Deutschland verbrennt nicht mehr Erdgas, um Strom nach Frankreich zu liefern

Angeblich steigt der Gasverbrauch in Deutschland aktuell, da viel Strom nach Frankreich exportiert wird, was der eigentliche Grund für die steigenden Gaspreise sei und es deswegen wichtig wäre, dass mehr Atomkraftwerke gebaut werden müssen.

Autor: Ralf Nowotny

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Die Behauptung

Angeblich steigt der Gasverbrauch in Deutschland aktuell, da viel Strom nach Frankreich exportiert wird, was der eigentliche Grund für die steigenden Gaspreise sei und es deswegen wichtig wäre, dass mehr Atomkraftwerke gebaut werden müssen.

Unser Fazit

Aufgrund der ausgefallenen AKW exportiert Deutschland tatsächlich mehr Strom nach Frankreich – allerdings nicht durch Gasverbrennung, welche sogar zurückgegangen ist, sondern durch Wind- und Solarkraft.

Als ob die gedrosselten Gaslieferungen aus Russland noch nicht schlimm genug wären, sorgt nun auch noch unter anderem die aktuelle Hitzewelle in Europa und Wartungsarbeiten dafür, dass in Frankreich 28 der 56 AKW aus Sicherheitsgründen abgeschaltet und mehrere AKW in der Leistung gedrosselt wurden, sodass dort derzeit nur weniger als 30 Gigawatt statt der sonstigen 61,4 Gigawatt produziert werden.
Angeblich wird deshalb in Deutschland mehr Gas verbrannt, was dann nach Frankreich exportiert wird – quasi auf unsere Kosten.
Doch das stimmt nicht!

Die Behauptungen

Es kursieren alle möglichen Behauptungen rund um AKW, die zumeist darauf abzielen, dass Atomkraftwerke viel besser als Solar- und Windanlagen seien, besonders gerne wird dabei auf die Politik der Grünen abgezielt. Das führt manchmal zu eher dümmlichen Sharepics wie diesem hier:

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Behauptung über AKW, Quelle. Facebook

Für das Sharepic wurde ein Artikel von ntv genommen (siehe HIER), der Text „Was ein dummes grünes Gesabbel. Nachts haben die Franzosen durch Atomkraft 100% Strom. Deutschland hat nachts durch die Solaranlagen 0% Strom“ steht natürlich im Original nicht auf dem Bild.

Zudem ist die Behauptung unsinnig, da Solaranlagen zwar tatsächlich nur tagsüber Strom produzieren, der überschüssige Strom aber gespeichert wird, um diesen am Abend und in der Nacht zu nutzen, man also nicht nach Einbruch der Dunkelheit nur noch mit Kerzenlicht dahocken muss.

Das Sharepic ist zudem schlecht gealtert, denn aktuell bekommen Franzosen, wie oben geschrieben, eben nicht genug Strom aus ihren AKW, weshalb Strom aus Deutschland nach Frankreich exportiert wird – und deshalb laut Anfragen bei uns die Behauptung kursiert, dass darum mehr Erdgas in Deutschland verbrannt wird.

Wird in Deutschland wegen Frankreich mehr Gas verbrannt?

UPDATE 18.08.2022

Auch in aktuellen Medienberichten (z.B. Markus Lanz vom 16.08.2022) wird davon gesprochen, dass Deutschland vermehrt Strom aus Gas produziert, um es nach Frankreich zu liefern. Die Zahlen, die uns inzwischen vorliegen, unterstützen diese Aussagen allerdings nicht. Der Gasverbrauch zur Stromerzeugung von 2022 liegt monatlich schwankend auf dem Niveau des Vorjahres oder darunter.

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Diese Zahlen des Frauenhofer-Instituts für Solare Energiesysteme sind öffentlich auf der Seite energy-charts.info einsehbar

Angeblich verbrennen wir gerade sogar mehr Erdgas, um die 16 fehlerhaften abgeschaltet AKWs in Frankreich im Netz zu ersetzen.

