Normalität – ein scheinbar harmloses Konzept, das im Alltag oft gebraucht wird. Aber was bedeutet es eigentlich, normal zu sein? Wer bestimmt, was normal ist und was geschieht mit jenen, die als ’nicht-normal‘ gelten? In unserer Gesellschaft hat der Begriff „normal“ durch die jüngste Nutzung durch diverse Politikerinnen und Politiker mit Machtstellungen eine beunruhigende Dynamik erlangt.

Was ist „normal“? Ist es Frida von nebenan, die regelmäßig im Prater walken geht? Oder ist Robert normal, da er jeden Tag aufsteht und zur Arbeit geht? Bin ich normal, der seine Fußnägel lackieren lässt, weil sie dann schöner aussehen? Ist Verena normal, die mit Trisomie 21 geboren wurde und jeden Tag in den Lebenshilfe-Werkstätten arbeitet? Was ist normal? Und was geschieht mit Menschen, die nicht in dieses Raster fallen?

Obacht, liebe Freunde dieser Kolumne, dieser Begriff kann schnell umschlagen und auch verwendet werden, um Menschen auszugrenzen oder gar zu kriminalisieren, die nicht dem vorherrschenden Standard entsprechen. Und das hat weitreichende Folgen.

Was bedeutet „normal“?

Schauen wir neutral auf das Wort. Der Begriff „normal“ ist dehnbar und subjektiv. Seine Definition variiert von Kultur zu Kultur, von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Individuum zu Individuum. Im Wesentlichen bedeutet „normal“ oft einfach das, was der Mehrheit entspricht oder was gesellschaftlich akzeptiert wird. Doch diese Definition wirft eine Frage auf: Wer bestimmt, was die Mehrheit darstellt oder was gesellschaftlich akzeptiert wird?

Die Macht, das „Normale“ zu definieren

Die Macht, das ‚Normale‘ zu definieren, liegt oft bei denjenigen, die die gesellschaftlichen Normen und Werte dominieren. Das können Regierungen, religiöse Institutionen, Medien oder einflussreiche Personen sein. Sie formen den Rahmen dessen, was als akzeptabel und somit als ’normal‘ angesehen wird.

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Das kann sich alles erst mal ganz gut und schön anhören – Extremisten sind nicht normal. Natürlich sind wir uns alle einig, dass geltende Gesetze eingehalten werden müssen. Es ist zu einfach, sich das Bild des „Extremismus“ zu nehmen und daran Normalität zu definieren. Schnell können Gruppen auch in diesem Kontext geframet werden, die kriminalisiert werden sollen, nur weil sie der eigenen Position unliebsam sind. Ich mag das nicht weiter bewerten, doch halte ich es für problematisch. Ich denke jedoch, dass es bei der Beurteilung von Extremismus in Bezug auf Gesetze nicht um „normal“ gehen soll, sondern um die Vermeidung von Gewalt, Wahrung von Freiheit und auch Wahrung von Besitz und vor allem Wahrung körperlicher Unversehrtheit. Und das ist nicht „normal“, sondern muss gesellschaftlicher Konsens sein.

Denn Vorsicht, der Begriff „normal“ kann dazu verwendet werden, jene zu kriminalisieren oder zu marginalisieren, die von der Norm abweichen. Menschen, deren Lebensstil, Überzeugungen, Verhalten oder Aussehen von der akzeptierten ‚Normalität‘ abweichen, können ausgegrenzt, diskriminiert oder sogar angegriffen werden. Das schafft eine Gesellschaft, die Uniformität über Diversität stellt und die individuelle Freiheit unterdrückt.

Die Auswirkungen auf vermeintlich „nicht-normale“ Individuen

Für diejenigen, die als ’nicht-normal‘ gelten, kann das Leben schwierig sein. Sie können sich isoliert, verängstigt und missverstanden fühlen. Sie können von Bildung, Arbeitsmöglichkeiten oder sozialen Leistungen ausgeschlossen sein. Und in extremen Fällen können sie sogar Ziel von Gewalt und Hassverbrechen werden.

Wir müssen da gar nicht weit schauen, ein Blick nach Ungarn reicht völlig! Ungarn hat im April versucht, ein Gesetz „zum Schutz der ungarischen Lebensweise“ zu etablieren. Darin ging es um die „verfassungsmäßige Rolle von Ehe und Familie“. Dieses Gesetz ist international auf heftige Kritik gestoßen und kam letzten Endes so nicht zustande. Dennoch zeigt es, wenn „Vater, Mutter, Kind“ als normal definiert werden, gelten „Mutter, Mutter, Kind“ oder noch schneller „Vater, Vater, Kind“ als nicht-normal. Ebenso kann „Mutter, Kind“, bzw. „Vater, Kind“ dann schnell geächtet werden. Ungut!

