Wir hatten das schon letztes Jahr: „Was, wenn die Wissenschaftler lügen und die Impfung tötet? Ich frage ja nur!“ Das kam nicht von Leuten, die sich uninformiert und unsicher fühlten, sondern von jenen, die sich ohne Argumente selbst zum überlegenen Besserwisser erklären wollten. Und jetzt wieder: „Wer weiß, ob die Massaker an der ukrainischen Bevölkerung tatsächlich stattfanden! Das ist doch bloß Propaganda! Haben die Ukrainer selbst ihre Leute ermordet? Ich stelle nur Fragen! MAN WEISS ES NICHT!“

Man unterstellt damit: „Es könnte so sein, es könnte aber auch anders sein. Also sind beide Thesen irgendwie gleichberechtigt!“ Genau das ist False Balance. Hier werden bewusst Plausibilitäts-Checks mit Wahrheitsbeweisen vermischt – ein Standard-Trick von Fake-News-Verbreitern. Natürlich wissen wir nicht zu 100%, was rund um Kiew geschah. Und wir wussten letztes Jahr nicht zu 100%, wie verträglich die Impfung ist. Das sind nutzlose, banale Feststellungen: Wir wissen natürlich nie etwas zu 100%. Auch nicht, dass die Erde um die Sonne kreist.

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Exakte Beweise gibt es nur in der Mathematik. Die Frage ist daher: Habe ich ausreichend vernetzte, tragfähige Indizienketten, um etwas für plausibel zu halten? Wenn ja, dann ist es einfach nur unsinnig, sich mit erhobenem Zeigefinger als „mutiger Fragensteller“ zu inszenieren. Es ist natürlich notwendig, offizielle Erzählungen zu hinterfragen, Lücken in allgemein anerkannten Behauptungen zu suchen, populäre Irrtümer aufzudecken. Aber darum geht es solchen selbsternannten Fragestellern nicht.

Diese Art der Fragen sind „Kindisch, gefährlich und moralisch verkommen“

Es geht um Selbstinszenierung: „Seht her, ich bin klüger als die anderen! Ich verkünde meine eigene Version der Wahrheit!“ Und um damit keine Mühe zu haben, formuliert man die eigene Version in der denkbar schwächsten Weise: Als bloße Hinterfragung des Mainstreams. Ja, natürlich haben immer beide Seiten ihre Interessen. Sicher war auch nicht alles, was von ukrainischen Medien kam, korrekt. Wie denn auch, in einem verdammten Krieg? Und wenn – wäre das ein Indiz dafür, dass die Propaganda Putins doch recht hat? Nein!

Davor ekelt mir mittlerweile: Das bloße Querdenken wird mit Qualität verwechselt, das bloße Dagegensein mit einer Position, das bloße Fragenstellen mit einer Widerlegung der Arbeit von Journalist_innen oder Wissenschaftler_innen, die unvergleichlich viel aufwändiger war. Das Problem ist der Unwille, Gesamtbilder zu sehen: Hier, ein seltsames Detail- ALSO ist die offizielle These falsch. Hier, eine alternative Überlegung- ALSO wurden wir bisher angelogen. So kommt man der Wahrheit nicht näher. Das ist kindisch, gefährlich und moralisch verkommen.

Dieser Inhalt wurde von Physiker, Autor „Die Wissenschaft ist kein Bauchgefühl„, Wissenschaftserklärer Florian Aigner auf Twitter veröffentlicht.

Das könnte ebenso interessieren

Fake News- ein Begriff, der bis zur Präsidentschaftswahl 2016 vielleicht noch nicht jedem so geläufig war, brennt sich seit Beginn der Coronapandemie in die Mitte der Gesellschaft ein. Damals hat Donald Trump seriöse Medien mit lauter Stimme als Lügenpresse und Fake News Verbreiter bezeichnet und das Vertrauen in die journalistische Arbeit sank zunehmend. Jetzt nehmen Falschnachrichten einen erheblichen Stellenwert ein, der für die Meinungsbildung der Gesellschaft kaum messbare Folgen hat. Weiterlesen …

Unterstütze jetzt Mimikama – Für Wahrheit und Demokratie! Gründlicher Recherchen und das Bekämpfen von Falschinformationen sind heute wichtiger für unsere Demokratie als jemals zuvor. Unsere Inhalte sind frei zugänglich, weil jeder das Recht auf verlässliche Informationen hat. Unterstützen Sie Mimikama

Mehr von Mimikama

Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.
2) Einzelne Beiträge entstanden durch den Einsatz von maschineller Hilfe und wurde vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)