Bis zum 18. Dezember 2015 hatte die Washington Post eine Kolumne, welche sich „What was Fake” nannte. Diese gibt es jetzt jedoch nicht mehr.

Nach nur 82 Wochen gibt die „Washington Post“ ihren Kampf gegen Hoaxes auf. Ihr Fazit: „Mit Hoaxes erreicht man einfach mehr Leute, Hoaxer sind teilweise gut organisiert. Und Leute, die man über Hoaxes aufklären will, interessiert es nicht, die wollen nur hören, was ihre eigene Meinung bestätigt“. Ebenso liest man sehr deutlich, dass der Kampf gegen bewusst gestreute Hetze auch in den USA ein schwerwiegendes Problem ist, denen die Kolumne sich nicht gewachsen sieht.

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Wir haben den folgenden Artikel der Washington Post aus dem Englischen übersetzt


What was fake on the Internet this week: Why this is the final column

“Warum dies der letzte Eintrag ist” von Caitlin Dewey

Es gibt nichts, wirklich nichts was zu verrückt ist, um zu einem Hoax im Netz zu werden. Schwangerschaft durch Grippeschutzimpfung? Sechs Tage völlige Dunkelheit? In den letzten 82 Wochen habe ich sicherlich so alles gesehen, was man an Hoaxes finden kann.

Im Mai 2014 starteten wir unsere Kolumne „What was Fake“  als Reaktion auf eine scheinbar epidemieartige Welle an Urbanen Legenden und Internet Pranks (Streiche): es waren größtenteils seichte und dumme Geschichten, wie zum Beispiel die neuen Oreo Geschmacksrichtungen und absurde Kindernamen.

Inhalte ändern sich

Diese Gerüchte und Falschmeldungen sind seit dem nicht wirklich weniger geworden, jedoch haben sich die Häufigkeiten und Auftretensweisen  der gefälschten Nachrichten geändert. Anfangs war das Entlarven von Hoaxes noch mit einiger Recherche verbunden, jedoch reicht es heute bei vielen Seiten bereits aus, einfach in das Impressum oder den Disclaimer der jeweiligen Seite zu schauen. Und das anfangs ein Hoax bei vielen Menschen auf echter Unwissenheit oder Missverständnis gründete, ist heute auch nicht mehr gegeben. Falschmeldungen wie „Casey Anthony zerstückelt in LKW gefunden“ verbreiteten sich über das Netz aus reiner Schadenfreude – oder aus purem Hass [Anmerkung: bei Casey Anthony handelt es sich um eine junge Frau der vorgeworfen wurde, aus purer Selbstsucht ihre zweijährige Tochter ermordet zu haben. Dies konnte jedoch nie bewiesen werden]


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Es gibt eine recht einfache, wirtschaftliche Erklärung für diesen Trend: Das Leben als Hoaxer, also jemand der Falschmeldungen oder Satire in die Welt setzt, ist ertragreicher. Bereits Anfang 2014 wurde einer Reihe von Internet-Unternehmern klar, dass kaum etwas so sehr den Webseiten Traffic (Besucherzahl) antreibt, wie jene Geschichten, die die Vorurteile der Leser anheizen oder zu bestätigen meinen. Viele Seiten, die einst nur Falschmeldungen über den Tod von Promis oder Satire veröffentlichten, haben umgestellt und betreiben jetzt erfolgreich nichts anderes als Minderheiten zu trollen oder mit Stereotypen um sich zu werfen. Paul Horner, der Inhaber Nbc.com.co und einer Reihe von anderen sehr profitablen Fake-News-Seiten, erzählte mir einmal, dass er nun gezielt versuche, Geschichten zu erfinden, mit denen man heftige Reaktionen in der konservativen Nutzerschicht mittleren Alters provoziere. Diese Personen teilen viele Inhalte auf Facebook, seien also seiner Meinung nach das ideale Publikum

Dazu der verweis auf das Interview: This is not an interview with Banksy

Hetze und Manipulation

So manipulativ diese Aussage auch klingen mag, es gibt Seiten, die gehen wesentlich schlimmer vor: so wie “Now8News” [Anmerkung: gelesen Now Hate News], die maßlose Verbrechergeschichten mit gestohlenen Polizeifotos verbreiten, in deren Verbreitung hauptsächlich Schwarze betroffen sind. Oder aber auch die “World News Daily Report”, die damit glänzt, indem sie Vorfälle über Ausländer (vornehmlich Moslems) erfindet, die angeblich Sex mit Tieren haben oder diese töten.

