WHO will nicht Menschenrechte aus den „Internationalen Gesundheitsvorschriften“ streichen!

Die WHO soll auch nicht in eine Diktatur umgewandelt werden.

Autor: Walter Feichtinger

Die Behauptung

Der Artikel, der Würde, Menschenrechte und Grundfreiheiten behandelt, soll aus den Internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO gestrichen werden.
Außerdem soll die WHO zu einer medizinischen Weltmacht umgebaut und WHO-Chef Tedros in den Rang eines Diktators gehoben werden.

Unser Fazit

Der Abschnitt über „Würde, Menschenrechte und Grundfreiheiten“ soll nicht aus den Internationalen Gesundheitsvorschriften gestrichen werden. Dabei handelt es sich aktuell nur um einen Vorschlag eines der 194 Mitgliedsländer der WHO. Diese soll auch nicht in eine Diktatur umgewandelt werden, dem widersprechen die WHO-Verfassung und ihr Generaldirektor.

In einem Video, das seit dem Jahreswechsel im Umlauf ist und auf verschiedenen SocialMediaKanälen geteilt wird, wird behauptet, dass die WHO die Menschenrechte aus ihren „Internationalen Gesundheitsvorschriften“ streichen möchte. Außerdem soll sie in eine Diktatur umgewandelt werden. Beides sind Falschbehauptungen.

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Was sind die Internationalen Gesundheitsvorschriften?

Die Internationalen Gesundheitsvorschriften (international health regulations, IHR) sind ein völkerrechtlicher Vertrag der Weltgesundheitsorganisation, der seit 1971 in Kraft ist. Im Juni 2005 wurden diese Vorschriften novelliert, um zunehmenden Verbreitung vom Infektionskrankheiten aufgrund der Globalisierung gerecht zu werden. Diese dritte Fassung ist seit dem 15. Juni 2007 völkerrechtlich verbindlich, die amtliche, deutsche Übersetzung des Textes findet sich im BGBl. II S. 930.

Die Vorschriften gelten für alle Ereignisse, die eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen können, und stellen einen Rahmen für die internationale Zusammenarbeit zur Eindämmung von Infektionskrankheiten dar. Ein Hauptziel der IHR ist es, die weltweite Verbreitung von Krankheiten zu verhindern, indem Vorschriften für den Austausch von Informationen und für die Überwachung und Kontrolle von Ereignissen festgelegt werden.

Zweck und Anwendungsbereich dieser Vorschriften bestehen darin, die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen, davor zu schützen und dagegen Gesundheitsschutzmaßnahmen einzuleiten, und zwar auf eine Art und Weise, die den Gefahren für die öffentliche Gesundheit entspricht und auf diese beschränkt ist und eine unnötige Beeinträchtigung des internationalen Verkehrs und Handels vermeidet.

Artikel 2: Zweck und Anwendungsbereich

Der aktuelle Novellierungsprozess der IHR

Im Vorfeld der 75. Weltgesundheitsversammlung der WHO, die vom 22. bis zum 28. Mai 2022 in Genf stattfand, brachten die USA einen Änderungsantrag an den Internationalen Gesundheitsvorschriften ein. Obwohl viele Länder „mit der Grundrichtung der Vorschläge einverstanden“ waren (Zitat: Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums), gab es während der Versammlung keine Entscheidung darüber. Weitere Staaten brachten eigene Reformvorschläge ein.

Laut Lancet war der hauptsächliche Grund für die Änderungsvorschläge die Erkenntnis, dass die internationale Gemeinschaft nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie nicht ausreichend koordiniert gegen die Ausbreitung des Virus vorgehen konnte. Eine Arbeitsgruppe sollte sich die Vorschläge ansehen, sie zu einem Paket schnüren und technische Empfehlungen dazu abgeben. Die Ergebnisse sollen dann bei der 77. Gesundheitsversammlung (noch ohne offiziellen Termin) geprüft werden.

Allen Mitgliedsstaaten wurde eine Frist bis zum 30. September 2022 eingeräumt, weitere Änderungsvorschläge einzubringen. Alle eingelangten Vorschläge wurden von der Arbeitsgruppe im Anschluss des ersten Treffens Mitte November veröffentlicht. 11 Staaten sowie 4 Staatsverbände (wie die EU) hatten einiges Ideen, die in Summe ganze 197 Seiten ausmachen.

