-Ein Gastbeitrag von Moritz Machthuber-

„Wir haben viel zu viele Ausländer hereingeholt!“ Hat Schmidt das gesagt? Ja, aber ganz anders gemeint.

Ein Meme mit Helmut Schmidt und einem Zitat aus der Bild von 2002 macht ab und zu die Runde in Social Media Kanälen. Schmidt soll gesagt haben „Wir haben viel zu viele Ausländer hereingeholt“. Damit möchte man die eigene Meinung unterstreichen, dass es zu viele Migranten gibt. Wenn Schmidt es gesagt hat, dann kann´s nicht falsch sein. Hat er das gesagt?

Wir haben viel zu viele Ausländer hereingeholt!“ Hat Schmidt das gesagt? Ja, aber ganz anders gemeint.
Wir haben viel zu viele Ausländer hereingeholt!“
Hat Schmidt das gesagt? Ja, aber ganz anders gemeint.

Nein. Er hat es geschrieben. In seinem 2002 erschienenen Buch „Hand aufs Herz“, das ein Interviewbuch mit der Moderatorin und Journalistin Sandra Maischberger ist, steht dieser Satz. Das Zitat ist aber aus dem Zusammenhang gerissen.

In diesem Zitat ging es aber nicht um aktuelle „Ausländer“ (Muslime, Menschen mit Migrationshintergrund), sondern um Gastarbeiter. In der Textpassage, die von einigen Zeitungen zitiert wurden, spricht er über die Menschen, die diese Passage gerne teilen, um ihre eigene Xenophobie zu unterstreichen. Schmidt erwähnte, dass die Regierung damals überfordert war und es doch zu viele waren. In der Textpassage heißt es weiter:

„Wir haben heute sieben Millionen Ausländer, die nicht integriert sind, von denen die wenigsten sich integrieren wollen, denen auch nicht geholfen wird, sich zu integrieren“, zitiert das Blatt den früheren Kanzler weiter. Deutschland werde „mit einer sehr heterogenen, de facto multikulturellen Gesellschaft (…) nicht fertig“. Die Deutschen könnten und wollten die Ausländer nicht alle assimilieren, da sie „innerlich weitgehend fremdenfeindlich“ seien. (Quelle)

Vom Anwerben von Zuwanderern zum heimlichen Anwerberstopps

Zum Zitat gibt es einen historischen Kontext. In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es einen wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland und Österreich. Man hatte nicht genug Arbeitskräfte und wollte weiter expandieren. Also holte man sich Gastarbeiter mit der Annahme, dass diese nur ein paar Jahre bleiben. Allerdings war damals in der Gesellschaft die nationale Herkunft der Gastarbeiter, nicht aber deren Religion wichtig (man nannte Muslime auch „Mohammedaner“, es gab aber weniger klassische Klischees und Gerüchte über die Religion). Die Türken waren neben Portugieser, Spanier, Griechen, Italiener und Ex-Jugoslawen nur ein Teil der vielen Gastarbeiter. 1961 begann man, viele türkischstämmige Menschen nach Deutschland als Gastarbeiter zu holen. Man handelte einem Vertrag mit der Türkei aus. In Österreich kam es 1964 zu so einem Abkommen (1962 mit Spanien, 1966 mit Jugoslawien). Vgl https://orf.at/v2/stories/2229815/2229814/

Als der wirtschaftliche Abschwung begann, wurden die Gastarbeiterabkommen gestoppt. Das war 1973, dem Jahr der Ölkrise. Lediglich Familienzusammenführungen waren möglich, die Zahlen sanken aber dennoch nicht.

„Die Sache wurde 1973 das erste Mal schwierig. Ich war damals Finanzminister in Bonn, und wir hatten wegen der Ölkrise mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Gleichzeitig kamen weiterhin Gastarbeiter. Wir haben die Anwerbung gestoppt. Aber nicht ganz rigoros. Den Familiennachzug haben wir aufrechterhalten. Aber wir waren auf diese vielen Ausländer nicht vorbereitet.“ (aus: https://www.zeit.de/2011/43/50-Jahre-Migration-Schmidt)

In einem Interview aus 2008 bestätigt Schmidt ein interessantes Detail: „Ich habe die weitere Zuwanderung von Ausländern gestoppt, ganz leise,weil ich keine Ausländerfeindlichkeit provozieren wollte.“

Auf Nachfrage wie man das macht, sagte Schmidt:

„Erst haben wir die Anwerbung aufgehoben, dann haben wir die Rückkehr in die Heimatländer erleichtert, sodass wir am Ende meiner Regierungszeit nur genau so viele Ausländer hatten wie am Anfang. Zu Zeiten von Helmut Kohl hat sich die Zahl später verdoppelt. Jetzt sind wir bei siebeneinhalb Millionen, und wir haben große Probleme: Unsere deutsche Gesellschaft hat sich nicht ausreichend fähig gezeigt, alle Ausländer wirklich zu integrieren.“  (QUELLE)

Schmidt war gegen Rassismus und fasziniert vom Islam – genauso wie Goethe

Schmidt ist kein Vorzeigepolitiker für Menschen mit rechtem Gedankengut. Er hat sich zwar seit etwa Mitte der 2000er Jahre kritisch zum Thema Integration und Multi Kulti geäußert, dennoch ist er die falsche Quelle für Menschen, denen die „guten alten Werte“ noch wichtig sind. Der ehemalige Kanzler hatte eine tiefe Freundschaft zum ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat, der 1981 wegen seiner Annäherung zu Israel ermordet wurde. Sadat hat Schmidt viel über den Islam berichtet und beigebracht. Im Dezember 1977 hat Sadat Schmidt beigebracht, dass alle drei monotheistischen Religionen denselben Ursprung haben und einen wesentlichen Beitrag für den Frieden bringen. (siehe hier)

Auch andere Symbole der deutschen Leitkultur waren von der Religion des Islams beeindruckt. Aus philosophischer Sicht war Goethe so fasziniert, dass er die 12-Bändige Gedichtsammlung „west-östlichen Diwan“ schuf. Aber das würde jetzt zu sehr abschweifen.

Ein Zitat zu verwenden um seine Meinung zu untermauern, sei die Meinung noch so ausländer-, islam- oder Menschenfeindlich, ist ein durchaus übliches Mittel. Aber auch Zitate können gegen einen verwendet werden. Und sei es noch so eine nostalgische Person wie der „letzte gute Kanzler“ Helmut Schmidt, wie viele Deutsche den Altkanzler sehen.

Autor: Moritz Machthuber

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