Man muss das an dieser Stelle nicht weiter verdeutlichen, dass es eben auch kompliziertere Gründe für Falschmeldungen gibt, welche keine wirtschaftlichen Antriebe haben, die jedoch das Bild des Hoaxes verändert haben. Dazu muss man eigentlich nur die Themen anschauen, die wir in den letzten Wochen entlarven mussten: Amerikanische Moslems, die sich zur ISIS bekennen zum Beispiel, oder Syrer die eine Invasion in New Orleans vornehmen. Diese Behauptungen stammen eben nicht von klassischen Fake- oder Hoaxseiten, sondern sie stammen von Partisanen-Blogger [Infokrieger, die Desinformationen verbreiten] denen bewusst ist, wie einfach es ist, mit dieser Art von Angstmacherei erfolgreich zu sein.

Ehrlich gesagt, dafür war diese Kolumne nicht gedacht. In dieser Weise macht sie keinen Sinn. Ich habe mit einigen Wissenschaftlern und Forschern über diese Phänomene gesprochen, weil sich das Ganze irgendwie aussichtlos angefühlt hat. Walter Quattrociocchi, der Leiter des Labors für Computational Social Science (CSS) am IMT Lucca in Italien, hat mehrere Jahre mit den Untersuchungen verbracht, wie sich Verschwörungstheorien und Fehlinformationen online verbreiten, und er konnte einige meiner Befürchtungen bestätigen: Im Wesentlichen, so erklärte er, ist derzeit das Misstrauen in Institutionen sehr hoch. Die gefühlte Wahrnemung sei so stark, dass die Menschen, welche diese Falschmeldungen aufnehmen und für wahr halten, eh nur auf der Suche nach dieser Art von Meldungen sind, da sie dadurch ihre Überzeugung bestätigt sehen – selbst wenn diese nachweislich falsch sind.

Siehe dazu auch: Ein Forscher erklärt, warum Falschmeldung in sozialen Netzwerken gut gedeihen.

Realitätsbewusstsein verschiebt sich

Wenn ich diesmal die Kolumne normal geschrieben hätte, wäre als Thema für diese Woche wahrscheinlich die weit verbreitete Meldung über die Richterin aus Alaska dran gewesen, die angeblich Obama für schuldig erklärte und in einem offenen Brief alle Gesetzeshüter dazu aufrief, den Präsidenten und den Kongress zu inhaftieren. Aber nach der Ansicht des eben erwähnten Walter Quattrociocchi (und das ist vielleicht intuitiv), würden genau diese Art von Meldungen bei uns auf Leser treffen, die sowieso diesen Unsinn nicht ohne Skepsis betrachten würden und auch nicht weiter überzeugt werden müssten.

Für mich zumindest sind wir jetzt an einem schrägen Punkt im Internet Diskurs angelangt – bei eben einer Frage, die ich auch schon vor ein paar Tagen ansprach. Ab welchem Punkt wird eine Gesellschaft völlig irrational?Ist es ab dem Punkt wo wir beginnen uns abzuspalten und in alternative Realitäten begeben?

„What was Fake“ entwickelte sich wirklich gut, aber die Art der Internet-Fehlinformationen hat sich verändert, und so wie sich dieses Jahr dem Ende zuneigt, werden auch wir uns Veränderungen unterwerfen. An dieser Stelle vielen Dank für das Lesen in den letzten anderthalb Jahren! Und immer daran denken: Wenn Zweifel über Nachricht oder Meldung aus einer unbekannten Quelle auftauchen, einfach das “About” oder „ImpressumDisclaimer“ durchlesen.

By Caitlin Dewey December 18
What was fake on the Internet this week: Why this is the final column
Washington Post


Mimikama

Wir haben ebenso diese Entwicklung bemerkt: der Ton ist rauer geworden, so manche Meldung bewusst falsch in die Welt gesetzt und die gefühlte Wahrnehmung vieler Menschen nicht zu wiederlegen. Jedoch bleiben wir weiter da, denn wer kämpft, kann zwar verlieren, wer jedoch nicht kämpft, hat bereits verloren.

Artikel – und Vorschaubild: marekuliasz / shutterstock.com

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