Um welche Änderungen in den IHR soll es gehen?

Das Video zitiert den Buchautor James Roguski bzw. lässt ihn auch direkt zu Wort kommen:

Gleich ganz oben in Artikel 3 hieß es bis jetzt: „Die Durchführung dieser Vorschriften erfolgt unter uneingeschränkter Achtung der Würde, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten der Menschen“. Und der Artikel soll gestrichen werden. Würde, Menschenrechte und Grundfreiheiten sollen raus.

Behauptungen im Video „WHO will Menschenrechte streichen“

Artikel 3 der Internationalen Gesundheitsvorschriften legt Grundsätze fest, auf denen die IHR basieren. In der deutschen Übersetzung lauten diese:

(1) Die Durchführung dieser Vorschriften erfolgt unter uneingeschränkter Achtung der Würde des Menschen, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten.
(2) Die Durchführung dieser Vorschriften richtet sich nach der Charta der Vereinten Nationen und der Satzung der Weltgesundheitsorganisation.
(3) Die Durchführung dieser Vorschriften ist auf das Ziel ihrer weltweiten Anwendung zum Schutz der Weltbevölkerung vor der grenzüberschreitenden Ausbreitung von Krankheiten ausgerichtet.
(4) Die Staaten haben im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen und den Grundsätzen des Völkerrechts das souveräne Recht, bei der Verfolgung ihrer jeweiligen Gesundheitspolitik Gesetze zu erlassen und durchzuführen. Dabei sollen sie dem Ziel dieser Vorschriften Rechnung tragen.

Artikel 3: Grundsätze

Absatz eins und zwei wirken etwas redundant: In der Charta der Vereinten Nationen werden nämlich die „Menschenrechte und Grundfreiheiten“ nicht nur gleich im ersten Artikel, sondern noch fünf weitere Male angesprochen. Die Würde des Menschen findet sich sogar in allerersten Absatz der Präambel. Die Satzung der WHO wiederum bezieht sich gleich zu Beginn auf die UN-Charta. Wenn also der erste Absatz nicht mehr explizit in den IHR stehen würde, so würde er implizit immer noch durch den zweiten Absatz gültig sein.

Soll Artikel drei wirklich gestrichen werden?

Kurz gesagt: nein. Niemand fordert das in den vorliegenden Anträgen. Und noch viel weniger gibt es einen Entschluss dazu. Die Änderungen in den IHR sollen ja erst bei der übernächsten Gesundheitsversammlung der WHO besprochen werden. Für diese gibt es noch nicht einmal einen Termin. Woher kommt also die Behauptung: „Würde, Menschenrechte und Grundfreiheiten sollen raus“?

Sieht man sich das Dokument genau an, dann stechen die Vorschläge von Indien (ab Seite 56) ins Auge. Diese fordern eine Abänderung genau dieses Absatzes:

WHO: Ausschnitt aus Proposed Amendments
to the International Health Regulations
Ausschnitt Seite 58 im Dokument „Proposed Amendments
to the International Health Regulations (2005) submitted
in accordance with decision WHA75(9) (2022)“

Und ja, der Teilsatz, der sich auf die „uneingeschränkter Achtung der Würde des Menschen, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten“ bezieht, fällt in diesem Abänderungsantrag heraus. Indien findet es wichtiger, dass die „Grundsätze der Gleichheit, der Nichtausgrenzung, der Kohärenz“ angesprochen werden, die es zentral für die „vorgeschlagene globale Gesundheitsarchitektur“ hält, und die „soziale und wirtschaftliche Entwicklung berücksichtigt“ wird, wenn es um die „Verantwortlichkeiten der Vertragsstaaten“ geht.

Die weiteren Absätze in Artikel drei sollen nicht angetastet werden, sodass in Absatz zwei, die IHR noch immer nach der Charta der Vereinten Nationen und der Satzung der Weltgesundheitsorganisation ausgerichtet bleiben. Was Indien da fordert, ist also nicht wirklich problematisch, sondern vielmehr ein Schrei nach Gleichstellung innerhalb der WHO.

