Ukrainischer Justizminister in gestohlenem, deutschen Auto unterwegs?

Warum wärmen prorussische Kreise die alte Geschichte von 2011 gerade wieder auf? Da steckt mehr dahinter…

Autor: Walter Feichtinger

Die Behauptung

Wer hätte das gedacht: Ukrainischer Minister im gestohlenen Mercedes unterwegs. Der Justizminister nutzt als Dienstwagen einen Mercedes GL 420, der seit Januar 2010 in Deutschland als gestohlen gemeldet ist. Wundert sich keiner darüber?

Unser Fazit

Wir wundern uns nur, dass der Mini-Skandal von 2011 jetzt wieder Thema ist. Ja, ukrainische Gesetze machten damals die Nutzung des beschlagnahmten, gestohlenen Fahrzeugs möglich. Aber der jetzige Justizminister ist erst seit 2019 im Amt, der Fall hat nichts mit ihm und der aktuellen Regierung zu tun.
Es geht vielmehr darum, die rezenten Vorstöße von Minister Denys Maljuska zu delegitimieren: die Verwendung der Gelder auf gesperrten, russischen Konten als Reparationszahlungen und die Anklage von Putin als Kriegsverbrecher.

Die Geschichte lautet so: Der ukrainische Justizminister nutzt ein Fahrzeug als Dienstwagen, das zuvor in Deutschland als gestohlen gemeldet wurde. Einige wichtige Details werden jedoch gerne ausgelassen:

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Der ukrainische Innenminister Schlawi…blowich – scheißegal, Namen sind Schall und Rauch – wurde jetzt erwischt. Was heißt hier erwischt, natürlich ist das in der Ukraine auch so, dass die Parteien untereinander an den Stühlen sägen. Da geht’s ja hier um… [Geste des Münzenreibens] … Dickes. So, er wurde erwischt und zwar fährt er einen Dienstwagen, einen Mercedes GL 420. Dieser wurde 2010 in Deutschland geklaut, als gestohlen gemeldet.

Vlogger Sven K am 28.11.2022 auf seinem YouTube-Kanal
MIMIKAMA
Ein weiteres Beispiel für die vielen Postings auf Twitter und Facebook

Anno 2011 – Der Justizminister und der gestohlene Dienstwagen

Über die Ereignisse um einen gestohlenen Mercedes, der eine zweite Karriere als Dienstwagen in der Ukraine machte, wurde damals ausführlich in deutschen Medien berichtet. Der geleaste Luxuswagen war auf eine deutsche Bauelemente-Firma zugelassen und wurde im Jänner 2010 als gestohlen gemeldet. Die Interpol gab eine Fahndung für Fahrzeug heraus und er wurde schließlich beim Grenzübertritt zur Ukraine sichergestellt. Geschmuggelt hatten ihn die Besitzer selbst, die zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.

Ein Gesetz in der Ukraine sieht vor, dass solche geschleppten Fahrzeuge vom Staat beschlagnahmt werden können – auch wenn der Besitzer bekannt ist und das Fahrzeug direkt zurückgegeben werden könnte. Der Mercedes 420 GL avancierte allerdings zum Dienstfahrzeug des damaligen ukrainischen Justizministers Olexandr Lawrynowytsch. 2011 machte dann ein Politiker des Koalitionspartners die Geschichte öffentlich. Der Mini-Skandal ebbte schnell ab. Der Vorgang war legal, wenn auch moralisch fragwürdig. Und nun, 11 Jahre später, taucht das Thema wieder in den sozialen Medien auf.

Anderer Justizminister, andere Regierung

Olexandr Lawrynowytsch war als Justizminister Mitglied der prorussischen Regierungskoalition Asarow I (März 2010 bis Dezember 2012) und blieb noch während der zweiten Periode des Kabinetts Asarow II für etwa ein halbes Jahr im Amt – bis Juli 2013. Seit dem gab es fünf weitere Regierungsumbildungen. Der aktuelle Justizminister des Kabinetts Schmyhal (unter Präsident Wolodymyr Selenskyj) heißt Denys Leontijowytsch Maljuska. Er übt dieses Amt seit August 2019 aus.

