Nattokinase ist kein „Lebensretter für Spike-Impfgeschädigte“

Impfgegner haben ein neues Wundermittel für sich entdeckt: Laut einer japanischen Studie soll ein Produkt namens „Nattokinase“ den Körper von Spike-Proteinen, die durch die mRNA-Impfungen produziert werden, befreien. Doch das Verstehen von Studien ist so eine Sache…

Autor: Ralf Nowotny

Die Behauptung

Eine neue Studie soll aufzeigen, dass durch den Verzehr eines Mittels namens „Nattokinase“ die durch die Impfung im Körper produzierten Spike-Proteine vernichtet werden.

Unser Fazit

Es handelt sich bei dem beworbenen Produkt um nichts anderes als überteuerten Nepp, der zudem auch noch, selbst wenn es reine Nattokinase-Enzyme wären, keinerlei Wirkung hätte. Aus der rein im Labor durchgeführte Studie kann zudem unmöglich geschlossen werden, dass durch den Verzehr von Natto, in dem Nattokinase enthalten ist, Spike-Proteine im Körper vernichtet werden.

Faustregel: Wenn du glaubst, durch YouTube und Telegram mehr über Medizin zu wissen als Mediziner, die in ihrem Gebiet jahrelang studieren und forschen, dann überschätzt du dich maßlos. Deswegen sollte man nicht wirklich darauf hören, wenn ein Rechtsanwalt und Querdenker-Aktivist einem auf Telegram „Nattokinase“ als lebensrettendes Mittel gegen Coronaimpfungen andrehen will.

Der Jubel um das vermeintliche Wundermittel

Viele Impfgegner wurden anscheinend erst durch eine gewerbliche Anzeige auf dem Kanal eines in Querdenker-Kreisen bekannten Rechtsanwalts auf das vermeintliche Wundermittel aufmerksam:

MIMIKAMA
Werbung für Nattokinase, Quelle: Telegram

Stilecht mit Rabattcode, wie es sich für Influencer gehört, wird das Mittel beworben:

„Potenziell lebensrettende Wirkung der Nattokinase!
Japanisch/koreanische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Nattokinase in der Lage sein sollte, das hochtoxische Spike-Protein im Körper aufzulösen. Dies wirkt nicht nur gegen Corona-Viren, sondern auch gegen die Schadwirkung der sog. „Impfungen“.“

Gleich zwei Formulierungen in dem Text machen hellhörig: „Potenziell“ und „in der Lage sein sollte“ – Bereits in der Anzeige wird also subtil darauf hingewiesen, dass das Mittel nur vielleicht so wirkt, wie es beschrieben wird. Aber egal, dafür gibt man doch gerne mal 30 Euro für ein Fläschchen Natto-Presslinge aus, die durch den Verzehr im Magen landen und deren Enzyme dadurch nicht einmal in die Nähe von Spike-Proteinen kommen.

Auch auf Twitter wird Nattokinase geredet:

Tweets über das vermeintliche Wundermittel
Tweets über das vermeintliche Wundermittel

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Was ist Nattokinase?

Es gibt weltweit nur drei große Unternehmen, die Nattokinase produzieren: Contek Life Science (Taiwan), Daiwa Pharmaceutical und die Japanese Nattokinase Association (beide Japan).

Der Name „Nattokinase“ leitet sich aus dem japanischen Gericht „Natto“ ab, ein traditionelles japanisches Gericht aus Sojabohnen. Die Bohnen werden erst gekocht und dann durch Einwirkung des Bakteriums Bacillus subtilis fermentiert. Um die Bohnen entsteht dadurch ein fädenziehender Schleim, und in diesem Schleim befindet sich auch das Enzym Nattokinase.

Laut der Beschreibung des auf Telegram beworbenen Produkts (siehe HIER, „1 Pressling enthält 2,5g BIO natürlichem Natto ohne Zusatzstoffe“) kauft ihr also kein reines Nattokinase, sondern einfach nur furchtbar überteuertes Natto.

Besonders in der „Alternativmedizin“ wird das im Natto enthaltene Enzym Nattokinase als Nahrungsergänzungsmittel bejubelt, da es unter anderem bei Herzerkrankungen, Schlaganfällen, Thrombosen und Unfruchtbarkeit helfen soll. Jedoch muss erwähnt werden, dass es sich in vielen Punkten um „traditionelle Wirkungen“ handelt, die wissenschaftlich noch nicht einwandfrei nachgewiesen wurden. Zumindest eine gerinnungshemmende Wirkung ist nachgewiesen, weswegen das Nahrungsergänzungsmittel nie zusammen mit anderen Gerinnungshemmern eingenommen werden sollte.

Die Studie

Da das Enzym tatsächlich nur in Natto zu finden ist und, wie oben erwähnt, zumindest traditionelle Wirkungen hat, ist es für Wissenschaftler natürlich interessant, ob sich nicht noch andere Wirkungen nachweisen lassen. Aus diesem Grund entstand eine Studie, in der untersucht wurde, ob das Enzym auch gegen das Spike-Protein des SARS-CoV-2 Virus einsetzbar ist.

Die Studie (siehe HIER) trägt den Titel „Degradative Wirkung von Nattokinase auf das Spike-Protein von SARS-CoV-2“. In der Zusammenfassung der Studie steht:

„In dieser Studie untersuchten wir die Wirkung von Nattokinase auf das S-Protein von SARS-CoV-2. […] Die Immunfluoreszenzanalyse zeigte, dass das S-Protein auf der Zelloberfläche abgebaut wurde, wenn Nattokinase dem Kulturmedium zugesetzt wurde. Unsere Ergebnisse deuten also darauf hin, dass Nattokinase das Potenzial hat, die SARS-CoV-2-Infektion über den Abbau des S-Proteins zu hemmen.“

Bereits in dieser kleinen Zusammenfassung ist ein wichtiges Wort, welches anscheinend von vielen überlesen wird: „Kulturmedium“. Denn der Versuch fand nicht etwa an Menschen oder Tieren statt, sondern in Zellkulturen in einem Labor. Und diese Ergebnisse lassen sich unmöglich 1:1 auf Menschen übertragen!

