Zugunglück in East Palestine, Ohio: Gerüchte und Fakten

Was ist in East Palestine passiert, was ist der aktuelle Stand?

Am 3. Februar entgleiste in der Nähe von East Palestine, Ohio, ein mit gefährlichen Stoffen beladener Zug, wahrscheinlich aufgrund eines mechanischen Problems. Fünf Waggons mit Vinylchlorid wurden anschließend gezielt in einer „kontrollierten Explosion“ abgebrannt, was eine vorübergehende Evakuierung des Gebiets zur Folge hatte. Anwohner berichteten, dass sie in den Tagen nach der Entgleisung unter Kopfschmerzen und Hautausschlägen litten.

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„Verwirrende und scheinbar wechselnde Botschaften von Regierungs- und Bahnbeamten haben das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert“, schreibt die New York Times zur aktuellen Stimmung in der Stadt. Ein Vertrauen, das auch davor schon erschüttert war, durch Jahrzehnte, die durch ökonomische Stagnation und Schließungen lokaler Produktionsbetriebe geprägt waren. „Gerüchte und Verdächtigungen über den Vorfall kursieren auf Facebook- und TikTok-Accounts im ganzen Land; in der Stadt werden sie auch unter Nachbarn in Hinterhöfen und durch die offenen Fenster von Pick-ups ausgetauscht.“

Die Behörden haben inzwischen Entwarnung gegeben: 456 Häuser seien bisher auf chemische Rückstände untersucht worden und hätten nichts dabei gefunden. Auch in Luft und Wasser würde es keine kritischen Rückstände geben. Währenddessen kursieren auf Social Media Bilder von toten Haus- und Nutztieren. Und viele Anwohner klagen über einen stechenden Geruch. Bilder einer Bürgerversammlung zeigen wütende Menschen. Die Bahngesellschaft Norfolk Southern, die dort eigentlich beruhigen wollte, ist dem Meeting fern geblieben.

Inzwischen hat sich auch die Umweltaktivistin Erin Bronckovich (bekannt durch den Film mit Julia Roberts) eingeschaltet:

Die Bilder der Rauchwolke

Wir beobachten das Thema schon eine Weile, aber erst kürzlich erreichten uns Nutzeranfragen, bei denen es um Bilder der Rauchwolke ging. Spätestens seit dem Ukrainekrieg gibt es sehr viele Hybridfälschungen – echte Bilder, die in den falschen Kontext gestellt werden – und auch KI-generierte Bilder werden immer mehr. Die Leute werden deshalb immer misstrauischer, wenn Bilder zu perfekt aussehen. Selbiges gilt für (russische) Desinformationskampagnen. Gut so!

Am 14. Februar tauchte bei Reddit eine Luftaufnahme aus einem Flugzeug des Bereichs um die Unglücksstelle auf: Man sieht darauf eine schwarze, kreisförmige Wolke in einer ansonsten weißen Wolkendecke. Bildunterschrift: „Passagierfoto während des Fluges in der Nähe von East Palestine, Ohio … Chemischer Brand nach entgleistem Zug“.

Das Faktencheck-Portal Snopes beschäftigte sich umgehend mit der Aufnahme, nachdem sie es wegen unzähliger Views und Likes (aktuell 142k Punkte) auf die Front Page von Reddit geschafft hatte. Ohne weitere Informationen stufte Snopes das Bild zunächst als „unproven“ ein. Heute wurde der Artikel allerdings überarbeitet: Es gibt viele weitere Luftaufnahmen dieser Wolke: Fotos, Videos, Satellitenbilder. Diese sind zwar alle nicht so hübsch, aber beweisen: Ja, die Wolke war sehr gut vom Flugzeug aus zu erkennen. Aktueller Status bei Snopes: „true“.

Gerücht: Informationen werden zurückgehalten und Journalisten verhaftet

Die Lage in East Palestine ist „kompliziert“ und nicht alles, was von den Behörden und der Bahngesellschaft verlautbart wurde, war in den vergangenen zwei Wochen immer hilfreich. Aber zum Glück gibt es die „vierte Säule“ in einer stabilen Demokratie: die Medien, die unabhängig und wahrheitsgemäß von den Geschehnissen berichten – zumindest wenn sie diesem zentralen Auftrag nachkommen und auch berichten können.

