Menschen geraten in einen dissoziativen Zustand, wenn sie soziale Medien intensiv nutzen. Sie fühlen sich dann außerhalb der realen Welt. Es ist so, als würde man ein gutes Buch lesen und so gebannt sein, dass man nicht mehr mitbekommt, was tatsächlich geschieht. Das haben Forscher der University of Washington (UW) herausgefunden.

Mimikama-Information: Was versteht man unter einer dissoziativen Störung?

Bei einer dissoziativen Störung kommt es zu einem teilweisen oder vollständigen „Auseinanderfallen“ (Desintegration) von normalerweise zusammenhängenden psychischen Fähigkeiten. Das können die Sinneswahrnehmung, das Gedächtnis, das Bewusstsein, die eigene Identität oder die Kontrolle über die Körperbewegungen sein. Typische Symptome sind zum Beispiel, dass jemandem die Erinnerung an bestimmte Zeitabschnitte fehlt, dass Berührungen nicht mehr wahrgenommen werden, dass die Körperbewegungen gestört sind oder dass jemand eine Zeit lang seine Identität verliert. (Quelle: Therapie.de)

Abkoppeln von der Welt

„Ich glaube, viele Menschen empfinden Scham, wenn sie soziale Medien übermäßig nutzen. Ich spreche lieber von Dissoziation und nicht von Sucht. Dann ändert sich auch die Ausdrucksweise. Statt: ‚Ich sollte in der Lage sein, mehr Selbstbeherrschung zu haben‘, heißt es dann: ‚Wir alle distanzieren uns auf natürliche Weise auf viele Arten von der realen Welt, ob in Tagträumen oder beim Scrollen durch Instagram‘. Wir achten dann nicht mehr darauf, was um uns herum passiert“, sagt UW-Forscherin Amanda Baughan.

Baughan kam auf die Idee, die alltägliche Dissoziation und die Nutzung sozialer Medien in den frühen Tagen des COVID-19-Lockdowns zu untersuchen, als die Menschen mangels realer sozialer Kontakte zunehmend auf soziale Medien auswichen.

„Dissoziation wird dadurch definiert, dass man vollständig in das versunken ist, was man tut. Wenn man daraus erwacht, gibt es manchmal dieses Gefühl von: Wie bin ich hierher gekommen? Wo sind nur die 30 Minuten geblieben, ich wollte doch nur eine Benachrichtigung überprüfen“, so Baughan.

Kontrolle mit der App „Chirp“

Ihr Team hat die App „Chirp“ entwickelt, die mit den Twitter-Konten von Probanden verbunden wurde. Durch Chirp erscheinen die Likes und Tweets der Nutzer auf der echten Social-Media-Plattform, aber Forscher können die Erfahrung der Menschen kontrollieren und neue Funktionen oder schnelle Pop-up-Umfragen hinzufügen.

„Eine der Fragen, die wir hatten, war: Was passiert, wenn wir eine Social-Media-Plattform so umbauen, dass sie weiterhin das bietet, was die Leute daran mögen, aber sie auch mit dem ausdrücklichen Ziel konzipiert ist, dem Benutzer die Kontrolle über seine Zeit und Aufmerksamkeit zu geben?“, fragt Alexis Hiniker, UW-Assistenzprofessor für Informatik.

Die Forscher haben 43 Twitter-Nutzer aus den USA gebeten, Chirp einen Monat lang zu nutzen. Für jede Sitzung sahen die Benutzer nach drei Minuten ein Dialogfeld, in dem sie aufgefordert wurden, auf einer Skala von eins bis fünf zu bewerten, wie sehr sie der Aussage „Ich verwende derzeit Chirp, ohne wirklich darauf zu achten, was ich tue“ zustimmen. Das Dialogfeld wurde weiterhin alle 15 Minuten angezeigt. Im Laufe des Monats stimmten 42 Prozent der Teilnehmer dieser Aussage mindestens einmal zu oder stimmten ihr stark zu. Nach dem Monat führten die Forscher eingehende Interviews mit elf Teilnehmern. Sieben hatten danach während der Anwendung von Chirp Dissoziationen erlebt.

Quelle: pte

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