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Foto: Justizministerium der Ukraine

Der Fall mit dem gestohlenen Dienstwagen hat also überhaupt nichts mit dem jetzigen Justizminister zu tun. Wer hinter den medialen Angriffen steckt, hat sich der Faktenfuchs des Bayrischen Rundfunks genau angesehen. Es handelt sich dabei um die AfD, prorussische Telegramkanäle und Influencer wie Alina Lipp. Sie greifen dabei auf einen alten Artikel von auto.de zurück und lassen dabei gerne den Zeitpunkt der Meldung außer Acht.

Vorstoß des aktuellen Justizministers

Warum wird nun ein 11 Jahre altes Thema wieder hervorgekramt und versucht den aktuellen Justizminister zu delegitimieren? Das lässt sich sehr einfach beantworten. Am 29.11. trafen sich die Justizminister der G7-Staaten in Berlin. Hauptthema: Die Ermittlungen zu den in der Ukraine verübten Kriegsverbrechen. Justizminister Denys Maljuska forderte bereits im Vorfeld einen „Entschädigungsmechanismus“. So sollten z.B. Gelder auf europäischen Konten, die im Zuge der Sanktionen gegen Russland eingefroren wurden, direkt an die Ukraine überwiesen werden.

„Russland muss das ukrainische Volk für den Schaden bezahlen, den es in diesem Krieg angerichtet hat“, wird Maljuska von den Zeitungen der Funke-Mediengruppe zitiert. „Russland muss Reparationen zahlen, wie wir es in vergangenen Kriegen in anderen Regionen gesehen haben.“ Er geht von Schäden in der Höhe von 150 Milliarden Dollar aus, „der den wirtschaftlichen Schaden nicht einschließt, und der die Kosten für die Verletzten und Kriegsopfer und ihre Familien nicht einschließt“.

Die Gegenoffensive der Ukraine hat die russische Militärführung überrascht, deshalb blieben viele Beweise für Kriegsverbrechen zurück. Bei der Beweissicherung arbeiten staatliche und nicht-staatliche Kräfte im In- und Ausland zusammen. Denn viele Betroffene haben die Ukraine inzwischen verlassen. „Der Internationale Gerichtshof sammelt ebenfalls Beweise für Kriegsverbrechen in der Ukraine. Diese ganzen Informationen werden für künftige Entschädigungsforderungen wichtig sein“, erzählte Maljuska der TAZ.

Das Wichtigste ist: die Hauptverantwortlichen, nämlich den russischen Präsidenten Wladimir Putin und sein Team, vor ein Sondergericht zu bringen.

Justizminister Denys Maljuska im Interview mit der TAZ

FAZIT

Ja, die Geschichte mit dem Dienstwagen ist so 2011 wirklich passiert. Der aktuelle Justizminister hat allerdings nichts mit der Sache zu tun. Die Geschichte wird momentan nur hervorgekramt, um die wichtigen Anliegen von Denys Maljuska zu delegitimieren: Entschädigungszahlungen für die Kriegsschäden und eine Anklage von Putin vor dem internationalen Gerichtshof.

Pikantes Randdetail: Es gibt auch in Russland ein ähnliches Gesetz, das verhindert, dass gestohlene und geschmuggelte Fahrzeuge zurückgegeben werden müssen. Sobald ein Jahr vergangen ist und ein ordentlicher Kaufvertrag besteht, gehört das Fahrzeug endgültig dem neuen Besitzer und der alte schaut durch die Finger. In den Niederlanden ist das übrigens nicht viel anders.


Quellen: Ukrajinska Prawda, Ukrainisches Justizministerium, BR24 Faktenfuchs, auto.de, RND, TAZ, Der Spiegel
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