Das Wörtchen “gerade”, der Zwillingsbruder von “jetzt”, ist ein Sorgenkind, wenn es um statistische Zahlen geht. Denn diese Zahlen haben die Eigenschaft, dass sie Spätaufsteher sind und immer erst auf einer Party auftauchen, wenn sie schon vorbei ist. Deshalb müsste man ohne Zugang zu den Rohdaten diese Zahlen schätzen oder extrapolieren. Der Aufwand, tagesaktuelle Zahlen zu besorgen, ist hoch und steht nicht immer einem Verhältnis zum Mehrwert. Deshalb zunächst ein Blick auf die Entwicklungen, die zum Glück eine sehr deutliche Sprache sprechen:

Laut Statista (siehe HIER) wurden im Juni 2022 33,6 Terawattstunden durch das Verbrennen von Erdgas erzeugt. Dies sind rund 20 Terawattstunden weniger als im Vorjahresmonat. Darüber hinaus wurde bisher im Jahr 2022 (Stand Juli) deutlich weniger Erdgas verbraucht als zur gleichen Zeit im Vorjahr.

Nachgerechnet sind das etwa 60% weniger Erdgas, das im Monat Juni 2022 zur Stromerzeugung verbrannt wurde im Vergleich zum Juni 2021 (also bevor die französischen AKWs ab Oktober 2021 vom Netz gingen).

Im 1. Quartal 2022 wurde im Vergleich zum 1. Quartal 2021 zudem deutlich mehr Strom aus Kohle, Windkraft und Fotovoltaik erzeugt, deutlich weniger Strom aus Erdgas und Kernenergie. Demgegenüber sank die Stromerzeugung aus Erdgas gegenüber dem Vorjahresquartal um 17,0 % auf einen Anteil von 13,0 % an der eingespeisten Strommenge (1. Quartal 2021: 15,2 %).

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Stromeinspeisung durch konventionelle und erneuerbare Energieträger, Quelle: Destatis

Das Statistische Bundesamt liefert hier leider keine absoluten Zahlen für das erste Quartal 2022(!), aber es ist auch so klar: Weniger absoluter Stromverbrauch und gleichzeitig geringerer Anteil an Strom aus verbranntem Erdgas bedeuten: auch absolut weniger verbranntes Erdgas. Wenn man sich die Rohdaten in der Datenbank ansieht (liegen bis Mai 2022 vor), dann liegt der Gasverbrauch in etwa auf Vorjahresniveau bzw. bei einzelnen Monaten deutlich darunter.

Aus welcher Quelle stammt der Strom für Frankreich?

Im Jahr 2022 (Stand: Anfang August) erreichte laut Statista die Stromexportmenge aus Deutschland nach Frankreich mit rund fünf Terawattstunden einen neuen Höchstwert. Frankreich erzeugt gut 70 Prozent seines Stroms über das Betreiben von Kernkraftwerken, doch da diese zum großen Teil derzeit ausfallen, ist auch die Exportmenge nach Frankreich stark gestiegen.

Die Menge an Strom, die im 1. Quartal 2022 ins Ausland exportiert wurde, betrug 13,8 Terawattstunden, also mehr als die noch verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke im gleichen Zeitraum produzieren (8,6 Terawattstunden). Und diese Exportmenge kann sich Deutschland locker leisten – aufgrund von Wind- und Solarkraft.

Durch Windkraft wurden alleine im Februar 2022 20,6 Terawattstunden erzeugt, durch Solarstrom wurden im 1. Quartal 2022 9,1 Terawattstunden erzeugt, also sogar mehr als die AKW im gleichen Zeitraum.

Fazit

Aufgrund der ausgefallenen AKW exportiert Deutschland tatsächlich mehr Strom nach Frankreich – allerdings nicht durch Gasverbrennung, welche sogar zurückgegangen ist, sondern durch Wind- und Solarkraft. Frankreich selbst verbrennt derzeit sehr viel mehr Erdgas, um die Defizite auszugleichen – welches aus Russland stammt.

Die ständig variierenden Behauptungen also, dass Deutschland mit Atomkraftwerken viel besser dran wäre und man sich Frankreich als Vorbild nehmen sollte (wie bis vor einem Monat noch getönt wurde), erweist sich gerade als sehr schlecht gealtert: Gerade, weil Deutschland mehr auf Wind- und Solarstrom setzt, ist es überhaupt möglich, Strom nach Frankreich zu exportieren.

Recherche: Walter Feichtinger

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