Seit dem 13. Februar sind aber immer mehr Behauptungen auf Social Media aufgetaucht, dass Medienvertreter in East Palestine an ihrer Arbeit gehindert oder sogar verhaftet werden. Ein Beispiel von Instagram: „Dies ist wahrscheinlich das Schlimmste, was abgesehen von einer Atombombe passieren könnte, und niemand spricht darüber – Reporter, die versuchen, hineinzukommen, werden verhaftet.“

USA Today hat sich diese Vorwürfe angesehen und kommt zum Schluss: „false“:

Es wurden keine Journalisten verhaftet, die versucht haben, „hineinzukommen“. Ein einziger Journalist wurde bei einer Pressekonferenz des Gouverneurs von Ohio, Mike DeWine, verhaftet, nachdem er live berichtet hatte, während der Gouverneur sprach, aber die Anklage wurde inzwischen fallen gelassen. Nationale Journalismus- und Nachrichtenorganisationen, die Verhaftungen von Reportern verfolgen, sagten, dass ihnen keine weiteren Verhaftungen von Journalisten in East Palestine bekannt seien.

Fact check: Post misleads on number of journalists arrested in East Palestine, Ohio

Evan Lambert, ein Reporter von News Nation, hatte noch weiter live berichtet und so die Konferenz am 8. Februar gestört, als ihn die Polizei bereits aufgefordert hatte, ruhig zu sein. Er wurde deshalb verhaftet und wegen ordnungswidrigen Verhaltens und Hausfriedensbruchs angeklagt. Diese Anklagen wurden inzwischen fallen gelassen. Weitere ähnliche Vorfälle oder Verhaftungen sind nicht bekannt.

Weitere Gerüchte und Verschwörungstheorien zum Unglück in East Palestine

Das Newsportal USA-Today hat noch weitere Nachforschungen angestrengt zu Behauptungen, die aktuell im Netz verbreitet werden:

• Die Regierung hat East Palestine abgeriegelt: Über die Stadt wurde der Notstand verhängt und eine vorübergehende Evakuierung angeordnet. Aber keine Anzeichen dafür, dass Bürger an der Ein- und Ausreise in die Stadt gehindert wurden.
• Die evakuierten Menschen dürfen nicht nach Hause zurückkehren: Nein, der Gouverneur sagte bei Pressekonferenz am 8. Februar, dass die Menschen nun sicher sind und nach Hause dürfen.
• Die Katastrophe war geplant oder eine false-flag-Aktion: Falsch, es gibt keine Anzeichen dafür.
• Die Zuggesellschaft Norfolk Southern soll betroffenen Menschen nur je $5 zahlen: Nein, es sind $1000 sowie ein Fonds über 1 Million Dollar.
• Fische und Weidetiere sollen noch hunderte Meilen entfernt gestorben sein: Es gibt keine Anzeichen für Schäden an Wildtieren oder Vieh an Land. 3.500 Fische sollen aber in der Nähe der Katastrophe verendet sein und das kontaminierte Wasser (Butylacrylat) des Ohio River wird weiterhin beobachtet.

Dass die Medien nicht über die Katastrophe in East Palestine berichten würden, ist auch nicht sehr schwer zu widerlegen: Zwischen gestern Nachmittag (16.02.2023, 13:00) und heute früh (17.02.2023, 09:00) findet Google Trends 376 neue Nachrichtenartikel zum Thema alleine in den USA. Und eine globale Suche über Google News bringt über 2 Millionen Resultate. Das ist nicht nichts!

Fazit:

• Die Luftaufnahme der kreisförmigen Rauchwolke ist authentisch. ✔️
• Nur ein Journalist wurde kurzzeitig verhaftet, weil er eine Pressekonferenz des Gouverneurs gestört hatte. ❌
• Über das Unglück und die Folgen für die Stadt East Palestine gibt es sehr viele Medienberichte. ❌
• Keine Anzeichen von Verseuchung von Luft und Boden. Butylacrylat im Ohio River. ❌/✔️

Quellen: USA-Today, Snopes, ohio.gov, nscorp.com, BBC, NY Times, NPR, lancasterfarming.com, Google Trends

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