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Fakenews stammen meistens von unseriösen Seiten auf Facebook wie im übrigen WWW – manchmal sind aber auch die sogenannten Qualitätsmedien vor handwerklichen Fehlern nicht geschützt. So sind in der Vergangenheit durchaus schon Medienvertreter auf Artikel bekannter Satireseiten hereingefallen. Häufigster Grund für falsche Aussagen sind fehlende Recherche und unsaubere Formulierungen. Ein aktuelles Beispiel vom Focus.

Der Mord an den neunjährigen Jaden hat ganz Deutschland schockiert. Offenbar aus purer Mordlust soll der 19jähriger Marcel H. den Jungen umgebracht haben, machte anschließend Fotos und Videos von der Leiche und stellte diese ins sogenannte Darknet.

Dabei soll er auch zutiefst menschenverachtende Kommentare abgegeben haben, die das Opfer auf ein bloßes Objekt reduzierten. Auf eine Wiederholung möchte ich an dieser Stelle daher verzichten. Um nicht entdeckt zu werden soll der Teenager später noch einen Freund getötet und anschließend die Wohnung angezündet haben.

Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht?

Viele Menschen fragen sich, wie mit so einem Menschen zu verfahren sei. Neben den Gewaltfantasien unbeteiligter Kommentatoren, die irgendwo im Bereich Frühmittelalter anzusiedeln sind, gibt es auch das Recht, das wir aus guten Gründen haben und sich unsere Vorfahren teils blutig erkämpfen mussten.

Der Focus[1] wollte dem ganzen auf dem Grund gehen und fragte daher den Strafrechtler Dr. Jesko Baumhöfener. Der Anfang liest sich, wenn er auch verkürzt ist, zumindest nicht verkehrt: Als 19jähriger gelte Marcel H. noch als Heranwachsender, er könnte also sowohl nach Erwachsenen- als auch nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Dabei ist die Gesamtpersönlichkeit zu betrachten: Ist Marcel H. noch auf dem Niveau eines Jugendlichen?

Automatische Entlassung nach 15 Jahren?

Anschließend scheint sich der Focus aber lieber auf die eigene Bildung verlassen zu haben – was bei komplexen Rechtsthemen vielleicht nicht die beste Entscheidung war. Vielleicht hat man aber auch ganz viel ganz falsch verstanden.

So behauptet man:

Sollte H. nach Erwachsenenstrafrecht wegen Mordes verurteilt werden, so droht ihm lebenslänglich – das sind nach deutschem Recht 15 Jahre Gefängnis.

Um diese völlig falsche Aussage noch zu unterstreichen betont man dann:

Das Gericht könnte auch die besondere Schwere der Schuld feststellen. Das würde bedeuten, dass er nicht automatisch nach 15 Jahren entlassen wird.

Stimmt das wirklich? Wird ein Mörder immer automatisch nach 15 Jahren entlassen, wenn nicht die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde?

Lebenslang ist grundsätzlich lebenslang

Das Schöne am Recht ist, dass es manchmal richtig einfach zu beantworten ist. Ein Blick ins Gesetz, so wird es jeder Jurist sagen, erleichtert nämlich ganz erheblich die Rechtsfindung. Und da ist §57a StGB hilfreich, in dem es in Absatz 1 heißt:

Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

  1.  fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
  2.  nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
  3.  die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.

Der Focus hat hierbei Punkt 3 völlig ignoriert. Denn auf Bewährung kommt der Verurteilte nur unter folgenden Bedingungen heraus:

Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann und die verurteilte Person einwilligt.

Dies ist regelmäßig nicht der Fall, und die Haft dauert länger. Wie lange ein „Lebenslänglicher“ letztlich wirklich in der JVA verbringt kann sich deshalb von Fall zu Fall erheblich unterscheiden. Es gibt sowohl Fälle, wo eine Entlassung nach 15 Jahren stattfand, andere wiederrum verbringen hingegen wirklich ihr ganzes Leben hinter Gittern und sterben dort nach einigen Jahrzehnten. Zwar gibt es nur wenige statistische Zahlen, Wikipedia[2] gibt aber ein interessantes Beispiel an:

Zwischen 1996 und 2000 wurden aus der JVA Straubing (nur von dort gibt es hierüber Daten) 25 Gefangene mit diesem Urteil entlassen, davon vier nach 15 Jahren, einer nach 37 Jahren Haft (längste Haftdauer).

Die durchschnittliche Haftdauer bei allen „Lebenslänglichen“ beträgt 19,9 Jahre, worauf auch der vom Focus befragte Experte hinweist – wie man dennoch darauf kommt, dass bei einer durchschnittlichen Verweildauer von rund 20 Jahren alle bis auf ganz wenige Einzelfälle mit besonderer Schwere der Schuld automatisch nach 15 Jahren frei kommt leuchtet einem überhaupt nicht ein. Das wäre wohl eine statistische Unmöglichkeit.