Was also herauskam: In einer Petrischale konnte durch gezielten Einsatz des Enzyms an Zellen, die durch das Spike-Protein des Corona-Virus quasi „angepiekst“ wurden, diese Enzyme das Spike-Protein abbauen und somit eine Corona-Infektion potenziell hemmen.

Somit ist die Studie ein interessanter Ansatz, wie eine Corona-Infektion gemildert oder sogar gestoppt werden könnte. Aber eben nur ein möglicher Ansatz, an dem noch sehr viel weiter geforscht werden muss.

Warum die Studie etwas anderes aussagt als behauptet wird

Für die ganz Eiligen: Auch das Entwurmungsmittel Ivermectin wirkt in der Petrischale gegen SARS-CoV-2, bei Menschen jedoch ist es unwirksam bis hochgiftig. Allgemein können sogenannte „in vitro“ Erkenntnisse nicht 1:1 auf Menschen übertragen werden.

MIMIKAMA
Quelle: xkcd

Es genügt dafür schon nicht nur das Wissen, dass das Enzym nicht nur direkt in einer Petrischale auf die befallenen Zellen angewendet wurde, sondern auch die genannten Parameter in der Studie, welche zu dem Ergebnis führten.

So wurden in den jeweiligen Experimenten extrem hohe Konzentrationen verwendet, die unmöglich direkt auf Menschen übertragbar sind, wenn man nicht gerade täglich kiloweise Natto essen will – und auch das wäre nicht hilfreich, da durch das alleinige Essen nicht garantiert ist, dass die Nattokinase-Enzyme auch exakt zu den Spike-Proteinen finden und dort bis zu 9 Stunden in Ruhe „arbeiten“ können.

Auch geht es in der Studie nicht um Spike-Proteine, die durch die mRNA-Impfungen in den Zellen für eine kurze Zeit erzeugt werden, denn diese finden sich dann nicht überall im Körper, sondern zum allergrößten Teil in den Muskelzellen der Impfstelle. Nur sehr vereinzelt können diese Spike-Proteine auch in die Blutbahn gelangen, sind dort allerdings nur wenige Stunden nachweisbar, bevor sie vom Immunsystem vernichtet werden.

Dies zeigt übrigens wieder einen der bizarren Widersprüche bei Impfgegnern auf: Einerseits ist ja das eigene Immunsystem stark genug, sodass man keine Impfung bräuchte, aber andererseits müssten die durch die Impfung entstandenen Spike-Proteine extra „ausgeleitet“ oder „vernichtet“ werden, da das Immunsystem nicht mit ihnen zurechtkommt?

Um also mit Nattokinase irgendwie Spike-Proteine der Impfung zu zerstören, müssten die Enzyme im Prinzip zeitgleich oder sehr kurze Zeit später genau an der Impfstelle injiziert werden – und würden dabei aber nicht nur die Spike-Proteine, sondern wahrscheinlich auch Gewebe zerstören.

Fassen wir zusammen

  • Das beworbene Nahrungsergänzungsmittel ist im Prinzip nur sehr überteuertes Natto, welches es in japanischen Restaurants weitaus günstiger gibt
  • Die im Natto enthaltenen Nattokinase-Enzyme (welche nicht wirklich Kinasen sind, wie der Name vermutet, sondern Proteasen), landen durch das Essen im Magen bei all den anderen Proteasen-Enzymen, die für die Nahrungsverdauung zuständig sind – man verbessert dadurch also einfach nur kurzfristig und sehr geringfügig die Verdauung
  • Im Magen können die Nattokinase-Enzyme gar nichts gegen Spike-Proteine ausrichten, denn diese finden sich zum allergrößten Teil im Muskelgewebe der Impfstelle
  • Das angebotene Mittel soll für drei Monate eingenommen werden – dabei sind auch die letzten Spike-Proteine, die durch die Impfung produziert wurden, bereits nach wenigen Tagen nicht mehr vorhanden, da sie durch das Immunsystem vernichtet wurden
  • Die Studie wurde im Labor mit hoch konzentrierten Nattokinase-Enzymen direkt auf befallene Zellen angewandt, die Ergebnisse lassen sich unmöglich 1:1 auf Menschen übertragen – erst recht nicht auf durch die Impfung produzierten Spike-Proteine

Es handelt sich bei dem beworbenen Produkt also um nichts anderes als überteuerten Nepp, der zudem auch noch, selbst wenn es reine Nattokinase-Enzyme wären, keinerlei Wirkung hätte. Aus der rein im Labor durchgeführte Studie kann zudem unmöglich geschlossen werden, dass durch den Verzehr von Natto, in dem Nattokinase enthalten ist, Spike-Proteine im Körper vernichtet werden.

Weitere Quelle:

AFP
Auch interessant: Die Omikron-Subvariante XBB.1.5 ist derzeit besonders in den USA sehr verbreitet. Da lässt ein Tweet der New Yorker Gesundheitsbehörde Impfgegner jubeln: Diese Subvariante befalle angeblich besonders Geimpfte und Genesene. Doch der zugrundeliegende Text hat eine andere Aussage!
Subvariante XBB.1.5 infiziert nicht stärker Geimpfte und Genesene!

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