Die Behauptung

Ein Foto soll die Fürsorgepflichtverordnung der Weimarer Republik zeigen, wonach „alle arbeitsfähigen Flüchtlinge“ verpflichtet waren, gemeinnützig zu arbeiten.

Unser Fazit

Es lässt sich keine Quelle ausfindig machen, die den Text, welcher unstimmig ist, auf dem Bild beinhaltet. Der genannte Paragraph enthält einen ähnlichen Text, der aber vom Sinn her gar keine Geflüchteten, sondern alle unterstützten Arbeitsfähigen anspricht.

Wie bekannt ist, wünschen sich so manche Ewiggestrigen, ob Reichsbürger oder politisch Motivierte, die „gute alte Zeit“ zurück, in diesem Fall die Weimarer Republik, in der angeblich eine Verordnung besagte, dass „alle arbeitsfähigen Flüchtlinge“ gemeinnützige Arbeit verrichten mussten, da sie ansonsten keine Verpflegung und Unterkunft bekommen würden.
Doch anscheinend kennen diese Leute die Verordnungen der Weimarer Republik nicht einmal.

Die angebliche Fürsorgepflichtverordnung

Natürlich wird nie ein Link zu jener Fürsorgepflichtverordnung angegeben, sie wird immer nur in Bildform verbreitet:

Die angebliche Fürsorgepflichtverordnung
Die angebliche Fürsorgepflichtverordnung

Mit der in Old English verfassten Überschrift „Fürsorgepflichtverordnung in der Weimarer Republik“ und „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ soll der Text der Verordnung lauten:

„Alle arbeitsfähigen Flüchtlinge (Männer und Frauen von 16-55 Jahren) sind verpflichtet, nach besten Kräften täglich fünf bis sieben Stunden gemeinnützig zu arbeiten. (§ 19 RFV.) Wer nicht arbeitet, darf nicht verpflegt oder beherbergt werden. Befreit sind von der Pflichtarbeit nur Flüchtlinge, welche die Kosten für Verpflegung und Unterkunft selbst bezahlen, und Frauen, die pflegebedürftige Kleinkinder oder Angehörige versorgen müssen.“

Zwei Unstimmigkeiten

Die direkte Suche nach dem Text führt ins Leere: Er ist nicht in den „Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge“ (siehe HIER) der damaligen Zeit auffindbar. Überhaupt ist verdächtig, dass die Überschrift „Verordnung in der Weimarer Republik“ ebenfalls in Old English verfasst ist, so als ob es dazugehören würde, den Begriff es damals aber noch gar nicht gab, in Gesetzestexten wurde immer vom „Deutschen Reich“ geschrieben.

Auch der Begriff „Flüchtlinge“ passt nicht in ein Dokument, welches aus der Weimarer Republik stammen soll. Das Wort wurde erst 1951 durch die Genfer Flüchtlingskonvention definiert und erst nach dem Zweiten Weltkrieg umgangssprachlich benutzt – also weit nach der Weimarer Republik, die von 1919 bis 1933 ging.

Der genannte Paragraph 19

Da der Text also ohnehin schon Unstimmigkeiten enthält und nirgend auffindbar ist, hilft uns vielleicht ein Blick in den angegeben Paragraph 19, der sich tatsächlich in einem Reichsgesetzblatt von 1924 findet und in dem es um Arbeits- und Unterhaltspflicht geht (siehe HIER).

MIMIKAMA
Der genannte Paragraph

„Die Unterstützung Arbeitsfähiger kann in geeigneten Fällen durch Anweisung angemessener Arbeit gemeinnütziger Art gewährt oder von der Leistung solcher Arbeit abhängig gemacht werden, es sei denn, daß dies eine offensichtliche Härte bedeuten würde oder ein Gesetz dem entgegensteht.“

Quelle: Reichsgesetzblatt, Jahrgang 1924
  • Es geht also um alle Arbeitsfähigen, die Unterstützung bekommen, nicht nur um Geflüchtete
  • Die Unterstützung kann in geeigneten Fällen“ von gemeinnütziger Arbeit abhängen, muss es aber nicht

Es ist also ein sogenannter „Kann-Paragraph“ – Die Möglichkeit war gegeben, aber kein Muss, so wie heutige Parapgraphen, in denen es zum Beispiel heißt, dass eine Freiheitsstrafe verhängt werden kann, was aber nicht bedeutet, dass sie verhängt werden muss.

Fazit

Es lässt sich keine Quelle ausfindig machen, die den Text auf dem Bild beinhaltet. Der genannte Paragraph enthält einen ähnlichen Text, der aber vom Sinn her gar keine Geflüchteten, sondern alle unterstützten Arbeitsfähigen anspricht. Zudem wurden die Begriffe „Weimarer Republik“ und „Flüchtlinge“ zur damaligen Zeit gar nicht verwendet.

Der Text ist somit aller Wahrscheinlichkeit nach eine Fälschung.

Weitere Quelle:

dpa
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