Nicht einen blassen Schimmer von der Todesangst zwangsverpflichteter Rekruten – auf beiden Seiten. Nicht eine Spur der Todesqualen verbrennender, zerschmetterter, verblutender Menschen nach einem Raketeneinschlag. Nicht den Anflug eines Eindrucks des Todes. Von Leichen in Sichtweite, von Menschen, mit denen man wenige Minuten zuvor noch Worte gewechselt hat. Von Menschen, die Brüder waren und Schwestern, Väter, Mütter, Kinder. Freunde, Feinde. Menschen, die vor wenigen Wochen selbst nicht die geringste Ahnung hatten. Nicht die allergeringste.

Man kann einen Krieg genauso wenig gewinnen„, so Jeanette Rankin, „wie ein Erdbeben„. Insofern wünsche ich dieser Welt nicht den Untergang der „Moskau“ (den hat sie bereits hinter sich) oder den Untergang ganzer Nationen, sondern einen neuen „Panzerkreuzer Potemkin“. Und eine Revolution der Menschlichkeit, die Putin und seine Geistesgenossen zu guter Letzt in jeder Ritze dieses Planeten aufspürt. Und zur Verantwortung zieht.

Die vorangegangenen Zeilen stammen von Walter Gröbchen, österreichischer Journalist, Blogger, Autor und Musikverleger.

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Wir lachen: Das Problem der Glorifizierung, Verlächerlichmachung und Trollerei

Ich habe den Kommentar von Walter Gröbchen gelesen und stimme ihm zu. Mehr sogar, ich habe in den letzten Wochen eine bestimmte Geschichtserzählung auf Social Media bemerkt. Und zwar habe ich eine Vielzahl von Memes, Shareables, Trollereien und Glorifizierungen in Bezug auf den Ukrainekrieg gesehen. Es geht dabei immer wieder darum, die natürlich vorhandene unterlegene Situation der Ukraine glorifiziert in Szene zu setzen. Besonders eindrucksvoll und wirksam, zugleich humorvoll, gestalten sich die Shareables rund um Traktoren, die russische Kriegsmaschinen abschleppen.

Das ist in gewisser Weise witzig.

Ja, es ist witzig, wenn Bilder auftauchen, auf denen sich russische Panzer vor ukrainischen Traktoren verstecken, um nicht abgeschleppt zu werden. Überhaupt die ukrainischen Traktoren! Hier haben wir ein sehr spannendes Narrativ vorliegen.
Andre Wolf
mimikama

Sicherlich ist es kein Fake, wenn wir von einzelnen Fällen sprechen, in denen liegengebliebenen russische Kriegsfahrzeuge von Traktoren abgeschleppt wurden. Das ist schlichtweg passiert. Aber spannend ist, was sich im Bereich der Geschichtserzählung daraus entwickelt hat. Denn hier ist ein neues Narrativ geboren, dass eine auf Basis einer ursprünglichen Absurdität (Traktoren sind Panzern überlegen) eine Glorifizierung errichtet (alle Traktoren sind russischem Kriegsmaterial überlegen).

Diese Glorifizierung ist natürlich eine Art Elfmeter für jegliche Art der Trollerei.

Ja, wir lachen darüber. Wir lachen, wenn Bilder auftauchen, auf denen ukrainische Traktoren russische Weltraumraketen abschleppen. Bilder, auf denen sie russische Jagdflugzeuge ziehen oder gar vermeintliche Militärparaden fahren. Hinter all diesen Darstellungen versteckt sich natürlich das satirisch überspitzte David gegen Goliath Narrativ. In bestimmter Hinsicht ist diese Darstellung auch zum Lachen, denn sie wurde bewusst humorvoll gestaltet und auch überspitzt aufgebaut. Es ist nun mal auch ein Versuch, dem Grauen ins Gesicht zu lachen.

Natürlich entlockt es auch mir ein Schmunzeln, wenn ich ein Foto eines versunkenen Panzers sehe, hinter dem ein Traktor rollt und dazu sinngemäß zu lesen ist: „Russischer Panzer mit Schnorchel versteckt sich vor ukrainischem Traktor“. Die Frage bei dieser Art von Darstellungen liegt halt immer bei den realen Opfern, die hinter so einem Bild stecken. Ist der Panzer ohne Opfer versunken? Gehört dieses Bild generell in den Kontext des Krieges? Ist es überhaupt angebracht zu lachen, wenn Menschen sterben?

