Das Fake-Profil von Julian Reichelt: Telegram, die Insel der Leichtgläubigen
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Nur scheinbar eröffnete Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt einen Account auf Telegram, der in 24 Stunden über 50.000 Follower bekam – doch es war ein Fake.

Ziemlich rasch wurde Julian Reichelt von seinen Aufgaben als Chefredakteur der „Bild“ entbunden, nachdem herauskam, dass er wohl auch nach seinem Rüffel vom Springer-Verlag seine Position missbrauchte. Kurze Zeit später tauchte auf Telegram auch schon ein angebliches Profil Reichelts auf, jedoch steckte jemand anderes dahinter: Anonymous.

Die erste Nachricht des falschen Reichelt
Die erste Nachricht des falschen Reichelt, Quelle: Telegram

Gleich in der ersten Nachricht kündete der falsche Reichelt augenscheinlich Enthüllungen an:

„Hab es mir zwar selbst anders vorgestellt, aber dann Rollen wir den Laden jetzt halt von hinten auf. Wer meint ich würde mein Maul halten, so wie alle anderen, der hat sich stark geirrt“

Auch die Profilbeschreibung, welche mittlerweile durch „Satire“ ergänzt wurde, klingt kämpferisch: „Infos zu mir und den Lügen über meinen Rauswurf bald auch hier. Stay Tuned“.

Das klingt danach, als ob es eine Verschwörung hinter Reichelts Rauswurf gab. Und wenn wir über Telegram irgendetwas wissen, dann ist es, dass Verschwörungen dort furchtbar beliebt sind – auf kaum einer anderen Plattform tummeln sich mehr leichtgläubige Menschen, die sich paradoxerweise aber oft selbst als „kritisch und selbst denkend“ bezeichnen.

Falsche Screenshots und Tonaufnahmen

Gleich in den weiteren Nachrichten bezieht sich der falsche Reichelt auf Boris Reitschuster, mit dem er einen Kaffee trinken möchte, und auf Attila Hildmann, Querdenken und Ballweg, von denen er sich distanziere. Als Nächstes zeigt er einen (falschen) Screenshot seines Postfachs, angeblich habe sogar die AFP eine Interviewanfrage gestellt:

Angebliche Interviewanfragen an Reichelt
Angebliche Interviewanfragen an Reichelt

Laut Lars Wienand, leitender Redakteur Recherche bei T-Online, habe die AFP jedoch gar keine Anfrage gestellt. Und da versuchte sich die AFP auch tatsächlich nicht etwa herauszureden, denn wie „Anonymous“ in deren ausführlichen Artikel über die kurzfristige Troll-Aktion (siehe HIER) berichtet, war dies ein älterer Screenshot aus dem Postfach von Attila Hildmann, dessen Accounts im September von „Anonymous“ gekapert wurden (wir berichteten).

Sogar eine Sprachaufnahme des (echten) wurde gepostet, doch in Wahrheit war dies nur einem älteren Interview Reichelts mit Klaas Heufer-Umlauf entnommen.

Follower und Zweifler

Auf Twitter tauchten sehr schnell Zweifel an der Echtheit des Accounts auf, doch in der Bubble der „alternativen Medien“ wurde gejubelt: Boris Reitschuster, Eva Rosen, Eva Herman und andere teilten und kommentierten fröhlich, schließlich habe sich ja nun ein wichtiger Mitstreiter zu ihnen gesellt. Hildmann jedoch nannte dies gleich eine „Honigfalle der Antifa“ – verständlich, denn der falsche Reichelt distanzierte sich ja von ihm, also kann der Account unmöglich echt sein.

Was man daraus lernen kann

Nach 24 Stunden, in denen der Fake-Account Reichelts 52.000 Follower erreichte, deckte „Anonymous“ die Troll-Aktion auf:

„Auch wenn es einige in der „Coronakritischen Szene“ gab, die in diesem Kanal schnell einen Fake vermutet haben, hat sich die offensichtliche Falschmeldung: „Der große Julian Reichelt ist jetzt einer von uns“ schneller und effektiver verbreitet, als die offensichtlichen Beweise, dass es sich hierbei um einen Fake handelt“

schrieben sie auf Telegram. Sehr viele, die von sich selbst behaupten, alles kritisch zu hinterfragen, seien ihren eigenen Grundsätzen nicht gefolgt, sondern glauben einfach alles, solange es in ihr eigenes Weltbild passe.

Nicht zuletzt ist diese Troll-Aktion auch ein Denkanstoß an die Follower der „Großen“ auf Telegram, wie Eva Rosen, Eva Herman und Boris Reitschuster: Obwohl es offensichtliche Hinweise auf einen Fake gab, teilten diese kritiklos die Beiträge des falschen Reichelt. Und solchen Leuten glaubt ihr?


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Weitere Quellen: AnonLeaks, dpa


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