Auch ein zweites Dokument der Arbeitsgruppe ist auszugsweise im Umlauf. Dabei handelt es sich eine Einarbeitung der Änderungsvorschläge (Article by Article Compilation of Proposed Amendments) in die aktuell gültige Version von 2005. Auf Social Media sieht man dann nur die obigen Änderungen im Artikel 3, wie sie von Indien vorgeschlagen wurden. Gleich darüber bei Artikel 2 stehen die fehlenden Menschenrechte aber plötzlich wieder drinnen:

MIMIKAMA
Ausschnitt von Seite 3 des kompilierten Dokuments

Die vermeintlichen Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften sind also nur Vorschläge von Mitgliedsstaaten, die erst noch besprochen und beschlossen werden müssen. Die Vorschläge von Indien sind dabei nur ein kleiner Teil, die natürlich auch noch mit den anderen Vorschlägen abgestimmt werden müssen. Ob der Absatz 3 dann schlussendlich wirklich geändert und auch so geändert wird, wie es sich Indien vorstellt, lässt sich aktuell noch nicht sagen. Es ist aber schwer anzunehmen, dass die Menschenrechte weiterhin Basis aller Entscheidungen der WHO bleiben werden.

WHO-Chef Tedros Ghebreyesus ein Diktator?

Obendrein will die WHO weitere Änderungen in ihre Gesundheitsvorschrift übernehmen, die diese Organisation zu einer Art medizinischer Weltmacht verhelfen. So sollen WHO-Chef Tedros und seine Direktoren nahezu in den Rang eines Diktators gehoben und die Möglichkeiten der Zensur für sie weiter ausgebaut werden.

Behauptungen im Video „WHO will Menschenrechte streichen“

Dieses Thema wurde bereits in der Vergangenheit ausführlich behandelt. Correctiv zitierte dazu schon im Mai 2022 einen Sprecher des deutschen Bundesgesundheitsministeriums: „Die Behauptung, die WHO solle künftig ihren Mitgliedstaaten ‚diktieren‘ können, was im Falle künftiger Pandemien zu tun ist, und damit die Befugnisse der Nationalstaaten und der nationalen Parlamente außer Kraft setzen, ist falsch und entbehrt jeglicher Grundlage.“ Ganz im Gegenteil sei es nämlich so, dass „in parlamentarischen Demokratien, wie Deutschland, das Parlament einem Vertrag explizit zustimmen“ muss.

Auch die WHO-Verfassung steht in einem klaren Widerspruch zu dieser Behauptung. Artikel 20 und 22 sehen vor, dass Beschlüsse der WHO für jene Mitgliedsländer nicht in Kraft treten, die fristgerecht ihre Ablehnung oder Vorbehalte kommuniziert haben. Jeder Mitgliedstaat hat damit die Möglichkeit eines Opt-out.

WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus ging letzten Frühling selbst auf entsprechende Falschbehauptungen ein:

Leider gibt es eine kleine Minderheit von Gruppen, die irreführende Erklärungen abgeben und Fakten absichtlich verdrehen. Ich möchte mich klar ausdrücken. Die Agenda der WHO ist öffentlich, offen und transparent. Die WHO setzt sich nachdrücklich für die Rechte des Einzelnen ein. Wir setzen uns leidenschaftlich für das Recht eines jeden Menschen auf Gesundheit ein und werden alles tun, damit dieses Recht auch verwirklicht wird. […] Die WHO ist Ausdruck der Souveränität der Mitgliedstaaten, und die WHO ist genau das, was die souveränen 194 Mitgliedstaaten von ihr erwarten.

Tedros Ghebreyesus am 17. Mai 2022

FAZIT: Nein, der Abschnitt über „Würde, Menschenrechte und Grundfreiheiten“ soll nicht aus den Internationalen Gesundheitsvorschriften gestrichen werden. Dabei handelt es sich aktuell nur um einen Vorschlag eines der 194 Mitgliedsländer, der andere Aspekte wie Gleichheit, Nichtausgrenzung und Kohärenz stärker in den Mittelpunkt stellen möchte.
Die WHO soll auch nicht in eine Diktatur umgewandelt werden. Die Verfassung der Weltgesundheitsorganisation und auch ihr Generaldirektor widersprechen dem eindeutig. Die WHO möchte aber nach den Erfahrungen der Covid-Pandemie bei der Eindämmung von Infektionskrankheiten enger zusammenarbeiten.

Bewertung: FALSCH

Quellen: who.int, bgbl.de, UNRIC, Correctiv, SWP, rki.de

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