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Und nun haben wir eine neue Situation.

Ein russisches Kriegsschiff ist gesunken. Der Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“ ist gesunken. An dieser Stelle geht es eben nicht um einzelne Kriegsmaschinen, die abgeschleppt werden. Es geht um ein Kriegsschiff, auf dem viele Menschen dienen/gedient haben. Es gibt dazu auch Meldungen, dass die Besatzung evakuiert wurde. Das setzt jedoch voraus, dass das Schiff halbwegs kontrolliert einen Schadensverlauf genommen hat. Das wissen wir jedoch nicht. Laut russischen Medien war es ein Unfall, laut ukrainischer Darstellung ein Untergang nach Raketenbeschuss. Wenn es letzteres wäre, dürften durchaus Menschen gestorben sein.

Auf Social Media tauchen dazu analog Meldungen auf, die natürlich einen humorvollen Charakter für sich beanspruchen. Ich will da gar nicht auf einzelne Wortspiele oder Memes eingehen. Ich verstehe auch das „in your face!“-Denken, das hinter den Memes und Shareables steckt, die in Bezug auf das gesunkene Kriegsschiff verbreitet werden. Ohne Frage wünschen sich viele Menschen (ohne es zu werten) einen Ausgang des Krieges, in dem Russland am Ende als Verlierer steht. David gewinnt gegen Goliath. Und wir alle sitzen in der Ferne und lachen über den Verlierer, der sich von vornherein als arroganter Sieger gewähnt hat.

Wir lachen. Doch warum lachen wir?

Ist es eine Reaktion, das Grauen des Krieges zu verarbeiten? Sicherlich ist Lachen auch eine Form der Bewältigung. Mir schrieb jemand, das wäre speziell dann so, wenn einem bewusst wird, dass man der Situation hilflos gegenüber steht oder Gefahr läuft, depressiv zu werden. Das kann ich problemlos nachvollziehen.

Ist es ein Lachen über Russland, weil der Aggressor eine Schmäh „verdient hat“? Ich habe ebenso eine gelesen, dass nirgendwo mehr Witze gemacht werden, als in Diktaturen oder unter anderen dauerhaft belastenden Umständen. Auch dadurch werden Situationen erträglicher. Es ist ein bitteres Lachen. Wir dürfen aus unserer machtlosen Position natürlich nicht vergessen: Humor hilft!

Nein. Ich bin wahrlich nicht moralinsauer. Ich lache auch an Stellen, wo Lachen grenzwertig ist. Denn das Lachen darf nicht vergehen und kann auch eine wichtige psychohygienische Funktion innehaben. Ich mache mir lediglich Gedanken und Sorgen, wo die Grenzen unserer Häme liegen. Doch wo liegen die Grenzen? Ich selbst maße mir nicht an, die Grenzen des Lachens zu definieren. Um Himmels Willen, ganz gewiss nicht! Das wäre auch völlig falsch. Für viele mögen meine Worte vielleicht als Vorwurf oder Maßregelung klingen, doch das sind sie nicht. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ein ab wann ein Lachen in Bezug auf Leid, Schmerz oder Tod noch angebracht ist. Ganz gleich, ob es um Opfer oder Täter geht. Auch ich.

Ich für meinen Teil denke mir nur: Es ist Krieg.
Es geht um Elend. Es geht um Tod. Um Mord.
Wir sollten mit unserem Lachen vorsichtig sein.
Egal, wer da gerade stirbt.

Ganz wie es Walter Gröbchen schreibt:

Wir lachen.

Und haben nicht die geringste Ahnung. Nicht die allergeringste. Nicht einen blassen Schimmer von der Todesangst zwangsverpflichteter Rekruten – auf beiden Seiten. Nicht eine Spur der Todesqualen verbrennender, zerschmetterter, verblutender Menschen nach einem Raketeneinschlag. Nicht den Anflug eines Eindrucks des Todes. Von Leichen in Sichtweite, von Menschen, mit denen man wenige Minuten zuvor noch Worte gewechselt hat. Von Menschen, die Brüder waren und Schwestern, Väter, Mütter, Kinder. Freunde, Feinde. Menschen, die vor wenigen Wochen selbst nicht die geringste Ahnung hatten. Nicht die allergeringste.
Walter Gröbchen

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