Augsburg -Was 2011 mit einzelnen Steuerstrafverfahren in Deutschland begann, wuchs sich bis heute zu einem der größten und aufwändigsten internationalen Ermittlungsverfahren aus.

Allein die nackten Zahlen sprechen für sich:

  • mehr als 300 Beschuldigte
  • Ermittlungen/Vollzugsmaßnahmen in über 30 Staaten weltweit
  • 612 Durchsuchungsobjekte
  • 29 zur Geldwäsche genutzte Zahlungsplattformen weltweit
  • über die ca. 3 Milliarden Euro liefen
  • bei einem entstandenen Schaden von ca. 60 Millionen Euro
  • konnten Vermögenswerte in Höhe von ca. 16 Millionen Euro gesichert werden
  • 25 Terabytes ausgewertete Daten (352 Millionen Objekte)
  • über 200 Jahre bislang verhängte Freiheitsstrafen

Auf Betreiben der Staatsanwaltschaft Augsburg wurden im Herbst 2011 Ermittlungsverfahren verschiedener Steuerfahndungsstellen sowie Erkenntnisse aus einem belgischen Ermittlungsverfahren zusammengeführt, aus denen sich Hinweise auf eine europaweit agierende Bande ergaben, die durch Gründung von Scheinfirmen im europäischen Raum unberechtigte Umsatzsteuerrückzahlungen in Millionenhöhe erlangte.
Ermöglicht werden die schnellen Geschäfte durch eine Besonderheit im Europäischen Umsatzsteuerrecht, nach dem Lieferungen innerhalb der EU umsatzsteuerbefreit sind. Diesen Umstand ausnutzend, werden Waren in großem Stil innerhalb Europas möglichst schnell und lange über ein Geflecht von Firmen im Kreis bewegt, wobei auch mit Schein- und Abdeckrechnungen gearbeitet wird. Für diesen kriminellen Kreislauf steht der Begriff „Umsatzsteuerkarussell“.
Die kriminelle Vereinigung war europa- und weltweit vernetzt und verständigte sich mit Tarnnamen hoch konspirativ über verschlüsselte Kommunikationsmedien. Zur Überführung der einzelnen Bandenmitglieder waren Spezialisten erforderlich, daher wurden die Ermittlungen 2011 dem BLKA übertragen und seitdem in unterschiedlicher Organisation und Personalstärke geführt. In der sogenannten „Soko Karussell“ waren zu Hochzeiten bis zu 15 Ermittler eingesetzt. Zeitweilig unterstützten Steuerfahnder von 44 Steuerfahndungsstellen in ganz Deutschland die Soko.
Die umfangreichen operativen sowie vermögensabschöpfenden Maßnahmen wurden mit einem erheblichen Personal- und Zeitansatz geführt.
Die Sicherung und Aufbereitung der riesigen Datenmenge von den verschiedensten sichergestellten Datenträgern (Festplatten, Laptops, Notebooks, Handys, Sticks) stellte die IT-Forensiker des BLKA vor neue Herausforderungen in technischer als auch in personeller Hinsicht. Der allein für die Karussell-Daten benötigte Server sprengt mit 25 Terabytes alle vormaligen Dimensionen.


Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit der verschiedenen beteiligten Staaten (neben Deutschland u.a. Belgien, Dänemark, Großbritannien, Niederlande, Irland, Norwegen, Schweden, Spanien, Italien, Österreich, Polen, Tschechien, Hongkong, VAE) wurde sowohl von Europol als auch von Eurojust in Den Haag unterstützt.
So wurden Arbeitstreffen und Einsatzleitungen bei Festnahme-/Durchsuchungsaktionen koordiniert und begleitet. Zur weiteren Erleichterung der Zusammenarbeit wurden mit Belgien bzw. den Niederlanden, Polen und Tschechien zwei überaus erfolgreiche Gemein-same Ermittlungsgruppen (auch Joint Investigation Team – JIT genannt) eingerichtet.
Zur Aufbewahrung der massenweise sichergestellten Karussellware bis zur Versteigerung mussten ein Warenlager und ein Flugzeughangar der Bundeswehr angemietet werden.

Die Ermittlungen der Soko Karussell neigen sich dem Ende zu.

Durch die jahrelangen akribisch geführten Ermittlungen wurde nicht nur dieses Karussell gestoppt, vielmehr konnten neben unzähligen Mitwirkenden am Karussellgeschäft, auch die Hintermänner aufgespürt und überführt werden. Hier hat sich insbesondere die Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit der Staatsanwaltschaft Augsburg ausgezahlt, die gegen alle 13 der Führungsriege zuzuordnenden Hintermänner Anklagen erhoben hat und Verurteilungen, zum Teil bereits rechtskräftig, erwirken konnte.
Insgesamt wurden bisher von der Staatsanwaltschaft Augsburg in 45 Verfahren gegen 102 Tatverdächtige (davon 95 in Untersuchungshaft) Anklagen zum Landgericht erhoben.
In 30 Verfahren mit insgesamt 72 Angeklagten wurden bisher Freiheitsstrafen von rund 200 Jahren verhängt (davon 174 Jahre Freiheitsstrafen ohne Bewährung). 21 Verfahren sind bereits rechtskräftig.
Gegen rund 20 Tatverdächtige wurden Anklagen zum Amtsgericht erhoben. Bisher konnten dort bis auf ein Verfahren alle mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossen werden.
Rund 130 Beschuldigten, die oftmals nur als Strohleute aufgetreten sind, konnte kein Vorsatz oder nur ein geringes Verschulden nachgewiesen werden bzw. war eine Identifizierung (noch) nicht möglich, so dass die Verfahren eingestellt wurden bzw. demnächst eingestellt werden.
Gegen 22 Beschuldigte werden die Ermittlungen voraussichtlich mit Anklagen abgeschlossen, sobald noch ausstehende Auswertungen von Beweismitteln bzw. Schadensberechnungen vorliegen.
Nach 15 Beschuldigten wird aktuell gefahndet.
Bisher konnten zur Vorbereitung der Einziehung Vermögenswerte in Höhe von 16 Millionen Euro auf Grund von dinglichen Arresten gesichert werden.
Quelle: Bayerisches Landeskriminalamt

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