Übrigens ist der zweite Punkt bei den Voraussetzungen nach Punkt 3 besonders interessant – denn wenn die verurteilte Person nicht einwilligt bleibt sie weiterhin in der JVA. Einzelne Gefangene wünschen sich das, weil sie glauben nicht mehr in Freiheit klar kommen zu können. Die Verurteilten von Stephen King sowie dessen gleichnamige Verfilmung handeln davon und sind wärmstens zu empfehlen.

Die Entscheidung muss dann regelmäßig überprüft werden, § 57a Absatz 4 setzt dabei die Höchstfrist fest:

Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

Was ist jetzt eigentlich die Sicherheitsverwahrung?

Ein dicker Fauxpas ist dem Focus dann allerdings nicht genug, denn wenig später schreiben die Autoren auch noch etwas von der Sicherheitsverwahrung. Kann Marcel H. Sicherheitsverwahrung „oben drauf“ bekommen? Die klare Antwort: Nein!

Denn eine Sicherheitsverwahrung kennt das deutsche Recht nicht. Gemeint ist wahrscheinlich die Sicherungsverwahrung. Hier geht es aber eben nicht nur um die Sicherheit, weshalb der erste Begriff falsch ist. Die Sicherungsverwahrung ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Sie ist nicht nur das schärfste sondern aus gutem Grund auch eines der am umstrittensten Schwerter des deutschen Rechtsstaats.

Hierbei wird der Gefangene, obwohl er seine Schuld abgesessen hat, weiterhin in Gefangenschaft gehalten. Zahlreiche Strafverteidiger weisen dabei auf die Pflicht hin, dass auch Mörder, Vergewaltiger und Co. resozialisiert werden müssen. Ist jemand so gefährlich, dass er nach Schuldverbüßung weiterhin hinter „schwedischen Gardinen“ sitzen muss, sei er psychisch krank und damit in einer forensischen Klinik besser aufgehoben. Diese Möglichkeit gebe es – und die Sicherungsverwahrung damit überflüssig und bloß billiger Ersatz.

Was Marcel H. wirklich blüht

Zunächst einmal muss zweifelsfrei feststehen, dass H. die Morde begangen hat. Zwar gehen die Kommentatoren landauf, landab schon gesichert davon aus, das Gericht darf das aber nicht. Ansonsten könnten die Richter schnell als befangen gelten. Es gab schon zahlreiche falsche Geständnisse, H. könnte auch nur Helfer für die Morde gewesen sein und danach entsprechende Foto- und Videobeweise angefertigt haben. Darauf weist zwar nichts hin, ausgeschlossen ist es aber eben auch nicht. Das Gericht muss dort sauber vorgehen wie in jedem anderen Fall auch.

Was für ein Urteil letztlich wirklich fällt, wenn ihm die Taten nachgewiesen werden, lässt sich bisher nicht sagen. Möglich ist eine verminderte Schuldfähigkeit, aber auch eine Schuldunfähigkeit kann nicht ausgeschlossen werden. Das bedeutet aber nicht, dass H. danach frei wäre. Auch hier hilft ein Blick ins Gesetz, § 63:

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Bei einer solchen Unterbringung hätte H. sogar noch schlechtere Karten, frei zu kommen – die Verweildauer liegt häufig höher als wenn die Person zu einer Haftstrafe verurteilt worden wäre.

Bei einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht liegt die Höchststrafe bei 10 Jahren, in sehr speziellen Fällen bei 15 Jahren. Dieser relativ neue Paragraph könnte hier wohl erstmalig angewandt werden. Auch im Jugendstrafrecht ist die Sicherungsverwahrung möglich.

Und was ist mit den ganzen Facebook-Posts?

Immer wieder liest man auf Facebook von Fällen, wo das Alles aber irgendwie völlig anders abgelaufen ist. Hier scheint man dann entweder dieselbe Recherchegenauigkeit wie beim Focus vorzuliegen, oder es handelt sich um eine völlig frei erfundene Geschichte. Das gilt übrigens auch in den Fällen, wo immer davon gesprochen wird, dass es in Deutschland immer mehr Schwerverbrechen gäbe.

Die Tageszeitung WELT hat darauf mal mit Zahlen wie auch einer kleinen Erklärung bezüglich der realen Fälle geantwortet:

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Bis 1993 waren übrigens die neuen Bundesländer noch gar nicht mit erfasst…

Wenn der Mord an Jaden auch besonders brutal und die Nachtathandlungen besonders widerwärtig waren – generell ist die Sicherheitslage in Deutschland weit besser als in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten.

Manchmal fragt man nach der Moral von der Geschichte. Hier sieht man einmal, wie ein „Qualitätsmedium“ falsche Fakten verbreitet. Das aber wahrscheinlich nicht mal aus Böswilligkeit, sondern weil man es selber nicht besser wusste.

Leider kommt so etwas in einer Zeit, wo nicht die Genauigkeit, sondern die Schnelligkeit zählt um ja als erster darüber zu berichten und sich die besten Quoten zu sichern, immer wieder vor. Das ist schade und stärkt letztlich nur noch die Lügenpresse-Rufe.

Artikelvorschau: Inked Pixels / Shutterstock.com


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