Denn hier lauert eine düstere Gefahr: Wenn die Gesellschaft Menschen als ’nicht-normal‘ brandmarkt, kann das dazu führen, dass einzelne Personen oder Gruppen es als ihr Recht oder sogar ihre Pflicht ansehen, gegen diese Menschen vorzugehen. Das kann zu Mobbing, Diskriminierung und sogar zu physischer Gewalt führen. Wenn ein Staat zudem beginnt, bestimmte Lebensweisen zu kriminalisieren, fallen dann diese Lebensweisen schnell und „kriminell“ oder gar „extrem“.

Die Rolle der Demokratie

Eine echte Demokratie schützt ihre Minderheiten. Sie definiert meines Erachtens nicht, was „normal“ ist, sondern erkennt an, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer ‚Normalität‘, gleichwertig und wertvoll sind. Sie fördert Vielfalt und Inklusion und setzt sich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung ein.

In einer wahrhaft und wehrhaft demokratischen Gesellschaft wird nicht nur eine einzige Form von „Normalität“ anerkannt und geschätzt, sondern eine Vielzahl von Lebensformen, Meinungen, Glaubensrichtungen und Identitäten. Die Demokratie lebt von der Anerkennung dieser Diversität und der Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger. Sie schützt ihre Minderheiten und stellt sicher, dass ihre Stimmen gehört und ihre Rechte gewahrt werden.

Die Rolle der Demokratie besteht also auch darin, der Gefahr entgegenzuwirken, die entsteht, wenn „Normalität“ als Machtinstrument verwendet wird. Sie muss ein Gegengewicht zur Ausgrenzung und Diskriminierung bieten, die aus einer engen und einseitigen Definition von ‚Normalität‘ resultieren können.

„Darüber hinaus sollte eine Demokratie aktiv daran arbeiten, Gesetze und Verordnungen zu erlassen, die Diskriminierung verbieten und die Gleichbehandlung aller Bürgerinnen und Bürger sicherstellen. Sie muss auch Mechanismen schaffen, die es Menschen ermöglichen, Diskriminierung und Ungerechtigkeit zu melden und dagegen vorzugehen.

„Normalität“ darf nicht Gesetze bestimmen oder umgekehrt. Gesetze sollten meines Erachtens, wie auch bereits angeführt, das Leben innerhalb einer Gemeinschaft regeln und, ich wiederhole es nochmals deutlich, zur Vermeidung von Gewalt, Wahrung von Freiheit und auch Wahrung von Besitz und vor allem Wahrung körperlicher Unversehrtheit dienen.

Wir müssen uns meiner Meinung nach daher zügig von der „toxischen Normalität“ befreien und erkennen, dass es keine universelle „Normalität“ gibt. Zumindest mag ich mir nicht erlauben, zu definieren, was „normal“ ist. Es geht nicht daru, den Begriff zu verbieten (ich mag Verbote generell nicht), sondern sehr sensibel damit umzugehen. Ansonsten haben wir auf einmal am Ende eine Menge Gruppen, die sich als „normal“ ansehen und sich bekämpfen. Oder gar schlimmer: Gruppen ohne Lobby, die kriminalisiert und bekämpft werden.

Dies ist eine Kolumne!

Eine Kolumne ist eine regelmäßig erscheinende Publikation, in der ein Autor oder eine Autorin seine oder ihre Ansichten und Meinungen zu einem bestimmten Thema, Ereignis oder einer Angelegenheit darlegt. Kolumnen können Themen aus der Politik, Kultur, Gesellschaft oder jedem anderen Bereich des öffentlichen Lebens aufgreifen.

Wesentlich für eine Kolumne ist ihr Charakter als Meinungsbeitrag. Anders als in insbesondere unseren Faktenchecks, wo Objektivität und Neutralität im Vordergrund stehen, sind Kolumnen geprägt durch die subjektive Sicht des Autors oder der Autorin. Sie beeinflussen nicht die Ergebnisse anderer Publikationen auf Mimikama. Sie dienen als Plattform, um persönliche Standpunkte, Bewertungen und Interpretationen auszudrücken. Dabei können sie zur Meinungsbildung und Diskussion anregen und den Leserinnen und Lesern neue Perspektiven aufzeigen.

Unterstütze jetzt Mimikama – Für Wahrheit und Demokratie! Gründlicher Recherchen und das Bekämpfen von Falschinformationen sind heute wichtiger für unsere Demokratie als jemals zuvor. Unsere Inhalte sind frei zugänglich, weil jeder das Recht auf verlässliche Informationen hat. Unterstützen Sie Mimikama

Mehr von Mimikama

Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.
2) Einzelne Beiträge entstanden durch den Einsatz von maschineller Hilfe und wurde vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)