacklist gesetzt und deren Darstellung von einem Algorithmus blockiert und zensiert. „(Quelle)

Wien Tourismus drehte nun den Spieß um und richtete auf der Plattform OnlyFans einen eigenen Kanal ein, um „18+“-Inhalte gefahrlos anzeigen zu können.


OnlyFans ist eine Plattform für Bezahlinhalte, die es ihren „Content Creators“ auch erlaubt, Nacktheit und Pornografie zu publizieren. Dabei funktioniert OnlyFans ähnlich wie Instagram. Nutzer können erstellen Inhalte für ihr Profil, dem andere wiederum gegen Bezahlung folgen können. Das Besondere: OnlyFans eine Plattform, auf der die sogenannten Creators mit dem Bereitstellen von exklusiven Fotos und Videos Geld verdienen können. Jeder kann also seinen Content vermarkten und so eine eigene Fan-Community aufbauen.

Nach der preisgekrönten Kampagne #ToArtItsFreedom 2017, die u.a. sieben CCA-Awards und Gold beim webAD gewann, stellt der WienTourismus mit seiner neuesten Aktion „Vienna strips on OnlyFans“ erneut die Freiheit der Kunst in den Fokus einer gesellschaftskritischen Debatte. Er nutzt das Social Network OnlyFans, um Werke zu zeigen, die Teile des internationalen Kunstkanons sind, aber aufgrund von Nacktheit auf anderen sozialen Medien der Zensur unterliegen. Abonnent:innen des WienTourismus-Auftritts auf OnlyFans sehen Kunstwerke aus Wiener Museen – von der prähistorischen Frauendarstellung der Venus von Willendorf aus dem Naturhistorischen Museum Wien bis zu Fotografien der Aktionskünstlerin VALIE EXPORT aus der Albertina – und bekommen zudem eine Eintrittskarte für die an der Aktion teilnehmenden Museen (Leopold Museum, Kunsthistorisches Museum Wien, Albertina und Naturhistorisches Museum Wien) oder eine Vienna City Card.

Norbert Kettner, Direktor WienTourismus: „In den sozialen Medien bestimmen Algorithmen, wie viel Nacktheit gezeigt werden darf, und zensieren dabei nicht selten weltberühmte Kunstwerke. Wir stellen daher die Frage, wie viel Nacktheit wir aushalten und wer bestimmen kann, was wir als anstößig empfinden. In der Kulturmetropole Wien lässt sich die Frage beantworten: Aktkunst ist gesellschaftspolitisch und künstlerisch Teil der Kulturgeschichte.“

Kunstfreiheit mit „Vienna strips on OnlyFans“

Der WienTourismus nutzt OnlyFans als alternative Plattform, weltberühmte Kunstwerke zu zeigen, die auf etablierten sozialen Plattformen wie Facebook und Instagram als Pornografie eingestuft und gelöscht wurden, und regt so eine Diskussion darüber an, dass in sozialen Netzwerken oft das als Pornografie oder als anstößig angesehen wird, was unter künstlerische Freiheit fällt. Dafür kooperiert er mit Wiener Museen, die bereits wiederholt die Erfahrung machten, dass Kunst im Internet oft nicht nackt sein darf:

In einer spektakulären Ausstellung zeigt die Albertina, die selbst bereits zensiert und deren Konten in den sozialen Medien wegen Werbung mit nackten Kunstwerken vorübergehend gesperrt wurden, derzeit Werke von Amedeo Modigliani. Einige davon sind zu eindeutig, um sie in den sozialen Medien zu zeigen.
Das Leopold Museum beherbergt neben vielen Meisterwerken die weltgrößte Sammlung des Expressionisten Egon Schiele, der als einer der populärsten Künstler überhaupt gilt. Gleichzeitig irritiert seine Kunst noch hundert Jahre nach seinem Tod und erregt die Aufmerksamkeit von Zensoren. Das Leopold Museum hatte oft Probleme mit der Bewerbung seiner Ausstellungen, da die gängigen sozialen Netzwerke die Darstellung von Nacktheit nicht zuließen. In der Kampagne #ToArtItsFreedom affichierte der WienTourismus 2017 vier Aktdarstellungen Egon Schieles, musste dabei aber aufgrund geltender Werbevorschriften in Hamburg, Köln und Londons U-Bahn die primären Geschlechtsmerkmale der Aktdarstellungen mit einem weißen Textfeld bedecken.
Das Naturhistorische Museum Wien beherbergt die Venus von Willendorf. Fotos der 30.000 Jahre alten Kalksteinfigur wurden vom Facebook-Algorithmus als pornografischer Inhalt angesehen und gelöscht.
Die Gemäldegalerie des Kunsthistorisches Museum Wien zeigt Höhepunkte der abendländischen Kunst, darunter Meisterwerke von Tizian und Rubens, die bereits vor hunderten von Jahren nackte Frauen und Männer auf großflächigen Gemälden darstellten. Auf dem OnlyFans-Kanal des WienTourismus werden diese und weitere Werke unzensiert auf einer sozialen Plattform präsentiert.

Von „nicht jugendfrei“ über „Erwachsenenunterhaltung“ bis „pornografisch“

Um auf den „Vienna Tourist Board OnlyFans“-Kanal aufmerksam zu machen, sollte mit digitalen Werbemitteln ein Vorgeschmack auf die dort zu sehenden Kulturschätze von Weltrang gegeben werden. Geplant war, in den USA, Großbritannien und Deutschland, wo die Mehrheit der OnlyFans-User:innen zu Hause ist, Teaservideos auf Instagram und Twitter auszuspielen. Dieser Plan konnte jedoch nicht umgesetzt werden, da sogar die Teaser, in denen sensible Körperteile verdeckt oder abgeschnitten wurden, als „nicht jugendfrei“, „Erwachsenenunterhaltung“ oder „pornografisch“ eingestuft wurden. Eine solche Einstufung kann nach mehreren Upload-Versuchen zu langfristigen Folgen wie der Sperre des Accounts führen. Eine direkte Verlinkung auf OnlyFans wurde zudem von den Social Media-Kanälen grundsätzlich ausgeschlossen, selbst eine Verlinkung auf die WienTourismus-Webseite wien.info wurde beispielsweise bei Twitter nicht freigegeben, weil die Webseite eine Querverllinkung auf OnlyFans enthielt.

Der Freigabeprozess für die Bewerbung dauerte insgesamt zwei Wochen. Das Resultat: Twitter lehnte sämtliche Sujets aufgrund des OnlyFans-Bezugs auf der Landingpage ab. Facebook und Instagram erlaubte die Bewerbung mit der Venus von Willendorf sowie einem Modigliani-Gemälde, nachdem der Kunst-Hintergrund beim Service-Team der Kanäle dargelegt werden konnte. Das Schiele-Sujet sowie das Rubens-Sujet wurden mit der Begründung von „übermäßig nackter Haut“ und „Erwachsenenunterhaltung“ abgelehnt.

 

Unterstütze jetzt Mimikama – Für Wahrheit und Demokratie! Gründlicher Recherchen und das Bekämpfen von Falschinformationen sind heute wichtiger für unsere Demokratie als jemals zuvor. Unsere Inhalte sind frei zugänglich, weil jeder das Recht auf verlässliche Informationen hat. Unterstützen Sie Mimikama

Mehr von Mimikama

Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.
2) Einzelne Beiträge entstanden durch den Einsatz von maschineller Hilfe und wurde vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)